Steuerflucht von Konzernen:Neue Steuer-Schlupflöcher für Amazon, Apple und Ikea

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Apple verkauft iPhones - und zahlt wenig Steuern

(Foto: AFP)

Eigentlich wollen Europas Regierungen gemeinsam gegen die Steuertricks der Konzerne vorgehen. Doch nun fallen einige Staaten den anderen in den Rücken - und führen sogar neue Schlupflöcher ein.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Der 6. September 2013 war für Angela Merkel ein Tag der Abwechslung. Stundenlang hatte die Kanzlerin beim Gipfeltreffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in St. Petersburg vergeblich um eine gemeinsame Position zum Syrien-Konflikt gerungen. Da tat es gut, dass am Abend bei einem Glas Wein wenigstens Wolfgang Schäuble einen Erfolg verkünden konnte: Die G-20-Finanzminister hätten beschlossen, berichtete der Ressortchef, sich von international tätigen Konzernen in Steuerfragen nicht mehr gegeneinander ausspielen zu lassen. Mit den Gewinnverschiebereien zulasten des Fiskus müsse Schluss sein.

Bis heute spricht Schäuble in Interviews über die BEPS-Initiative, wie der Kampf gegen Steuertricksereien im Beamtenjargon genannt wird. Das Problem ist nur: Die Wirklichkeit hält mit den Gipfelbeschlüssen nicht Schritt, ja schlimmer noch, sie läuft ihnen sogar zuwider. Statt Steuervorschriften abzuschaffen, mit denen man andere schädigt, haben mehrere Staaten in den vergangenen Jahren neue eingeführt oder planen dies sogar noch. Das geht aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf einen Fragen-Katalog der Grünen-Fraktion hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Nach Schätzungen von Experten gehen dem deutschen Fiskus durch die Tricksereien großer Konzerne pro Jahr mindestens fünf Milliarden Euro verloren. Weil die Multis ihre Gewinne über Grenzen verschieben können, zahlen sie, gemessen an der Betriebsgröße, 30 Prozent weniger Steuern als Firmen, die nur in Deutschland tätig sind. Zum Schaden für den Staat kommt also noch ein Wettbewerbsnachteil für kleinere Betriebe hinzu.

In dem Fragenkatalog der Grünen geht es vor allem um die Probleme, die sogenannte Lizenz- oder Patentboxen verursachen. Dahinter verbirgt sich das Angebot eines Staats an Unternehmen, Lizenzeinnahmen zu einem deutlich günstigeren als dem regulären Satz zu versteuern. Eine Offerte, die Konzerne gern annehmen: So mussten zum Beispiel die deutschen Häuser des Möbelhändlers Ikea über viele Jahre horrende Lizenzgebühren für die Nutzung des Firmennamens an eine Schwestergesellschaft im Ausland zahlen, die das Geld dann mithilfe der Patentbox günstig versteuerte. Der deutsche Staat hingegen ging praktisch leer aus. Ähnliche Praktiken soll es bis heute bei großen Konzernen wie Amazon, Apple und Starbucks geben.

Wie aus dem Schreiben des Finanzministeriums hervorgeht, haben in Europa zwölf Staaten Lizenz- oder Patentboxen eingerichtet, darunter zehn EU-Länder sowie Liechtenstein und die Schweiz (Kanton Nidwalden). Malta und Zypern verlangen auf Lizenzeinnahmen überhaupt keine Steuern, Liechtenstein 2,5, die Niederlande fünf, Luxemburg 5,7 und Belgien 6,8 Prozent. Die regulären Unternehmenssteuersätze sind in diesen Ländern viel höher. In Deutschland werden rund 30 Prozent fällig, auch auf Lizenzeinnahmen.

Zuletzt hinzugekommen sind Großbritannien und Portugal, die Schweiz plant sogar eine neue Initiative zum Schaden aller anderen: "Die Bundesregierung sieht Patentboxen kritisch. Es bestehen Bedenken, dass es durch die steigende Zahl von Patentboxregelungen zunehmend zu einem volkswirtschaftlich schädlichen Steuerwettbewerb kommt, der das Besteuerungsniveau insbesondere für international operierende Unternehmen absenkt", heißt es in dem Ministeriumsschreiben.

