Süddeutsche Zeitung

Steuerbetrug:Finanzamt gegen Pariser Großbank

Der deutsche Fiskus fordert von einer Tochter der Bank Crédit Agricole fast eine halbe Milliarde Euro Steuern zurück. Doch die bestreitet, von Cum-Ex-Geschäften profitiert zu haben.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Die beiden Steuerbescheide des Finanzamts München gegen die Caceis Bank France S.A. sind kurz und bündig. Die Tochter des französischen Geldinstituts Crédit Agricole schulde dem deutschen Fiskus insgesamt fast 460 Millionen Euro, zu zahlen bis zum 3. Juni 2019. Caceis soll in den Cum-Ex-Skandal verwickelt sein und dafür nun haften. Der eine Bescheid über mutmaßlich hinterzogene Steuern ist gerade mal vier Seiten lang, das andere Schreiben über fällige Zinsen sogar nur drei Seiten. Beide Papiere liegen der SZ vor, sie datieren vom 30. April 2019.

Freundlich, aber bestimmt verlangt das Finanzamt München das Geld, das ihm zustehe. Caceis solle die geforderten Summen nicht in bar, sondern per Überweisung oder Einzahlung auf eines der genannten Konten entrichten. Falls dies bis zum Fälligkeitstag am 3. Juni nicht geschehe, würde Säumniszuschläge fällig. Falls man Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen müsste, entstünden weitere Kosten.

Die Tochter des Crédit Agricole, eines der größten Finanzinstitute in Frankreich, weist alle Vorwürfe zurück und zahlt nicht. Die Behörden sollten sich das Geld woanders holen, direkt bei den Kunden der Depotbank. Auch der Fiskus bleibt hart. Nun läuft alles auf ein Verfahren am Finanzgericht München hinaus: Finanzamt gegen Finanzkonzern, Staat gegen Großbank; über allem die Frage, wer am Ende haften muss für die mutmaßlich illegalen Aktiengeschäfte in diesem Skandal.

Viele Banken sollen geholfen haben, den Fiskus auszurauben, und dafür nun haften

Ein Musterprozess um die Haftung von Banken für den Cum-Ex-Skandal zeichnet sich ab. Ein Prozess, die viele Institute im In- und Ausland viel Geld kosten könnte. Insgesamt geht es um einen Milliardenbetrag, der mithilfe vieler Institute aus der Staatskasse gestohlen worden sein soll. Es wäre ein Prozess, in dem es vor allem auf zwei Kronzeugen ankäme, die umfangreich ausgesagt und viele Banken schwer belastet haben, darunter Caceis. Die beiden Kronzeugen, das sind ein Rechtsanwalt, der Cum-Ex-Geschäfte mit fragwürdigen Gutachten ermöglicht hat. Und ein früherer Investmentbanker, der bei einem der ganz großen Institute von der Wall Street in New York gearbeitet und sich dann selbständig gemacht hat.

Beide Kronzeugen haben in zahlreichen Vernehmungen bei Ermittlungsbehörden in Bayern und Nordrhein-Westfalen ausgiebig geschildert, wie der deutsche Fiskus jahrelang systematisch bestohlen worden sei. Auch Caceis habe mitgemacht, was die Tochter des Crédit Agricole bestreitet. Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende haben sich Banken, Börsenhändler und deren Helfer, das ist sicher, von trickreich getäuschten Finanzämtern eine auf die Dividenden einmal fällige Kapitalertragssteuer doppelt oder sogar mehrmals erstatten lassen.

Die Behörden in Deutschland untersuchen fast 500 Fälle mit einem Umfang von insgesamt 5,5 Milliarden Euro an mutmaßlich zu unrecht erstatteten Steuern. Die Dunkelziffer ist groß; Steuerfahnder schätzen den Gesamtschaden auf mehr als zehn Milliarden Euro. Der Steuerraubzug ist belegt. Aber war das alles kriminell, oder haben die Cum-Ex-Akteure eine bis 2012 bestehende Gesetzeslücke beim Aktienhandel legal ausgenützt? Und falls es strafbar war: Wer hat sich alles mitschuldig gemacht und muss deshalb haften?

