Steuerdiebstahl:Die Masche mit Phantom-Aktien

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Dimitrov)

Wie Cum-Ex, nur krasser: Eine neue Methode der Finanzindustrie schädigt die Steuerzahler. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, das Bundesfinanzministerium ist alarmiert.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Köln/Frankfurt

Der Cum-Ex-Skandal ist noch größer als bislang bekannt. Die Staatsanwaltschaft Köln hat ihre Ermittlungen auf eine bis dato unbekannte Masche mutmaßlichen Steuerbetrugs ausgeweitet. Sie ermittelt gegen mehrere Mitarbeiter einer Bank in Deutschland wegen des Verdachts auf Steuervergehen bei Aktiengeschäften mit speziellen Papieren.

Die neue Methode ist noch perfider als Cum-Ex. Bei den speziellen Wertpapieren wurden nicht einmal Dividenden gezahlt, weil die Aktien mitunter überhaupt nicht existierten. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung geht es auch hier um Milliardengeschäfte und bisher entstandene Steuerschäden in mindestens dreistelliger Millionenhöhe. Ein Finanzfachmann, der früher an Cum-Ex-Geschäften in Deutschland beteiligt war, spricht von "Phantom-Aktien". Auf diese Weise seien seines Wissens Cum-Ex-Modelle nach deren Stopp durch deutsche Behörden im Jahr 2012 verfeinert und fortgesetzt worden: "Das ist eine Weiterentwicklung der Teufelsmaschine Cum-Ex." In Deutschland seien die Phantom-Aktien nicht von echten zu unterscheiden gewesen. Der Staatsanwaltschaft Köln haben mehrere Kronzeugen, die Betrug mit Cum-Ex-Geschäften gestanden und ausgepackt hatten, auch Hinweise auf Deals mit Phantom-Aktien zu Lasten des deutschen Staats gegeben. Konkret wurde eine internationale Großbank aus den USA genannt.

Es geht um Papiere namens ADR. Sie werden an US-Börsen anstelle ausländischer Aktien gehandelt

Das Bundesfinanzministerium (BMF) versucht jetzt die Notbremse zu ziehen; die Masche soll bis zuletzt ausgenutzt worden sein. Nach einer Anfrage von SZ und WDR vorige Woche hat das Ministerium einen Erlass an die zuständigen Steuerbehörden verschickt. Ein spezielles Erstattungsverfahren, das es Kriminellen leicht machte, werde demnach vorerst gestoppt, hieß es aus Behördenkreisen. Um die Aufklärung voranzutreiben, habe man zudem alle Bundesländer und beteiligten Behörden angewiesen, Informationen zum Thema an das BMF zu melden. Auch die Steuerbehörden anderer Staaten seien informiert worden.

Die bislang unbekannten Betrugsmodelle funktionieren so: Es geht um Papiere, die den Namen ADR tragen. ADR steht für American Depositary Receipts. Sie werden von Banken ausgestellt und an den Börsen in den USA stellvertretend für ausländische Aktien gehandelt. Bislang war das ein unverdächtiges Geschäft, ursprünglich erfunden, damit US-Investoren beispielsweise Aktien europäischer Firmen in Dollar handeln können. Normalerweise muss jedem ADR-Papier eine Aktie zugrunde liegen oder ein Bruchteilteil einer Aktie. Nach Erkenntnissen von US-Ermittlern sind in etlichen Fällen aber solche Ersatzpapiere ausgegeben worden, ohne dass die Banken die jeweiligen Aktien hinterlegt hätten. Die Inhaber dieser sogenannten Vorab-ADRs sollen dann deutsche Finanzbehörden getäuscht und Steuererstattungen kassiert haben, obwohl zuvor gar keine Steuern auf Dividenden gezahlt worden waren. Insofern ähnelt die neue Masche den Cum-Ex-Modellen; Cum-Ex steht für den Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende. Die ADR-Modelle sind noch raffinierter: Dabei erstatteten die Finanzbehörden womöglich Steuern, die nie gezahlt worden waren, weil es die zu versteuernden Dividenden nie gegeben hat.