Dank Großbritannien könnte Pfizer eine Milliarde Euro Steuern sparen

Aus Sicht der Grünen ist besonders das Verhalten des britischen Finanzministers George Osborne beschämend. Dieser hatte noch im März 2012 gegenüber Mitgliedern des Bundestagsfinanzausschusses versichert, der Kampf gegen Steuertricksereien müsse verschärft werden. Wenige Wochen später wurde bekannt, dass er selbst eine Lizenzboxregelung plant. "Das ist eine Unverschämtheit", sagt der Grünen-Finanzexperte Thomas Gambke, der wahrlich nicht zu Kraftmeierei neigt. Die Bundesregierung sieht Gambke in einem milderen Licht, fordert aber auch von ihr, mehr internen wie öffentlichen Druck auf die Partnerländer auszuüben. Notwendig seien zudem ein europaweit einheitlicher Mindeststeuersatz von beispielsweise 15 Prozent auf alle unternehmerischen Einkünfte sowie nach Ländern aufgeteilte Bilanzen.

Die Bundesregierung hält sich bedeckt, was sie zu tun gedenkt, sollte es weiterhin keine Fortschritte geben. Dem Schreiben zufolge wäre es theoretisch denkbar, Lizenzzahlungen aus Deutschland ins Ausland mit einer Quellensteuer zu belegen oder zumindest nicht mehr als Betriebsausgabe anzuerkennen. Völlig machtlos, so das Signal, wäre man also nicht.

Königliche Steueroase

Von Björn Finke, London

Das lohnt sich: Gut eine Milliarde Euro Steuern könnte der US-Pharmakonzern Pfizer pro Jahr sparen, wenn er wie ein britisches Unternehmen besteuert würde. Das haben Analysten der Großbank Barclays ausgerechnet. Diese Zahlenspielerei könnte durchaus Wirklichkeit werden, denn der Viagra-Produzent will für 77 Milliarden Euro Astra-Zeneca übernehmen, einen Rivalen aus dem Vereinigten Königreich. Gelingt der Deal, planen die Amerikaner, ihren steuerrechtlichen Firmensitz in die Heimat des Fusionspartners zu verlegen, nach Großbritannien. Die Konzernzentrale würde zwar in New York bleiben, jedoch ginge der amerikanische Fiskus leer aus.

Besonders ein Detail des britischen Steuerrechts preisen die Amerikaner als "attraktiven Anreiz" für einen Umzug: die Patentbox, eine Steuersubvention, die seit einem Jahr gilt und dank der Unternehmen auf Gewinne aus Patenten weniger Abgaben zahlen. Pharmakonzerne wie Pfizer oder Astra-Zeneca forschen und patentieren viel, daher hilft ihnen diese Subvention besonders. Der Abzug vom normalen Steuersatz wird in den kommenden drei Jahren schrittweise vergrößert, von 2017 an sind nur noch zehn Prozent Steuern auf Gewinne aus Patenten fällig, die Hälfte des üblichen Körperschaftsteuersatzes im Königreich.

Mit diesem Anreiz will Schatzkanzler George Osborne die Firmen zu mehr Forschung treiben, doch Kritiker warnen, das teure Geschenk werde nicht zu mehr Innovationen führen, sondern vor allem Tricksern helfen: Unternehmen, die keine neuen Forscher einstellen, aber Gewinne aus ihren Patenten dank cleverer Konstruktionen in Zukunft in Großbritannien versteuern lassen, statt etwa in Deutschland oder den Vereinigten Staaten.

Die OECD und die Europäische Kommission sehen Osbornes Patentbox daher kritisch, die Brüsseler Behörde hat London bereits um weitere Informationen gebeten. Die Kommission könnte die Subvention als illegale Staatsbeihilfe bewerten, auch wenn die britische Regierung betont, ihre Patentbox sei weniger umfassend als ähnliche Regelungen anderer Staaten.

Osborne vertraut aber ohnehin nicht nur auf seine Patentbox, um Investoren anzulocken: Der Schatzkanzler hat die Körperschaftsteuer deutlich kappen lassen - von 28 Prozent im Jahr 2012 auf 21 Prozent, vom kommenden Jahr an sind dann nur noch 20 Prozent fällig. Davon profitieren alle Unternehmen, nicht bloß die Inhaber von vielen Patenten. Die niedrigen Sätze zeigen bereits ihre Wirkung: Bei Sergio Marchionne zum Beispiel. Der Chef von Fiat-Chrysler verkündete jetzt, den Konzernsitz nach London zu verlegen. Unter anderem aus steuerlichen Gründen.

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