Verfassungsgericht zu Steuer-CDs:Freispruch für den Staat

Die Verfassungsrichter legitimieren den Ankauf von Steuer-CDs - mit guten Argumenten. Auch wer anders denkt, sollte das im Sinne des Rechtsstaats akzeptieren.

Paul Katzenberger

Selten ist in der Wirklichkeit der Justiz etwas zweifelsfrei eindeutig. Ein ganzes System lebt davon, dass es stets eine andere, eine zweite Antwort geben kann. Auch der Ankauf sogenannter Steuer-CDs aus den Händen von Kriminellen durch den Staat gehört zur Sphäre der Uneindeutigkeit.

Steuer-CD

Ist der staatliche Ankauf von Steuer-CDs ein Übel oder eine Wohltat? Die Verfassungsrichter tendieren nun zu Letzterem.

(Foto: dpa)

Genau deswegen ist nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber besonders wertvoll, das dem Staat erlaubt, die Erkenntnisse aus gestohlenen Steuer-CDs zu nutzen. Und zwar vor allem wegen seiner Eindeutigkeit, weniger auf Grund des erfreulichen Ergebnisses für den Staat.

Denn entscheidend für das Funktionieren des Rechtsstaates ist, dass es eine vertrauenswürdige Instanz in schwierigen Fällen zu einem nachvollziehbaren Urteil kommt. Das gilt. Selbst wenn dabei kniffligen Fragen ausgewichen wurde, wie es jetzt der Fall zu sein scheint. Die Karlsruher Richter ließen offen, ob der Ankauf unter rechtswidrigen Umständen stattfand. Dennoch sollten die vielen erbitterten Kritiker der Ankaufpraxis, die den Rechtsstaat im vergangenen Winter in seinen Festen erschüttert sahen, ihren Frieden mit diesem Urteil schließen: Ohne Respekt vor der anderen Meinung ist der Rechtsstaat und die Demokratie ebenfalls gefährdet.

Klar, es geht um Güterabwägung. Darf der Staat kriminellen Handlungen Vorschub leisten, um das höhere Ziel der Steuergerechtigkeit durchzusetzen?

Ein klassisches Dilemma: Egal, wie sich der Staat verhält, ein Rechtsgut wird in jedem Fall verletzt. Die Frage ist also, welches Rechtsgut schwerer wiegt: die Unbeflecktheit der Obrigkeit vor dem eigenen Strafgesetz, letztendlich also die Glaubwürdigkeit des Staates, oder aber die Verletzung der Pflicht von Strafverfolgung bei schwersten Rechtsverstößen, wie sie Steuerhinterziehungen von Millionenbeträgen darstellen? Auch da steht die Glaubwürdigkeit des Souveräns auf dem Spiel.

Dass es die Verfassungsrichter dem Staat nun implizit genehmigen, sich in bestimmten Fällen mit Rechtsbrechern einzulassen, ist alles andere als erstaunlich. Denn wäre das Urteil anders ausgefallen, hätte zur Diskussion gestellt werden müssen, ob andere unfeine Methoden bei der Strafrechtspflege - gekaufte Kronzeugen oder V-Leute zum Beispiel - noch Bestand haben können.

Darüber hinaus wäre es bei einem anderslautenden Urteil nur konsequent gewesen, wenn Deutschland seine Beziehungen zur Schweiz und Liechtenstein sofort ernsthaft hinterfragt hätte. Schließlich hätte der Staat ja dann in keinem Fall mehr mit Rechtsbrechern verkehren dürfen. Und schweizerische Banken, der schweizerische Staat und deutsche Straftäter arbeiteten beispielsweise gezielt zum jeweils eigenen Vorteil und zum Nachteil des deutschen Staates zusammen. Im Juristendeutsch ist das als "Kollusion" bekannt.

Während sich der Staat zudem nicht dauerhaft, sondern nur punktuell, zum Kumpanen des straffälligen Ausspähers der Daten macht, sieht es bei der seit Jahrzehnten andauernden Praxis der Steuerhinterziehung schon ein bisschen anders aus.

Ein Datenhehler, wie verschiedentlich vorgebracht wurde, war der Staat zu keinem Zeitpunkt. Da Daten keine Sache sind, können sie im Sinn des einschlägigen Strafrechtsparagraphen nicht gestohlen werden. Wo kein Diebstahl vorliegt, gibt es auch keine Hehlerei.

Bliebe noch die Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse des Staates und dem Geheimnisschutz des Bürgers.

Bei diesem Gegensatz der Interessen hat das Verfassungsgericht schon lange klar gestellt, dass es die Intimsphäre für schützenswerter hält als die Privatsphäre - und diese wiederum für schützenswerter als die Geschäftssphäre. Bei einem Eingriff in die Geschäftssphäre wiegt das Strafverfolgungsinteresse nach Auffassung der Verfassungsrichter also am schwersten.

So ist die Entscheidung der Richter zu den Steuer-CDs keine Überraschung.

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