Stellenpolitik der Konzerne:Der Mitarbeiter als Humankapital

Wie Konzerne ihre Angestellten hin- und herschieben und sie dabei überfordern: zum Beispiel die Kauffrau Inge Matzke von der Telekom.

Caspar Dohmen

Heiligabend 2002: Inge Matzke bekommt Post von ihrem Arbeitgeber. Ihre Stelle im Rechnungszentrum für die Gehaltsabrechung werde gestrichen. 23 Jahre hatte sie für die Telekom und zuvor die Bundespost gearbeitet, mehrfach innerhalb des Konzerns Job und Standort gewechselt. Sie bleibt gelassen. "Wir dachten, die Telekom ist ein großes Unternehmen mit Arbeit für jeden von uns", sagt Matzke heute.

Stellenpolitik der Konzerne: 23 Jahre bei der Telekom - und dann die Nachricht von der Stellenstreichung an Heiligabend.

23 Jahre bei der Telekom - und dann die Nachricht von der Stellenstreichung an Heiligabend.

(Foto: Foto: ddp)

Wenig Hoffnung für Bürokräfte

Sie ist 61, ruhig und doch resolut, im SPD-Ortsverein aktiv, zeitweilig war sie Betriebsrätin. Was sie in den vergangenen fünfeinhalb Jahren erlebt hat, hat ihr Vertrauen in die Firma zerstört, bei der sie den Großteil ihres Berufslebens war.

Zunächst blitzt Matzke bei der internen Jobbörse der Telekom mit ihren damals 177.800 Beschäftigten ab. Bürokräfte wie die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau sind gerade nicht gefragt.

Nur noch ein Drittel der 100 Beschäftigten des Rechnungszentrums will die Telekom beschäftigen, zwei Drittel sortiert sie in die Personalserviceagentur PSA, die später Vivento wird. Matzke gehört dazu. Dort machen ihr die Vermittler angesichts ihres Alters wenig Hoffnung. Matzke besorgt sich auf eigene Faust einen Job am Empfang bei der Telekom-Tochter T-Systems. Sie ist zufrieden.

Plötzlich mit Headset

Adventszeit 2005: Vivento fordert Inge Matzke auf, sich bei der Auslandsauskunft vorzustellen. Sie fährt nach Stuttgart-Feuerbach. Dort gibt es kein Vorstellungsgespräch, sondern eine Schulung. Niemand fragt, ob sie überhaupt im Callcenter arbeiten möchte.

"Ich saß plötzlich mit Headset da. Ich war unglücklich und fühlte mich unsicher", sagt Matzke. Bis heute fällt ihr der Schichtdienst schwer, bei dem sie häufig neun Tage am Stück arbeiten muss. "Als ich mich eingewöhnt hatte, hieß es, die Auslandsauskunft wird bei uns abgeschaltet, wir machen etwas anderes."

Der Mitarbeiter als Humankapital

Anfang 2006: Matzke wird in die Störungsabteilung von Vivento versetzt, wo sich Kunden über Pannen bei DSL-Anschlüssen beschweren. Technik sei nicht ihre Stärke, sagt sie, doch nach und nach findet sie sich zurecht. Allerdings ist für sie die Telekom nach vielen Umstrukturierungen unübersichtlich. Früher habe sie Kunden auf dem kurzen Dienstweg helfen können. "Das ist immer schwieriger geworden", sagt Matzke.

Erholzeiten fallen weg

Weihnachten 2006: Inge Matzke feiert mit der Familie in Berlin. Wenig später erfährt sie von Verkaufsplänen für die Vivento-Callcenter. Matzke kämpft als Betriebsrätin vergeblich dagegen. Ein Anwalt erklärt den Beschäftigten, sie hätten keine Chance. Ende März 2007 verkauft die Telekom fünf Callcenter an die Bertelsmann-Tochter Arvato.

Die Manager loben die Chancen, die 1100 Angestellten fürchten die Risiken. "Den größten Schreck bekamen wir, als wir lasen, dass es ab 2009 nur noch 25.000 Euro Jahresgehalt geben soll", sagt Matzke. Noch verdienen die meisten mindestens 30.000 Euro, sie selbst 33.000. Gleichzeitig soll die Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stunden steigen.

Januar 2008: Die Bildschirm-Erholzeiten, Pausen für die in den Sälen der Callcenter strapazierten Augen der Angestellten, entfallen. Eine Kleinigkeit fast, und Matzke weiß, dass es ihr noch relativ gut geht.

"Was machen die jüngeren Kollegen, wenn in drei Jahren die Beschäftigungssicherung ausläuft?", fragt sie. Zeitarbeitsfirmen verleihen Telefonisten, die für 6,50 Euro pro Stunde arbeiten. Wenn die nach Matzkes Gehalt fragen, fühlt sie sich zum Lügen gezwungen: "Ich weiß nicht, wie hoch mein Gehalt ist", sagt sie dann. Fast als ob sie sich für ein unmoralisch hohes Gehalt schämen müsste. Dabei hat Matzke einen soliden Berufsweg zurückgelegt.

Sie lernte in einer Handelsfirma in einer Kleinstadt an der Nordseeküste. Später arbeitete sie bei der Volksbank. 1979 wechselte sie zur PSD-Bank, die zur Bundespost gehörte. Gedanken über einen Wechsel in das Beamtenverhältnis machte sie sich nicht.

"Damals war die Welt doch ganz anders." Dabei sieht sie, wie verkrustet die Behörde ist: Ihr Chef sagt, sie solle sich mehr Zeit für die Eingangsstempel lassen, damit die nicht schräg werden.

Die Rente wird höher sein als das Gehalt

Von der Spaltung der Behörde in die drei Unternehmen Post, Postbank und Telekom und dem späteren Börsengang merkt Matzke zunächst wenig in ihrem Arbeitsalltag. Sie genießt die Vorzüge eines großen Unternehmens, bei den Arbeitsplatzwechseln ihres Mannes kann sie bequem innerhalb des Konzerns wechseln, erst nach Bremen, dann nach Frankfurt, später Stuttgart.

Das Jahr 2009: Inge Matzkes Berufsleben endet als Callcenter-Agentin bei Arvato in Kornwestheim. "Ich war immer aufgeschlossen für Veränderungen, aber ich bin überrollt worden", lautet ihr Resümee.Kürzlich hat sie ihren Rentenbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bekommen. "2009 wird meine Rente höher sein als mein dann gekürztes Gehalt, da werde ich gehen", sagt Matzke.

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