Steuerparadies in der Schweiz:Die Wall Street von Pfäffikon

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Das 7000-Seelen-Dorf Pfäffikon in der Schweiz verwaltet ein Vermögen von 50 Milliarden Dollar - denn Firmen aus aller Welt sparen hier Steuern.

Gerd Zitzelsberger

Die Merkwürdigkeiten beginnen gleich hinter dem Bahnhof: Links grasen ein paar Kühe, rechts steht ein 15-stöckiges Wohnsilo, das ziemlich schäbig aussieht. Dazwischen verkauft Othmar Batschelet in seiner "Autogalerie" Karossen der Marken Rolls-Royce und Bentley. Prunkstück in Batschelets Schaufenstern ist gerade ein Bentley des Jahrgangs 1955 ohne Preisschild.

Einen Steinwurf entfernt hat noch ein einzelnes Bauernhaus mit prachtvollen Geranien vor den Fenstern die Jahrhunderte überdauert. Umzingelt wird es inzwischen von Bürogebäuden, eines hässlicher als das andere.

In einem sitzt Bankier Konrad Bächinger. "Das entwickelt sich hier beinahe zu einer Mini-Wall-Street", sagt er und deutet zum Fenster hinaus. Es ist erst einmal ein gewagter Vergleich. Denn Bächinger meint Pfäffikon, ein Schweizer Dorf. Es zählt 7083 Einwohner, 421 Post-Schließfächer und drei Fabrikruinen. Mittags herrscht auf den Straßen friedliche Ruhe. Doch hinter etlichen Fassaden jonglieren hier Banker mit Milliarden.

Für die Finanzminister ein Alptraum

Für ein paar Finanzakrobaten haben sich in Pfäffikon schon die Träume vom großen Geld erfüllt - ganz wie an der Wall Street. Für die Finanzminister der Nachbarstaaten ist das Dorf dagegen ein Albtraum: Wer hier statt zum Beispiel in Deutschland sein Domizil aufschlägt, kann Millionen an Steuern sparen. Und das freut auch nicht alle Einheimischen.

"Versuch' nicht, in das Zentrum von Pfäffikon zu fahren, du wirst nie ankommen", hatten Freunde gewarnt. Denn: Es gibt keines. In den siebziger Jahren und noch lange danach durften die Leute in Pfäffikon offenbar bauen, wie sie wollten.Sie bauten vor allem so, dass diese Grundstücke bis zum Äußersten ausgenutzt werden und maximalen Ertrag abwerfen. Dorfgestaltung interessierte keinen.

Der Ort selbst zumindest ist leicht zu finden: Er liegt nur 30 Minuten von Zürich entfernt, am anderen Ende des Sees. Früher war es die falsche Seite. "In meiner Jugendzeit hatten die Leute ein karges Leben", erinnert sich Bächinger, der in Sichtweite der Dorfes aufgewachsen ist. Noch heute heißt die Gegend des damaligen Industriesmogs wegen Pfnüsel- (Schnupfen-) Küste.

Mittlerweile aber liegt Pfäffikon ideal: Dank Autobahn und Schnellzug-Stopp dauert die Fahrt nach Zürich nur 30 Minuten, und am Flughafen ist man in 45 Minuten. "Von der Londoner City nach Heathrow braucht man länger", fällt Bächinger als erster Standortvorteil ein. Gleichzeitig liegt Pfäffikon hinter einem unsichtbaren Schlagbaum: Nicht mehr im Kanton Zürich, sondern in der Schwyz, einem Kanton, den Touristen gerne mit Heidi-Idylle assoziieren. Bei der EU-Kommission in Brüssel und bei manchen Unternehmensberatern ist die Schwyz dagegen wegen ihrer Steuervorteile bekannt.

Briefkastenfirmen boomen

So kommt es, dass die 421 Schließfächer im Postamt gar nicht ausreichen für die 7083 Einwohner. Auf den Briefkästen der Bürogebäude rundum stehen oft gleich drei oder vier Firmennamen untereinander. Ein Blick ins Handelsregister zeigt, dass nicht wenige der Firmen Deutschland-Bezug haben.

"Schauen Sie sich um", sagt Marco Walser, "der Platz für Industriefirmen ist bei uns knapp, deshalb gibt es natürlich viele Domizilgesellschaften." Domizilgesellschaft ist die politisch korrekte Umschreibung für Firmen, die nicht mehr tun, als Zinsen, Lizenzeinnahmen oder etwa Dividenden - vorwiegend aus dem Ausland - zu vereinnahmen. Walser kennt die Firmen des Ortes, schließlich ist er Treuhänder, im Nebenberuf amtiert er als Säckelmeister. Sprich, er ist das für Finanzen zuständige Gemeinderatsmitglied.

