Süddeutsche Zeitung

Erbschaft:Steuerpflicht bis über den Tod hinaus

Erben müssen die letzte Steuererklärung für Verstorbene übernehmen. War der oder die Tote schon in Rente, drohen oft happige Nachzahlungen.

Von Berrit Gräber

Das war ein trauriges Corona-Jahr 2020: Bis kurz vor Weihnachten sind in Deutschland weit über 946 500 Menschen gestorben, fast 34 000 mehr als im Schnitt der Jahre 2016 bis 2019 in diesem Zeitraum, wie das Statische Bundesamt vor wenigen Tagen berechnet hat. Millionen Angehörige trauern um ihre Lieben. Die, die geerbt haben, bekommen es auch noch häufig mit dem Finanzamt zu tun, und zwar nicht allein wegen fälliger Erbschaftsteuern. Auch die letzte Steuererklärung für den Toten bleibt an den Erben hängen. "Angehörige fallen meist aus allen Wolken, wenn sie erfahren, dass sie auch die steuerlichen Pflichten geerbt haben", sagt Sigurd Warschkow, Leiter der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer in Gladbeck. Bestenfalls kriegen sie Geld zurück. Schlimmstenfalls müssen sie viele Zehntausend Euro nachzahlen, vor allem, wenn der oder die Verstorbene schon in Rente war. "Das erleben wir häufig, die Fälle nehmen zu", berichtet Warschkow.

Was auf Angehörige zukommen kann

Viele Hinterbliebene sind überrascht: Auf Erben gehen sämtliche Rechte und Pflichten nach dem Tod des Vaters, der Mutter, der Tante über - selbst die Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt. Mit dem sind offene Steuersachen nicht etwa aus der Welt geschafft. Was konkret bedeutet: Es ist Aufgabe der Erben, rechtzeitig an die letzte Einkommensteuererklärung zu denken, wie Isabel Klocke vom Bund der Steuerzahler in Berlin erklärt. War der oder die Tote noch berufstätig oder hatte zwischen Jahresbeginn und Todestag steuerpflichtige Einkünfte, die noch nicht besteuert wurden, ist die Abrechnung mit dem Finanzamt unvermeidlich. Die Erben müssen die Steuererklärung dann in seinem Namen einreichen und mit ihrem Namen unterschreiben. Dieser Aufgabe können sie sich nur entziehen, wenn sie das Erbe ausschlagen.

Was für Erben zu tun ist

Ein Alleinerbe muss sich selbst um die Steuererklärung für die oder den Verstorbenen kümmern. Eine Erbengemeinschaft muss sich auf jemanden einigen, der die Abgabe erledigt. Soll ein Lohnsteuerhilfeverein oder ein Steuerberater übernehmen, müssen alle Miterben zustimmen, wie Christina Georgiadis von der Vereinigten Lohnsteuerhilfe (VLH) erläutert. Ihr Rat: Vorsicht beim Wegwerfen von Papieren. Wird die Bleibe eines Toten geräumt, sollten Erben sicherstellen, dass keine Belege fürs Finanzamt verloren gehen. Das kann bares Geld wert sein. Wichtig: Für die letzte Steuererklärung ist die vorletzte hilfreich. Sie bringt Aufschluss, welche Einkünfte und welche Kosten da waren, zum Beispiel für Fahrten, Krankheit, Handwerker, Spenden, Versicherungen. Zuständig für die letzte Steuererklärung ist das Finanzamt in der Stadt oder in dem Bezirk, wo der Verstorbene zuletzt gemeldet war.

Wann mit einer Rückerstattung zu rechnen ist

War die oder der Tote bis zuletzt berufstätig, dann ist die bereits einbehaltene Lohnsteuer in der Regel zu hoch angesetzt. Ausgaben dürfen gegenrechnet werden. Im Normalfall gibt es dann Geld zurück, das die Erben bekommen. "Bei jünger versterbenden Menschen, die noch im Berufsleben waren, können sich Erben in der Regel auf eine Steuererstattung einstellen", sagt Warschkow. Überlebende Ehegatten profitieren vom sogenannten Witwensplitting. Das ist eine Zusammenveranlagung wie in der Ehe, obwohl es keine Ehegemeinschaft mehr gibt, wie Klocke erläutert. Der günstigere Splittingtarif gilt noch für das Todesjahr und das darauffolgende Kalenderjahr. Auch bei der Steuererklärung für Tote sind Abgabefristen einzuhalten. Ist der Vater oder die Tante beispielsweise im Juni 2020 gestorben, muss die Steuererklärung bis spätestens 31. Juli 2021 beim Finanzamt sein. Wer sich vom Lohnsteuerhilfeverein oder Steuerberater helfen lässt, hat Zeit bis Ende Februar 2022.

Wann sich eine freiwillige Steuererklärung lohnt

Hat ein verstorbener Arbeitnehmer Steuern gezahlt, war aber nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet, sollten Angehörige überlegen, freiwillig mit dem Finanzamt abzurechnen, rät Warschkow. Auch in diesen Fällen lässt sich zu viel Bezahltes zurückholen. Freibeträge für eine Behinderung, Ausgaben für Handwerker oder auch Zuzahlungen für eine Unterbringung im Pflegeheim mindern die Steuerlast und können zu einer Erstattung führen. Bei der freiwilligen Abgabe können Hinterbliebene die Steuererklärung noch bis zu vier Jahre nach dem Todesfall einreichen.

In welchen Fällen es teuer werden kann

War der Verstorbene schon im Ruhestand, kann es für seine Erben teuer werden. Denn Rentner müssen zunehmend Steuern nachzahlen. Die Rentenversicherung nimmt - im Gegensatz zu Arbeitgebern - keinen Lohnsteuerabzug vor, wie Warschkow betont. Das Finanzamt kann bis zu sieben Jahre rückwirkend fehlende Steuererklärungen nachfordern. Im klassischen Fall seien oftmals die Witwe respektive die Kinder mit teilweise hohen Nachzahlungen konfrontiert, so Warschkow. Seine Erfahrungen: Mal steht mehr als nur eine Steuererklärung noch aus, mal sind noch alte Steuerschulden offen, mal tauchen verschwiegene Schwarzgeldkonten auf, mal wirkt sich die Steuerpflicht verspätet aus. Da könnten tausende Euro an Nachzahlungen leicht zusammenkommen, gibt Warschkow zu bedenken.

Wer Geld bekommt, wer zahlen muss

Erben stehen nicht nur in der Pflicht, die letzten Steuerangelegenheiten der oder des Toten zu regeln. Es ist auch in ihrem ureigenen Interesse. Sowohl die Rückerstattung vom Finanzamt als auch Steuerschulden zählen zum Nachlass dazu und können sich damit auf die Höhe der zu zahlenden Erbschaftsteuer auswirken. Alleinerben dürfen Erstattungen allein beanspruchen, müssen aber auch Nachzahlungen allein schultern. "Bei Erbengemeinschaften kann es zu Streit kommen, wer wie viel behalten darf und vor allem, wer wie viel ans Finanzamt zahlen muss", berichtet Warschkow. Grundsätzlich gilt: Gutschriften des Fiskus' wie auch Steuerschulden müssen gemäß der Erbanteile aufgeteilt werden. Bei enormen Nachforderungen sollten Erben prüfen, ob es überhaupt Sinn macht, das Erbe anzutreten.

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