Steueroasen:Warum OECD-Länder im Kampf gegen die Geldflucht versagen

Cayman Islands

Ein Traum für Urlauber, aber ein Albtraum für Steuerbeamte: die Cayman Islands (Kaimaninseln) in der Karibik.

(Foto: Walter Bibikow/mauritius images)

Die OECD-Länder versprechen seit vielen Jahren das Austrocknen von Steueroasen. Getan wird wenig - aus triftigen Gründen.

Von Claus Hulverscheidt

Betrachtet man die Sache allein auf dem Papier, dann ist kein Bündnis der Welt so gut für den Kampf gegen Steueroasen und Kontotrickser gerüstet wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD. Insgesamt 37 Industrienationen von den USA über Deutschland bis Neuseeland gehören der Allianz an, es sind, vereinfacht gesagt, die 37 wohlhabendsten, wirtschaftsstärksten, mächtigsten Staaten des Planeten, lediglich China fehlt. Warum also kann die 1961 gegründete OECD dann nicht endgültig die Schließung des letzten Steuerparadieses vermelden, obwohl die Schaffung fairer Steuerregeln doch zu ihren Hauptzielen zählt? Eine Antwort liefert jetzt das Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network, TJN), ein weltweit tätiges unabhängiges Aktionsbündnis mit Sitz in London: Weil es die OECD-Länder selbst sind, die das Gros dieser Paradiese betreiben.

Nach TJN-Recherchen gehen der Staatengemeinschaft durch Gewinnverlagerungen und Steuertricksereien großer Konzerne und reicher Bürger Jahr für Jahr umgerechnet rund 360 Milliarden Euro an Einnahmen verloren. Etwa 205 Milliarden davon gehen auf das Konto von Unternehmen, die Gewinne so lange über Staatsgrenzen in Tochter- und Briefkastenfirmen verschieben, bis sie kaum noch oder gar nicht mehr versteuert werden müssen.

Die Aufgabe sollte den Vereinten Nationen übertragen werden, fordern Kritiker

Das Problem ist nicht nur, dass viele der Konzerne ihren Sitz und ihre politischen Kontakte in einem OECD-Staat haben. Vielmehr bieten sich manche diese Länder gar selbst als Steueroasen an, wie die TJN-Liste der zehn willfährigsten Unternehmenshelfer zeigt: Die Plätze eins bis sechs belegen die Britischen Jungferninseln, die Kaimaninseln, Bermuda (alle zu Großbritannien), die Niederlande, die Schweiz und Luxemburg - allesamt OECD-Staaten oder abhängige Gebiete. Insgesamt sind die Mitgliedsländer des Reichenklubs für 140 Milliarden Euro oder 68 Prozent aller Einnahmeausfälle verantwortlich, die der Weltgemeinschaft durch Gewinnverschiebung und Steuertricks von Firmen entstehen. Auf den Rängen sieben bis zehn folgen Hongkong, der britische Kronbesitz Jersey, Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate. Deutschland bekleidet den ebenfalls nicht rühmlichen Platz 23.

Aktivisten führender Nichtregierungsorganisationen übten scharfe Kritik an der OECD und ihren Mitgliedsstaaten. "Der OECD die Schaffung weltweiter Standards zur Besteuerung von Unternehmen anzuvertrauen, wo doch Mitgliedsländer eben dieser OECD zugleich für mehr als zwei Drittel aller missbräuchlichen Steuerpraktiken von Firmen verantwortlich sind, ist so, als würde man ein Wolfsrudel mit dem Bau des Zauns um den Hühnerstall beauftragen", erklärte Dereje Alemayehu, Koordinator der Globalen Allianz für Steuergerechtigkeit. Statt die Festlegung der Regeln "jenen zu überlassen, die sie gern dehnen", müsse die Aufgabe auf die Vereinten Nationen übertragen werden.

TJN-Chef Alex Cobham sagte, die OECD habe den Versuch aufgegeben, über ein faireres globales Steuerrecht auch für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Stattdessen habe die Organisation "auf Druck von Riesenkonzernen und mächtigen Steueroasen wie den Niederlanden und Großbritannien ein System geschaffen, das die Wünsche der reichsten Unternehmen und Bürger in den Mittelpunkt stellt".

Die britischen Überseegebiete sind vor allem dafür berüchtigt, Ausländern bei der Gründung von Briefkastenfirmen behilflich zu sein. Allein auf den Britischen Jungferninseln sollen mehr als 500 000 Unternehmen registriert sein - bei gerade einmal 28 000 Einwohnern. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit spricht von einem regelrechten "Spinnennetz Großbritanniens", das Akteuren am Finanzplatz London dazu diene, Gelder zu waschen oder vor dem Fiskus zu verstecken. "Kronjuwel" in diesem Netz seien die Kaimaninseln: Allein 2019 überwiesen ausländische Unternehmen noch einmal 15 Prozent mehr Geld dorthin als ein Jahr zuvor. Die Niederlande wiederum machten sich einen Namen als Steuerparadies, weil sie internationalen Unternehmen besonders trickreiche Steuergestaltungen erlaubten, wenn sich die Firmen dafür im Land ansiedelten.

Auch Deutschland spielt eine wenig ruhmreiche Rolle

Dass es auch Deutschland erneut auf einen Platz im Mittelfeld "schaffte" und sogar von Rang 24 auf 23 vorrückte, liegt ausgerechnet an einer Vorschrift, die Steuertricks eigentlich verhindern soll: dem sogenannten Country-by-Country-Reporting. Es verpflichtet Unternehmen dazu, Umsätze, Mitarbeiterzahlen und andere Kennziffern nach Ländern aufzuschlüsseln. So soll verhindert werden, dass Firmen in einem Land keinerlei Steuern zahlen, obwohl sie dort womöglich hohe Gewinne erwirtschaftet haben. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit moniert nun jedoch, Deutschland und Spanien hätten ihre eigentlich recht guten Regelwerke verwässert - auf Druck der OECD.

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