Steuergerechtigkeit:Warum das Steuersystem nie einfach und gerecht sein wird

Steuergerechtigkeit: Vizekanzler Rösler und Kanzlerin Merkel: Steuervereinfachung ist keine leichte Aufgabe

Vizekanzler Rösler und Kanzlerin Merkel: Steuervereinfachung ist keine leichte Aufgabe

(Foto: dpa)

Gesetze entwirren? Ausnahmen streichen? Sehr gerne - aber bitte nicht bei mir! Und nicht bei den kleinen Leuten, nicht beim Mittelstand und nicht bei Katzenliebhabern! Besitzstände sind das eine. Dass das Steuersystem kompliziert und anfällig für Bauernschlaue ist, hat andererseits auch gute Gründe. Bis auf Weiteres hilft dagegen nur der Rasenmäher.

Ein Plädoyer von Claus Hulverscheidt, Berlin

Zu den beliebten Bonmots in steuerpolitischen Diskussionen gehört die Behauptung, dass wegen der Komplexität des hiesigen Systems zwei Drittel der auf der Welt existierenden Steuerliteratur in deutscher Sprache abgefasst seien. Das Schöne an dem Mythos ist, dass ihn niemand widerlegen kann. Ob die Aussage stimmt, weiß kein Mensch (mehr dazu hier).

Tatsache ist: Das deutsche Einkommensteuersystem ist vor allem deshalb so kompliziert, weil es versucht, die Vielschichtigkeit der Lebensverhältnisse abzubilden und so dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerecht zu werden. Wer etwa einen weiten Weg zur Arbeit hat, erhält dafür über die Pendlerpauschale einen Steuernachlass. Gleiches gilt für Menschen, die nachts, an Wochenenden oder im Schichtdienst arbeiten oder die viel Geld für eine aufwendige medizinische Behandlung ausgeben müssen. Das Problem ist allerdings: Jede Sonderregelung provoziert Missbrauch, den der Gesetzgeber dann wieder einzudämmen versucht - mit noch mehr Paragrafen.

Recherche

"Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?" Diese Frage hat unsere Leser in der ersten Abstimmungsrunde unseres neuen Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von am Ende mehr als zwei dutzend Beiträgen, die die Fragen beantworten sollen. Alles zum Thema Steuergerechtigkeit finden Sie hier, alles zu Die Recherche finden Sie hier.

Einfach, niedrig und gerecht?

Der so entstandene Wirrwarr hat die Parteien seit jeher zu knalligen Wahlkampfslogans animiert. Der eingängigste Spruch der letzten fünfzehn Jahre lautet: "Einfach, niedrig und gerecht!" Vor allem Politiker von Union und FDP haben ihn unzählige Male heruntergebetet. Er klingt so, als habe da jemand das geheime Rezept für die Quadratur des Kreises entdeckt. In Wahrheit fielen die Mitte-Rechts-Parteien auf die Illusionskünstler Friedrich Merz und Hermann Otto Solms herein, die steuerpolitischen Vordenker jener kurzen marktliberalen Epoche, die vor gerade einmal fünf Jahren endete, uns heute aber schon so unendlich weit entfernt erscheint.

Umgesetzt wurden Merz' und Solms' Ideen nie, was kein Wunder ist, denn die Quadratur des Kreises kann bekanntlich nicht gelingen. Entsprechend kann auch ein Steuersystem nicht gleichzeitig einfach und gerecht sein, jedenfalls dann nicht, wenn unter Gerechtigkeit wie bisher weitgehende Einzelfallgerechtigkeit verstanden wird. Das Gegenteil ist wahr: Das Steuerrecht ist entweder einfach ODER gerecht.

Wer es einfach haben will, der muss auf viele Spezialregelungen vollständig verzichten oder sie zumindest durch Pauschalen ersetzen. Einfacher wäre das, aber auch gerechter? Drauf zahlen würde nämlich ausgerechnet die hart arbeitende Krankenschwester im Schichtdienst, die - um einen Job zu haben - einen weiten Weg zur Arbeit in Kauf nimmt. Umgekehrt entsteht das gleiche Problem: Je stärker der Staat versucht, die Lebenswirklichkeit des Einzelnen im Steuerrecht abzubilden, desto tiefer wird das Dickicht aus Spezial- und Ausnahmeregelungen. Am Ende ist das System gerecht und ungerecht gleichermaßen, weil es einerseits besonderen Lebenssituationen Rechnung trägt, andererseits so verworren ist, dass die Bauernschlauen des Landes die Sonderregeln für eigene Zwecke missbrauchen.

Auszug aus dem Buch
Eine Frage der Gerechtigkeit!

Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Streitschrift "Eine Frage der Gerechtigkeit - ein Plädoyer für ein faires Steuersystem" von Claus Hulverscheidt, dem Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion im Berliner Parlamentsbüro. Über das Thema können Sie am Freitag, dem 26. Juli um 11 Uhr mit dem Autor diskutieren. Hier der Link zur entsprechenden Seite. Sie können bereits vorab Fragen und Ihre Perspektive einbringen, via Facebook, Twitter oder E-Mail.

"Eine Frage der Gerechtigkeit! Ein Plädoyer für ein faires Steuersystem" von Claus Hulverscheidt, Süddeutsche Zeitung Edition, 1. Auflage, im Buchhandel oder versandkostenfrei im SZ Shop, 4,90 Euro.

