Süddeutsche Zeitung

Steuerermittlungen:US-Finanzminister attackiert die EU ungewöhnlich scharf

  • Das US-Finanzministerium nimmt die Steuerermittlungen der EU-Kommission gegen amerikanische Konzerne auseinander.
  • In einem Papier wirft Washington den Wettbewerbshütern in Brüssel vor, sich wie eine "supranationale Steuerbehörde" aufzuspielen.
  • Eine Bank hat ausgerechnet, dass Apple womöglich bis zu 19 Milliarden Dollar zurückzahlen muss.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Dieser Angriff hat es in sich. Auf 25 Seiten nimmt das US-Finanzministerium die Steuerermittlungen der EU-Kommission gegen amerikanische Konzerne auseinander. Auch wenn manche Argumente nicht gerade neu sind, die Schärfe der Worte ist es allemal: Das Papier aus Washington wirft den Wettbewerbshütern in Brüssel vor, sich wie eine "supranationale Steuerbehörde" aufzuspielen, die internationale Vereinbarungen zur Bekämpfung von Steuerflucht gefährde. Das US-Ministerium prüfe "eventuelle Antworten, wenn die Kommission an ihrem aktuellen Kurs festhält". Konkreter wird es nicht. Und doch klingt es wie eine Drohung - so ist es auch gemeint.

Zufall ist es ohnehin keiner, dass dieses White Paper am Mittwoch in Washington veröffentlicht wurde. Die Europäische Kommission befindet sich zurzeit in den letzten Zügen einer Untersuchung, die eines der mächtigsten US-Unternehmen teuer zu stehen kommen könnte: Apple. Die Brüsseler Behörde hat die Steuerpraktiken des Technologiekonzerns in der Europäischen Union analysiert, im September will EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ihr Urteil fällen.

"Unverhältnismäßig ins Visier genommen"

Einer Berechnung der Investmentbank JP Morgan zufolge könnte Apple gezwungen werden, 19 Milliarden Dollar zurückzuzahlen.

Die Firma aus Kalifornien soll, so der Verdacht der Kommission, von Steuervergünstigungen in Irland profitiert haben, die gegen EU-Recht verstoßen. Vestager und ihre Beamten prüfen bereits seit Jahren, mit welch lukrativen Deals EU-Staaten Konzerne ins Land locken. Bereits im Herbst verklagte die Kommission Luxemburg und die Niederlande. Beide Länder sollen Millionen von Starbucks und einer Fiat-Chrysler-Tochter zurückverlangen, die sie den Firmen als illegale Staatshilfe gewährt hatten. Beide Unternehmen gingen gegen diese Entscheidung vor Gericht.

Die Regierung in Washington sieht die Brüsseler Wettbewerbspolitik schon länger äußerst kritisch. Ein halbes Jahr ist es nun her, da schrieb US-Finanzminister Jacob Lew seine Sicht der Dinge auf und schickte einen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Lew beschwerte sich darüber, dass die Brüsseler Behörde gerade US-Konzerne "unverhältnismäßig ins Visier genommen" habe. Seiner Meinung nach geht die Europäische Union im Kampf gegen Steuervermeidungspraktiken übermäßig streng gegen amerikanische Unternehmen vor. Schon damals warnte Lew vor einem "beunruhigenden Präzedenzfall" in der internationalen Steuerpolitik. Der Finanzminister forderte die Kommission auf, ihre Untersuchungen zu überdenken.

"EU-Recht gilt gleichermaßen für alle in Europa tätigen Unternehmen"

Die Antwort aus Brüssel kam postwendend. EU-Kommissarin Vestager beschrieb darin ihre Hoffnung, dass auf beiden Seiten des Atlantiks in einem wichtigen Punkt Einverständnis bestehe: Nämlich dann, wenn eine nationale Steuerbehörde bestimmten Unternehmen eine weitaus vorteilhaftere Behandlung zukommen lässt als anderen Firmen im selben Land. Dies, so heißt es in dem Brief von Vestager, "kann den fairen Wettbewerb extrem verzerren". Ein Sprecher der Europäischen Kommission unterstrich diese Sichtweise am Donnerstag: "EU-Recht gilt gleichermaßen für alle in Europa tätigen Unternehmen - egal ob groß oder klein."

In Brüssel verweist man außerdem darauf, dass von einer "angeblichen Ungleichbehandlung" amerikanischer Unternehmen schon deshalb keine Rede sein könne, weil die Kommission sich jüngst das Steuerregime Belgiens vorgenommen habe. Konzerne sollen in dem Land unzulässige Steuervorteile erhalten haben und nun 700 Millionen Euro nachzahlen. Betroffen sind 35 multinational tätige Unternehmen. Welche Firmen die Steuern nachzahlen sollen, gab die EU-Kommission nicht bekannt. Es handele sich aber vornehmlich um Unternehmen aus Europa.

Das Finanzministerium in Washington beeindruckt das überhaupt nicht. Im aktuellen White Paper werfen die Amerikaner den Europäern erneut vor, unfaire und "zerstörerische" Präzedenzfälle schaffen zu wollen. Die für EU-Wettbewerbsfälle zuständige Generaldirektion würde ihre Rolle über das Wettbewerbs- und Beihilferecht hinaus erweitern, hin zu einer "supranationalen Steuerbehörde, die Mitgliedsstaaten bewertet". Immerhin gibt das US-Finanzministerium offen zu, dass die Kritik an der EU-Kommission nicht ganz uneigennützig ist. Die Nachzahlungen könnten nämlich im Falle einer erwogenen Steuerreform die Steuerlast der Unternehmen in den USA entsprechend verringern, heißt es in dem Papier.

Was den Fall Apple betrifft, so weist der Konzern alle Vorwürfe aus Brüssel von sich. Die Kalifornier betonten immer wieder, dass sie sich an alle gesetzlichen Regeln hielten. Sollte die EU-Kommission ihre Drohung aber tatsächlich wahrmachen, sind sowohl Apple als auch das betroffene Irland bereit, gegen eine Entscheidung der Behörde vor Gericht zu ziehen.

Für EU-Kommissarin Vestager wird der Gegenwind aus Amerika also anhalten. Das gilt auch im Fall einer weiteren Untersuchung gegen Luxemburg, wo die Kommission ebenfalls verbotene Staatshilfe für einen US-Konzern vermutet: Amazon. Und dann gibt es noch Ermittlungen, die zwar anders gelagert sind, aber wiederum ein Unternehmen aus den Vereinigten Staaten überprüfen. Vestager untersucht, ob Google seine Marktmacht ausnutzt, um Konkurrenten auszustechen. In Washington ist man überzeugt, dass auch diese Aktion aus Brüssel ein klares Ziel verfolgt: die ökonomische Macht der USA mit politischen Entscheidungen zu schwächen.

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SZ vom 26.08.2016/hgn
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