Süddeutsche Zeitung

Steuern für Reiche:Reden wir endlich über die Ausgaben

Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und linken Aktionsgruppen will "die Reichen" stärker an den Kosten der Finanzkrise beteiligen - vorzugsweise über höhere Steuern. Mit ihrer Argumentation vergeben die Akteure die Chance, eine wertvolle Debatte in Gang zu setzen. Denn Deutschland hat kein Einnahmenproblem. Stattdessen müsste die Politik dringend über die Ausgaben diskutieren.

Marc Beise

Das Wochenende ist üblicherweise die richtige Zeit, um wirtschaftspolitische Debatten voranzutreiben. Punktgenau gesetzt, können sich Vorstöße bis Montag so richtig entfalten. Von daher hat das lockere Bündnis von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Aktionsgruppen alles richtig gemacht, als es am Freitag eine große Umverteilungsdebatte gestartet hat. Zumal sich die Initiatoren nicht mit Kleinigkeiten zufriedengaben, sondern gleich eine ganze Hand voll Steuerarten ins Visier nahmen, um "die Reichen" angemessen an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen.

Doch das Echo bleibt verhalten. Man muss schon bis zu den üblichen Verdächtigen gucken, also der FDP und dem Steuerzahlerbund, um Widerspruch notieren zu können. Politikstrategen sprechen in diesem Fall von einem "Rohrkrepierer".

Warum das Ding nicht gezündet hat, kann vor allem zwei Gründe haben: Erstens, die Umverteiler sprechen so eindeutige Wahrheiten aus, dass kein vernünftiger Mensch sich engagieren mag. Oder, zweitens, ihre Vorschläge sind so abseitig, dass sich niemand ernsthaft mit ihnen befasst. Im konkreten Fall trifft beides zu.

Abseitig ist der Hinweis auf eine ungerechte Lastenverteilung ganz und gar nicht. Es ist offensichtlich, dass in den vergangenen Jahren in Deutschland die Schere zwischen "denen da oben" und "denen da unten" weiter auseinander gegangen ist. Längst nicht in dem Umfang wie in den Vereinigten Staaten, wohl aber mehr, als für eine soziale Marktwirtschaft verträglich ist. Nie gab es so viele Millionäre, ob aus Einkommen oder Vermögen, nie aber auch so viele Menschen, bei denen die monatlichen Bezüge gerade das Nötigste decken.

Schlimmer noch: Die beiden Lager verfestigen sich, der Aufstieg von unten nach oben fällt schwerer als früher. Insofern ist das Thema, welches das linke Bündnis auf die Tagesordnung zu setzen versucht, wichtig. Leider bleiben die Akteure ihrer Ideologie verhaftet und vergeben damit die Chance, eine wertvolle Debatte in Gang zu setzen.

Die Forderung, mal eben jede Menge Steuern zu erhöhen, wäre interessant, wenn Deutschland tatsächlich ein Einnahmenproblem hätte. Wenn die Steuerbelastung der Bessergestellten insgesamt so skandalös niedrig wäre wie in den USA. Hierzulande aber klettert der Zugriff des Staates allein bei der Einkommensteuer schon bei einem gutbürgerlichen Haushalt rasch auf am Ende 42 Prozent, von zahlreichen weiteren Steuern ganz zu schweigen. Das obere Viertel der Gesellschaft zahlt 80 Prozent des Einkommensteuer-Aufkommens. Hier noch stärker zuzulangen, wäre absolut falsch.

Dann aber wenigstens die Superreichen stärker zur Kasse zu bitten, mag in den südlichen Krisenländern angebracht sein, wo sie sich ihrer staatsbürgerlichen Pflicht häufig entziehen; in Deutschland ist das nur vereinzelt der Fall. Hier mit Aufschlägen von 75 Prozent operieren zu wollen à la Frankreich unter Präsident François Hollande, missachtet das Engagement, das viele Vermögende in Deutschland zugunsten von Unternehmen, Investitionen und Wohltätigkeiten erbringen. Es wäre auch töricht, weil das Geld dann sehr schnell aus dem Land verschwindet; in Frankreich soll es dafür schon erste Anzeichen geben.

Gesamtwirtschaftlich spricht ohnehin nichts für eine höhere Steuerbelastung. Die Steuerquote, also die Steuereinnahmen des Staates im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP), liegt bei mehr als 22 Prozent - ein Spitzenwert der vergangenen Jahrzehnte. In der jüngsten Boomphase strömten die Steuern nur so: So betrug im ersten Halbjahr 2012 das Plus bei der Lohnsteuer 5,5 Prozent, jenes aus der veranlagten Einkommensteuer für Selbständige bei 14,5 Prozent, bei der Körperschaftsteuer, die Kapitalunternehmen zahlen, gar 56 Prozent.

Ein Einnahmenproblem sieht anders aus. Stattdessen müsste dringend über Ausgaben diskutiert werden. Einerseits haben viele Kommunen Probleme, ihre Aufgaben zu finanzieren. Andererseits sind die Beispiele Legion, wo der Staat schlecht wirtschaftet - es gibt Etatverantwortliche, die das hinter vorgehaltener Hand auch zugeben.

Eine Debatte über Einnahmen und Ausgaben ist durchaus sinnvoll - wenn sie denn umfänglich geführt wird. Dann, aber nur dann, kann man auch darüber nachdenken, ob bestimmte Einkommen oder Vermögen anders behandelt werden müssen, ob also etwa die Erbschaftsteuer in Deutschland zu niedrig ist.

"Die Zeit ist reif für eine Umverteilung", sagt der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske. Mag sein. Aber nicht so billig, wie er sich das vorstellt.

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SZ vom 06.08.2012/luk
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