Steuerlast und Steuerflucht:Wo vom Geld mehr übrig bleibt

Eine wachsende Zahl von Unternehmern denkt wegen hoher Steuern über Umzug ins Ausland nach. Experten fordern daher eine radikale Vereinfachung des Steuersystems: Statt 36 Steuerarten soll es nur noch vier geben.

Von Thomas Öchsner

(SZ vom 26.09.2003) -Im Gegenzug macht der Fiskus Schluss mit Steuervergünstigungen wie den Nacht- und Sonntagszuschlägen und anderen, beliebten Schlupflöchern. Am Donnerstag durfte Kirchhof sein Konzept für eine radikale Steuervereinfachung bei einem Treffen der Länderchefs in Berlin vorstellen. Rückendeckung für seine Ideen erhielt er in den vergangenen Tagen auch von einigen Bundesbürgern, die endgültig genug vom deutschen Steuerstaat haben.

Jüngst kündigte der schwäbische Molkereibesitzer Theo Müller an, er werde noch dieses Jahr wegen einer drohenden Erbschaftsteuer von 200 Millionen Euro seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegen. Dann ließ Ex-Tennis-Star Boris Becker verlauten, er wolle aus seinem Münchner Hotel in den Kanton Zug ziehen. Die beiden Prominenten sind keine Einzelfälle. Viele vermögende Bundesbürger haben Deutschland längst verlassen. Und viele Unternehmen sind dabei, es zu tun.

Infineon droht mit Abwanderung

Im April kündigte Erich Sixt, Chef der großen Autovermietung mit den flotten Werbesprüchen ("Geizixt"), an, mit seinem Auslandsgeschäft vor dem Fiskus unter das Dach einer Schweizer Holding zu flüchten. Steuerersparnis pro Jahr: 500.000 Euro.

Kurze Zeit später dachte Ulrich Schumacher, Vorstandschef des Chipherstellers Infineon, laut darüber nach, die Münchner Konzernzentrale in die Schweiz zu verlegen. Und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) versuchte kürzlich, mit einer Umfrage die Öffentlichkeit aufzurütteln. Danach erwägt fast jedes vierte Industrie-Unternehmen, in den nächsten drei Jahren Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern.

Nun spiegeln solche Umfragen zwar auch die schlechte Stimmung der Firmen wider. Und Unternehmenschefs haben schon immer gern mit ihrer Abwanderung und dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht, um sich steuerliche Vorteile zu sichern. Deutschland kann sich aber dem nicht entziehen, was etwa der Ökonom Rüdiger Parsche vom Münchner Ifo-Institut die "unterschiedliche Mobilität" von Kapital und Arbeit nennt.

Während die meisten Beschäftigten, Handwerksmeister und Gemüsehändler durch Arbeit, Haus oder Sprache an ihre Heimat gebunden sind, können sich größere Unternehmen weltweit den für sie günstigsten Standort aussuchen. Um dem vorzubeugen, wurden ausgerechnet Müller-Milch und Infineon mit Millionen-Subventionen für den Aufbau neuer Werke in Ostdeutschland belohnt. "Die Folge ist auch ein mörderischer Steuerwettbewerb", sagt Steuerexperte Parsche.

Börsennotierte Unternehmen drücken Steuerlast massiv

Einerseits ist die Abgabenlast für die Normalverdiener immer größer geworden; die Kaufkraft der privaten Haushalte sank nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2002 sogar unter das Niveau von 1991. Andererseits haben sowohl die Regierung Kohl wie auch die rot-grüne Koalition die Belastung der Gewinn- und Kapitaleinkünfte stetig gesenkt.

Vor allem für die Unternehmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, ihre Steuerschuld auf Jahre hinaus zu drücken. Keine der sieben Münchner Firmen, die Mitglied im Deutschen Aktienindex sind, zahlt derzeit Gewerbesteuer. Doch all dies scheint nicht auszureichen, um die Fluchtwelle zu stoppen.

Großer Wettbewerb unter EU-Staaten

"Ob Irland, Belgien, die Niederlande oder die Schweiz - wir sind von Staaten umgeben, die weitaus niedrigere Steuersätze haben als wir", sagt Parsche. Seiner Ansicht nach wird dieses Problem noch verstärkt, weil auch zukünftige Neu-Mitglieder der EU wie die Slowakei oder die baltischen Staaten mit Niedrig-Steuern um Unternehmen buhlen werden.

Der Ifo-Experte fordert deshalb eine einheitliche Mindeststeuer in Europa. Gleichzeitig müsse Deutschland den Faktor Arbeit endlich billiger machen, den Sozialstaat reformieren und aufpassen, dass traditionelle Wettbewerbsvorteile wie etwa die Bildung nicht verloren gehen. "Sonst werden wir nach unten durchgereicht", warnt Parsche.

Steuervereinfacher Kirchhof dürfte es trotzdem schwer haben, sich durchzusetzen. Bisher ist noch jede Steuerreform, die diesen Namen verdient hätte, am Widerstand der Lobbyisten und Interessengruppen gescheitert.

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