Die Briefkastenfirmen gehören zum Schweiz-Mythos wie das Bankgeheimnis, und inzwischen stehen sie unter massivem Beschuss aus Brüssel. Für Walsers Säckel bilden sie trotz ihrer großen Zahl nur ein dünn bestrichenes Zubrot. Weit mehr Geld bringen hier die Firmen, die tatsächlich in dem Dorf tätig sind.

Dazu gehört etwa der Hightech-Maschinenbaukonzern OC Oerlikon; er hat vor einigen Jahren sein Hauptquartier nach Pfäffikon verlegt. Im Neubau gegenüber residieren Bächinger und seine Mitarbeiter von der LGT Group; die LGT ist gewissermaßen die Privatbank des Fürstenhauses von Liechtenstein. In Pfäffikon, nur 45 Minuten entfernt vom Vaduzer Hauptquartier, verwaltet das Institut große Vermögen und legt Geld bei Hedgefonds und sogenannten Private-Equity-Fonds an, also bei Kapitalsammelbecken für Großanleger, die ihrerseits Geld wieder an der Börse, in Finanzwetten oder Firmen investieren.

Ein paar Häuser weiter, in einem blauen, vierstöckigen Neubau, residiert Man Investments, größter Arbeitgeber des Dorfes und wichtigste Tochtergesellschaft der Londoner Man Group. Diese wiederum gilt als einer der weltweit größten Anbieter von Hedge-Fonds. Noch drei weitere Bürogebäude belegt Man und beschäftigt in dem Dorf 520 Mitarbeiter - ungefähr so viele wie am Hauptsitz in London seit der Abspaltung des Handelsgeschäfts.

Unauffälliger hat sich Fondsmanager Rainer-Marc Frey einquartiert. Durch ihn ist das Schweizer Dorf vor fünf Jahren in der Finanzbranche weltweit bekannt geworden. "Wir hatten zunächst sechs schwierige Jahre", erinnert er sich an seinen Anfang in Pfäffikon. 1998 trat dann ein später geschasster Finanzchef der damaligen Schweizerischen Rentenanstalt in den Verwaltungsrat des Frey-Fonds ein. Von da an ging es bergauf: Die Versicherung übertrug dem Frey-Fonds die Verwaltung eines Milliardenvermögens bis zum Jahr 2009.

Später kaufte dann die Man-Gruppe, schon seit Jahren ein Nachbar von Frey, die Fondsgesellschaft - für sagenhafte 1,3 Milliarden Franken. Seitdem gilt Pfäffikon als Platz zum Reichwerden. Frey hat mittlerweile eine neue Fondsgesellschaft hochgezogen und gleich wieder einen "strategischen Partner" - diesmal die Swiss Re - gefunden.

Selbst George Soros, der in seinen Zeiten als Währungsspekulant die britische Zentralbank in die Knie zwang, hat inzwischen das Dorf entdeckt: Zusammen mit zwei Partnern gründete er in Pfäffikon die Glacier Re, ein Rückversicherungsunternehmen. Angelockt von den Erfolgen der Großen haben sich noch ein paar kleine Vermögensverwalter, Fondsgesellschaften, wenigstens acht Banken und 17 Treuhänder niedergelassen.

Finanzexperten aus 25 Nationen

Nimmt man alles zusammen, beschäftigt die Finanzbranche im Dorf etwa 1000 Angestellte und verwaltet ein Vermögen von mehr als 50 Milliarden Dollar. "Wir haben hier inzwischen gut 150 Leute. Sie kommen aus 25 Nationen." Im Jahr 2000, als die Entscheidung zum Aufbau des Standortes Pfäffikon fiel, sei es viel einfacher gewesen, "Experten aus aller Welt einzustellen als zu Hause in Liechtenstein", erzählt LGT-Bankier Bächinger. Andere Vorzüge preist jeder Manager dorfauf, dorfab: Die gute Verkehrsanbindung, die nette Lage am See und die Behörden, die sich vor allem als Dienstleister verstünden.