Die US-Börsenaufsicht SEC lieferte den deutschen Ermittlern weitere Erkenntnisse. Die Behörde ist wegen des Handels mit ADRs bereits gegen mehrere Geldinstitute vorgegangen. Bislang haben Banken mehr als 173 Millionen Dollar an Rückzahlungen und Bußgeldern für Scheingeschäfte geleistet. Davon ist auch die Deutsche Bank betroffen: Im Juli stimmte das Geldhaus einem Vergleich mit der SEC zu und überwies 75 Millionen Dollar wegen unsauberer Handhabung von ADR-Papieren in den Jahren 2011 bis 2016.

In SEC-Akten ist öffentlich nachzulesen, wie die Aufsichtsbehörde der Deutschen Bank leichtfertigen Umgang mit den Papieren vorgeworfen hatte. Das Institut hätte demnach erkennen können, dass mittels ADRs Phantom-Aktien geschaffen worden seien, um rechtswidrig Steuererstattungen zu kassieren. Die Deutsche Bank erklärte dazu auf Anfrage, sie habe im Jahr 2014 aufgehört, Vorab-ADRs um den Dividendenstichtag auszugeben, weil es Bedenken wegen eines "potenziellen Missbrauchs" gegeben habe. Im Jahr 2016 habe man dann die Kritik der SEC zum Anlass genommen, sich aus den Geschäften zurückzuziehen. Details nannte die Bank nicht.

Die SEC aber fand jede Menge Details, die das Ausmaß des mutmaßlichen Betrugs erahnen lassen: E-Mails, Excel-Tabellen und weitere Unterlagen belegen, wie Geschäfte mit Phantom-Aktien rund um den Dividendenstichtag liefen. Sobald die Dividende fällig wurde, landeten die Papiere bei den steuerlich Begünstigten. Die Rückerstattung der ausländischen Finanzbehörden teilten die Beteiligten unter sich auf. Im Anschluss verschwanden die Papiere wieder dort, woher sie kamen, etwa bei einer US-Tochter der Deutschen Bank.

Normalerweise müssen für jedes Ersatzpapier Aktien hinterlegt sein. Das war nicht der Fall

In der Finanzbranche gibt man zu: Der Handel mit ADR-Papieren sei betrugsanfällig. Banken hätten oftmals solche Phantom-Aktien ausgestellt, mit dem Versprechen, die echten Aktien würden noch geliefert. Es sei darum gegangen, bei Geschäften zwischen Europa und den USA eine gewisse Zeitspanne bis zur Vorlage der tatsächlichen Aktien zu überbrücken, was grundsätzlich legal ist. "Wir wissen nicht, was mit diesen ADR-Papieren passiert ist", gibt man in Bankenkreisen heute unumwunden zu. "Wir haben nicht mehr nachvollziehen können, welche Papiere für welche Geschäfte benutzt wurden. Wir wissen nicht, was Kunden steuerlich getrieben haben."

Das Bundesfinanzministerium hatte mit einem Erlass vom Mai 2013 den steuerlichen Umgang mit ADR-Papieren so geregelt, dass kein Missbrauch mehr möglich sein sollte. Ob dieser Erlass umfassend genug war, um sämtliche Schlupflöcher zu schließen, lässt sich angesichts der neuerlichen Reaktion des BMF bezweifeln. Das Ministerium erklärte, mit Steuertricks wie bei Cum-Ex seien "der Staat und damit alle ehrlichen Bürgerinnen und Bürger um viele Milliarden geprellt" worden. Die Bundesregierung habe gesetzliche Vorkehrungen getroffen, um die Cum-Ex-Machenschaften zu beenden. Nun komme es darauf an, "dass neuerliche Versuche von solchen grenzüberschreitenden Steuerbetrügereien scheitern". Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe daher angewiesen, jeglichen Hinweisen auf neue Betrugsmodelle nachzugehen. Das scheint nun nach und nach auch zu geschehen.

© SZ vom 22.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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