Steuern vereinfachen? Das gibt Applaus - und dann ein paar Watschn

Wer ankündigt, das Steuerrecht zu vereinfachen und Ausnahmen zu streichen, erhält am ersten Tag kräftigen Applaus - und am zweiten ein paar ebenso kräftige Watschn. Solange die Diskussion abstrakt bleibt, ist jeder für Steuervereinfachung. Steht aber plötzlich das eigene Privileg auf dem Prüfstand, ist das Geschrei groß. Selbstverständlich, so heißt es dann, müssen Subventionen abgebaut werden - aber doch bitteschön nicht bei mir! Doch nicht bei den kleinen Leuten! Nicht bei den Familien! Nicht beim Mittelstand! Nicht bei Katzenliebhabern!

Steueraufkommen

Woher kommt das Geld? Die Grafik schlüsselt das Steueraufkommen in Deutschland nach Steuerarten auf.

(Foto: sde)

Ein gutes Beispiel ist die weitgehende Steuerfreiheit von Nacht-, Schicht- und Feiertagszuschlägen, von der zum Beispiel der Mitarbeiter eines Autoherstellers oder eine Stewardess profitiert. Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund dafür, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler Nacht- und Schichtarbeit subventioniert und den Arbeitgebern die Kosten für die Zuschläge teilweise abnimmt. Ein Betrieb, der meint, er müsse auch nachts und am Wochenende produzieren, soll gefälligst selbst dafür bezahlen! Wer aber nun das Ende dieser Ausnahmeregelung fordert, wird nicht etwa gefeiert, sondern gerät im Gegenteil in den größten anzunehmenden Shitstorm, selbst dann, wenn er gleichzeitig eine Senkung der Steuersätze verspricht. "Die Stewardess soll die Steuersenkung für den Chefpiloten bezahlen" - so und ähnlich werden die Überschriften in den Zeitungen und die Eintragungen in den sozialen Netzwerken lauten. Kein Politiker hält eine solche Kampagne länger als eine Woche durch.

Land der Besitzstandswahrer

Durch Steuersubventionen gingen dem Staat im Jahr 2012 gut 25 Milliarden Euro an Einnahmen verloren. Zu den größten Posten zählten die Mehrwertsteuerermäßigung für Kulturgüter, die Stromsteuernachlässe für energieintensive Unternehmen und der gerade diskutierte Einkommensteuernachlass für Nacht- und Schichtzuschläge, der allein mit 2,2 Milliarden Euro zu Buche schlug. Die Frage, welche dieser teuren Vergünstigungen gesamtgesellschaftlich betrachtet wirklich sinnvoll sind, wird jedoch ebenso selten gestellt wie die, ob nicht beispielsweise auch die Pendlerpauschale und das Ehegattensplitting in Wahrheit Subventionen sind.

Eine Kultur des Infragestellens, des Überprüfens gibt es nicht, vielmehr sitzt jeder auf seinen Besitzständen. Das Bundesfamilienministerium etwa weigerte sich jahrelang schlichtweg zu sagen, wie viele staatliche Leistungen für Ehepaare, Eltern und Kinder es überhaupt gibt. Seit Januar 2013 weiß man: Es sind 156! In einem Gesamtvolumen von exakt 200 Milliarden Euro! Man braucht in den Bericht gar nicht hereinzuschauen, um zu wissen, dass es hier Reformmöglichkeiten gibt. Passiert ist jedoch bisher nichts.

Der verpönte Rasenmäher

Wer sich gezielt eine einzelne Subvention heraussucht, um sie abzuschaffen, wird in neun von zehn Fällen scheitern. Deshalb hilft bis auf weiteres nur ein Werkzeug, das ebenso wirksam wie verpönt ist: der Rasenmäher, eine gleichmäßige Kürzung praktisch aller Subventionen um beispielsweise zehn Prozent also. Der Einsatz dieses sperrigen Gartengeräts mag unpolitisch sein, aber zumindest kann keine Interessengruppe - von der stromintensiven Industrie über die Landwirte und die Betreiber von Windkraftanlagen bis zu den Schnittblumenhändlern - behaupten, schlechter als alle anderen behandelt zu werden. Außerdem hindert den Staat ja niemand daran, das eingesparte Geld wieder zur Förderung sinnvoller Projekte einzusetzen - dann aber zielgerichtet, zeitlich befristet und transparent.

Auszug aus dem Buch
Eine Frage der Gerechtigkeit!

Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Streitschrift "Eine Frage der Gerechtigkeit - ein Plädoyer für ein faires Steuersystem" von Claus Hulverscheidt, dem Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion im Berliner Parlamentsbüro. Über das Thema können Sie am Freitag, dem 26. Juli um 11 Uhr mit dem Autor diskutieren. Hier der Link zur entsprechenden Seite. Sie können bereits vorab Fragen und Ihre Perspektive einbringen, via Facebook, Twitter oder E-Mail.

"Eine Frage der Gerechtigkeit! Ein Plädoyer für ein faires Steuersystem" von Claus Hulverscheidt, Süddeutsche Zeitung Edition, 1. Auflage, im Buchhandel oder versandkostenfrei im SZ Shop, 4,90 Euro.

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