Süddeutsche Zeitung

Steuern 2015:Schäubles letzte Wohltaten

In der Flüchtlingskrise beruhigt Finanzminister Schäuble die Bundesbürger - in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler. Aber er nimmt ihnen auch eine Hoffnung.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Bund, Länder und Gemeinden sind solide finanziert und handlungsfähig. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nutzte am Donnerstag die Gelegenheit, für die nächsten Jahre weiter steigende Steuereinnahmen verkünden zu können, vor allem zu einem Zweck: zur Beruhigung. Die Ankunft all der Flüchtlinge, der Koalitionsstreit darüber und der Widerwille so vieler EU-Partner bei dem Thema hatten die Unsicherheit der Bürger über die Zukunft des Landes spürbar anwachsen lassen. Schäuble war in diesen Streitigkeiten bislang vor allem durch Abwesenheit aufgefallen. Seinen Auftritt nutzte der erfahrenste Politiker in der Regierung nun zur Deeskalation.

Schäuble will, dass Deutschland nicht nur weiterhin steigenden Steuereinnahmen entgegensieht, sondern ebenso einem ausgeglichenen Haushalt. Und weil sich die Bundesbürger darüber nun mal mehr als ihre europäische Nachbarn darüber freuen können, soll die Bundesrepublik auch im kommenden Jahr keine neuen Schulden machen, sondern alle Kosten für die Flüchtlinge aus den Überschüssen bezahlen, die ohne sie zu erwarten gewesen wären. Es ist dem Minister zugute zu halten, dass er diese Ankündigung aber auch unter einen gewissen Vorbehalt stellt. Niemand weiß ja, wie viele kommen und wie viele bleiben werden.

Die gute Nachricht: keine Erhöhung wegen der Flüchtlinge

Es ist nicht das erste Mal, dass ein deutscher Finanzminister Rekorde an Steuereinnahmen melden kann. Und trotzdem hat der Rekord in diesem Jahr für die Steuerzahler ganz andere Konsequenzen als früher: Sie dürfen sich keine Entlastungen mehr erhoffen. Anders als früher, als Schäuble oder seine Vorgänger wegen hoher Steuereinnahmen den Bürgern diverse Versprechen über Steuersenkungen fürs Wahljahr oder darüber hinaus machen konnte, besteht ab sofort für derlei keine Aussicht mehr. Alles Geld, was der Minister übrig hat, wird er brauchen, um die Ausgaben für die Flüchtlinge zu bezahlen.

Anfang 2016 wird es noch eine Mini-Entlastung der Bürger geben. Die Regierung beginnt mit dem Abbau der "kalten Progression" - diese Entlastung wird bis auf weiteres die letzte bleiben; abgesehen von jenen Wohltaten , denen der Finanzminister bereits vor Längerem zugestimmt hat und durch die er in den kommenden Jahren ohnehin weniger Verfügungsmasse hat. Der steuerliche Grundfreibetrag, der Kinderfreibetrag, die Renten: Das alles wird erhöht.

Diese Wohltaten könnten zusammen mit den nicht kalkulierbaren Kosten der Flüchtlingshilfe eben doch Schäubles Prestigeprojekt gefährden, den ausgeglichenen Etat beziehungsweise den mit Überschüssen. Ob das ein realistisches Ziel bleibt, muss aber noch aus einem weiteren Grund bezweifelt werden: Der Minister hat bisher lediglich die Kosten für nationale Aufgaben beziffert. Tunlichst hat er vermieden, auch die europäischen Aufgaben zu beziffern. Lange wird sich das nicht mehr hinauszögern lassen. Neben dem Bund, den Ländern und Gemeinden soll ja auch die EU handlungsfähig bleiben.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2015/jasch
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