Ganz beiläufig fällt dann auch das Wort "Steuer". In der Schweiz hat jeder der 26 Kantone mehr oder weniger sein eigenes Steuersystem, und die meisten der 2900 Gemeinden können die Steuerlast gegenüber dem Kantonsdurchschnitt nochmals fühlbar senken. Für Briefkasten-Firmen sind die Steuern überall niedrig, aber für "echte" Unternehmen ist Pfäffikon eine wahre Oase.

"Bei uns zahlt eine Firma mit konstant einer Million Franken Jahresgewinn, einem Kapital von einer halben Million und ohne besondere Abzugsmöglichkeiten derzeit 153.000 Franken Steuer", rechnet Säckelmeister Walser vor. Grob geschätzt liegen die Unternehmensteuern damit beinahe so niedrig wie im Steuerparadies Irland. Doch dort wird es teuer, wenn sich ein Unternehmer dann eine Yacht oder ein kleines Cabriolet kauft - wenn er also den Gewinn ausschüttet.

In Pfäffikon dagegen bleibt die Steuerlast - dank eines neuen 75-Prozent-Rabatts für Dividendeneinkünfte - auch dann noch niedrig: Eine Million Franken als Dividende ohne weiteres Einkommen ausgeschüttet, bedeutet für eine vierköpfige Familie lediglich eine Steuerzahlung von 137.000 Franken. Selbst in der Steueroase Zug wären es 100.000 Franken mehr.

Die Nachbarstaaten, nicht zuletzt Deutschland, bauen immer neue Missbrauchsklauseln in die Steuergesetze ein, um Firmen- und Kapital-Verlagerungen in Steueroasen wie Pfäffikon zu verhindern. Doch eine neue Fondsgesellschaft oder ein neuer Rückversicherer müsse nicht in London oder München sitzen, "und bei uns lassen sich solche Unternehmen schnell auf die Schiene setzen", sagt Walser. Unausgesprochen meint er: "... und dagegen sind all eure neuen Paragraphen machtlos."

Seit Ende der neunziger Jahre gehört der Kanton Schwyz zu den Vorreitern beim Steuernsenken. Pfäffikon fiel das besonders leicht: Ein Großunternehmer hatte wegen einer Sonderausschüttung 20 Millionen Franken an die Gemeinde gezahlt - das entsprach damals beinahe dem halben Jahresetat und machte es möglich, mit den Steuern noch weiter herunterzugehen.

Harmonie und Idylle haben Steuer-Discount und Finanz-Boom dem Dorf nicht gebracht. Monument des Zwistes ist eine großflächige Fabrikruine in schönster Lage unten am See. Unversöhnlich stehen sich die Vorstellungen über die Zukunft des Areals gegenüber.

Der Hintergrund des Streits: Von Wertsteigerungen profitieren unter den Einheimischen vor allem die sieben Geschlechter, inzwischen 250 Personen, denen der Großteil des Grund und Bodens gehört. "Normale Leute können das hier nicht mehr bezahlen. Wenn wir noch ein Kind bekommen und eine größere Wohnung brauchen, müssen wir wegziehen", erzählt der Familienvater Robi Diethelm. Der Grund: Die gutverdienenden Banker haben die Mieten so hochgetrieben, dass viele Einheimische nicht mehr mithalten können.

"Das eine oder andere Pfäffikon wird noch entstehen"

Vom Unfrieden und davon, dass das Dorf eine Geldmaschine ohne Atmosphäre ist, dringt kaum etwas in die übrige Schweiz hinaus. Stattdessen ist Pfäffikon landesweit zu einem Symbol geworden: Kanton und Gemeinde haben die Steuersätze gesenkt, neue Firmen sind deshalb gekommen, und heute liegen trotz geringerer Belastung die Steuereinnahmen weit höher.

Diverse Kantone und Gemeinden folgen mittlerweile dem Beispiel von Pfäffikon. Bei Nidwalden und Obwalden haben internationale Steuerberater eher geschmunzelt: Zu tief liegen die beiden Mini-Kantone in den Bergen, als dass die Wall Street eines Tages dort einen Fortsatz bekäme. Bei Appenzell-Außerrhoden, dem neuesten Niedrig-Steuer-Kanton, könnte es anders kommen. Denn von dort ist es zur deutschen und zur österreichischen Grenze nicht weit, und St. Gallen liegt um die Ecke. "Das eine oder andere Pfäffikon", so prognostiziert der Ernst-&-Young-Steuerexperte Stefan Kuhn, "wird noch entstehen".

© SZ vom 15./16.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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