Die Behörden wollen sich auch an jene Banken halten, die den Cum-Ex-Aktienhandel nicht selbst betrieben hätten. Die aber assistiert hätten und ohne die der Steuerraubzug nicht möglich gewesen wäre: Zwar organisierten spezielle Fonds den Cum-Ex-Handel. Aber kein Fonds funktioniert ohne Depotbank wie etwa Caceis. Solche Banken verwahren Wertpapiere im Auftrag von Fondsfirmen, für die sie zumeist auch als Dienstleister tätig sind: Sie organisieren etwa Fremdwährungsgeschäfte, sammeln Dividenden ein und stellen Steuerbescheinigungen aus. Ohne letztere wäre der Griff in die Staatskasse nicht möglich gewesen.

Caceis und die Konzernmutter Crédit Agricole wehren sich gegen jeden Verdacht. Crédit Agricole hat schon vor Monaten erklärt, Caceis habe nicht von Steuererstattungen bei Kunden profitiert und sich nichts zuschulden kommen lassen. Für die Dauer des Verfahrens habe man Zahlungsaufschub beantragt.

Die Staatsanwaltschaft Köln, bei der viele Fäden zusammenlaufen, ermittelt gegen zwei Beschäftigte von Caceis. Die Tochter der Crédit Agricole war bereits im November 2016 durchsucht worden; seitdem haben die Ermittler viel Material gesichtet und viele Bank-Manager und Börsenhändler vernommen. Die Fälle sind wegen ihrer Komplexität auf Steuerfahnder im ganzen Land verteilt. In einem Zwischenbericht der Steuerfahndung Düsseldorf vom 30. Januar wird die mutmaßliche Rolle von Caceis beschrieben; unter anderem aufgrund der Aussagen der beiden Kronzeugen.

Caceis sei als Depotbank eine besondere Rolle bei den Cum-Ex-Geschäften zugekommen, heißt es in dem Bericht. Die Tochter des Crédit Agricole sei Dienstleister mehrerer Fonds gewesen, die in riesigem Umfang mit Aktien gehandelt hätten, mit dem einzigen Ziel, den Fiskus auszunehmen. Caceis habe als Depotbank dafür sorgen müssen, dass die riesigen Aktiengeschäfte wie geplant geklappt hätten - und natürlich hätten Caceis-Mitarbeiter bestens Bescheid gewusst über die Geschäfte. Schließlich müsse eine Depotbank die Geschäftsmodelle ihrer Kunden verstehen.

Der eine Kronzeuge hat Caceis als eines der Institute bezeichnet, die sich als Dienstleister angeboten hätten. Die Bank sei bereit gewesen, Konten und Aktiendepots für Cum-Ex-Geschäfte einzurichten. Man habe das Geschäftsmodell mit Vertretern von Caceis offen diskutiert. Der andere Kronzeuge sagte aus, die Depotbanken hätten vollen Einblick gehabt und schließlich auch die Steuererstattungen organisiert. So wie Caceis: Die Bank soll für mehrere Fonds Steuererstattungen beantragt und kassiert haben. Für Steuern, die nie gezahlt worden seien. Caceis soll dem Fiskus deshalb knapp 312 Millionen Euro zurückzahlen, plus fast 148 Millionen Zinsen.

Caceis erklärte dazu auf Anfrage, man bestreite nachdrücklich alle Vorwürfe. Die Forderungen des Finanzamts München seien "völlig unbegründet". Man habe nicht von Steuererstattungen profitiert, sondern solche lediglich zugunsten von Kunden durchgeführt. Die Behörden sollten sich an die "Begünstigten solcher Erstattungen" halten und nicht an Caceis.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4523745
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.