Süddeutsche Zeitung

Haushalt:Steuerüberschuss klingt gut, ist aber gefährlich

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Deutschland feiert die nächste schwarze Null. Dabei gibt es keinen Grund zum Feiern - im Gegenteil.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Neben der Exportstärke ist die schwarze Null der Stolz der deutschen Volkswirtschaft. Jetzt wird sie wieder gefeiert: Die neueste Steuerschätzung für 2019 ist da, und auch im kommenden Jahr sollen die Einnahmen des Staates die Ausgaben übersteigen. Der neue SPD-Finanzminister Olaf Scholz will wie CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble die schwarze Null. Es wäre der sechste deutsche Haushaltsüberschuss in Folge, seit 2014 ist der deutsche Staat aus den roten Zahlen. Das klingt schön und vernünftig. Das klingt historisch. Doch leider ist es vor allem ein historischer Fehler. Die Bundesregierung erhebt die schwarze Null zum Zweck an sich und gefährdet dadurch die Zukunft Deutschlands und im schlimmsten Fall sogar das globale Finanzsystem. Denn Staatsschulden sind besser als ihr Ruf.

Wenn Regierungen einen Kredit aufnehmen, gehen sie nicht zur Sparkasse, sondern verkaufen eine Staatsanleihe, beispielsweise für fünf Milliarden Euro. Dem Inhaber der Anleihe verspricht der Staat, das Geld in zwei oder zehn Jahren vollständig zurückzuzahlen. Die Investoren bekommen natürlich Zinsen. Das ist der normale Lauf der Dinge - doch im Fall der Bundesrepublik lief es in den vergangenen Jahren anders. Deutschland hat in den vergangenen Jahren teilweise gar keine Zinsen bezahlt, sondern welche von den Investoren bekommen: Die Finanzmärkte haben Deutschland Geld geschenkt, um Milliarden in Bundesanleihen investieren zu dürfen. In dieser Zeit nicht mehr Schulden aufzunehmen, ist grob unvernünftig. Wer Geld geschenkt bekommt, muss zugreifen. Deutschland hätte die zusätzlichen Milliarden gut für Zukunftsinvestitionen ausgeben können, für die besonders wichtige frühkindliche Bildung, für den Internetausbau, für Bundeswehr-Flugzeuge, die auch abheben.

Deutschland hat eine historische Chance vertan. Dass die Zinsen für die Bundesregierung nahe null oder sogar negativ sind, kommt so schnell nicht wieder. Die Europäische Zentralbank wird bald aufhören, Staatsanleihen aufzukaufen und dadurch die Zinsen zu drücken. Außerdem ist die Euro-Krise im Vergleich zu 2012 und 2015 eingedämmt. Investoren haben Geld aus Krisenländern abgezogen und in Deutschland investiert. Denn Staatsanleihen sind nicht irgendwelche Wertpapiere, sie sind das Rückgrat des Finanzsystems. Das wird oft übersehen. Banken und große Fonds, die unsere Altersvorsorge verwalten, brauchen Staatsanleihen wie normale Bürger Bargeld und Girokonto. Wenn ein Finanzinstitut 50 Milliarden Euro übrig hat, kann es diese Summe nicht einfach auf ein Sparkonto legen. Es muss das Geld irgendwo investieren, Staatsanleihen sind die relativ sichersten Finanzprodukte für große Investoren.

Weil die schwarze Null ein Dogma ist, hat Deutschland eine historische Chance verpasst

US-Präsident Bill Clinton hat die Staatsschulden Ende der Neunzigerjahre so stark gedrückt, dass es plötzlich realistisch erschien, sie in nur zwölf Jahren ganz abzubauen. Clintons Berater analysierten die Folgen für das Finanzsystem und stellten fest: Eine schuldenfreie USA würde das gesamte Finanzsystem in Gefahr bringen. Der Bericht blieb unter Verschluss - und die US-Schulden sanken nicht, sondern stiegen deutlich.

Allerdings: Zu hohe Staatsschulden sind gefährlich, das wissen nicht nur die Griechen, die immer noch unter der massiven Wirtschaftskrise leiden. Die Euro-Länder haben sich daher eine Schuldengrenze von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gegeben. Doch diese Zahl ist aus ökonomischer Sicht willkürlich und für viele Staaten zu niedrig. Mehr Schulden sind möglich, da würde keine Panik an den Finanzmärkten ausbrechen - wenn es klug gemacht wird. Gutes Schuldenmanagement muss den Wirtschaftszyklus berücksichtigen. Die deutsche Konjunktur läuft immer noch sensationell gut, manche sehen darin den besten Zeitpunkt, Kredite zurückzuzahlen. Doch die Minizinsen für den Staat schlagen dieses Argument. Will die Politik den Finanzmärkten signalisieren, dass sie seriös wirtschaftet, kann sie sich in einem überparteilichen Pakt verpflichten, nach dem Ende der Niedrigzinsphase die Schuldenaufnahme zu stoppen.

Der Staat ist kein schwäbischer Buchhalter, der sein Haus abbezahlen muss. Und Staatsanleihen sind keine Ratenkredite. Manchmal ist es für eine Gesellschaft besser, mehr auszugeben als einzunehmen. Das Dogma der schwarzen Null muss fallen.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2018
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