Stellenabbau:Konzerne auf Wanderschaft

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Die Verlagerung von Stellen an Orte wie das indische "Silicon Valley" Bangalore dauert an. Ihre Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt sind allerdings nicht nur negativ. Denn höhere Gewinne bewirken höhere Investitionen.

Von Markus Balser

Jede Woche packen die Mitarbeiter der Firma Agtos im münsterländischen Emsdetten Materialkisten für Polen. Im 800 Kilometer entfernten Tochterbetrieb in Konin stellen 40 Beschäftigte - Mechaniker, Zeichner, Schlosser - Komponenten für den Maschinenbau her.

Die größten Arbeitgeber, die größten Arbeitsplatzschaffer und -vernichter: Auf die Lupe klicken. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Eine Überlebensstrategie: Ohne die Produktion im Osten hätte die Firma keine Chance auf dem hart umkämpften Markt, glaubt Geschäftsführer Antonius Heitmann. Die Produktivität sei in Polen inzwischen so groß wie in Deutschland. Die Arbeitskosten aber liegen nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit 3,60 Euro nur bei 14 Prozent eines deutschen Stundenlohns.

Nachdem zuerst Großkonzerne der Verlockung nicht widerstehen konnten, suchen nun immer mehr Zulieferer aus dem Mittelstand nach günstigen Produktionsstätten in Osteuropa oder gleich in Asien.

Die vergangenen Monate markieren den Beginn eines neuen Globalisierungsschubs: Im großen Stil kündigten Unternehmen an, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.

Spektakuläre Drohungen

Spektakuläre Drohungen von Schwergewichten wie Siemens, DaimlerChrysler oder MAN schürten die Angst vor einem massenhaften Exodus. Ob zu Recht oder Unrecht - darüber streiten die Experten. Denn verlässliche Statistiken gibt es über Verlagerungen und die volkswirtschaftlichen Folgen der Abwanderung aus Deutschland nicht.

Auch wenn die Unternehmensgewinne im vergangenen Jahr nach zweijähriger Durststrecke in vielen Branchen wieder zulegt haben: "Der Rationalisierungsdruck wächst", sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim IW.

Vor allem in der Konsumgüter-, der Elektroindustrie und der Finanzbranche sehen Experten Handlungsbedarf. Schäfer ist sich sicher: "Die Verlagerung wird weitergehen." Siebzig Prozent der deutschen Unternehmen rechnen nach einer IW-Umfrage mit stärkerer Konkurrenz durch die EU-Osterweiterung.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) hat zusammen mit der Unternehmensberatung Roland Berger herausgefunden, dass jedes vierte Unternehmen schon ganze Abteilungen ins Ausland verlagert hat.

Laut einer vor kurzem veröffentlichten Studie sind nach industriellen Arbeitsplätzen nun Dienstleistungen wie die Buchhaltung, das Rechnungswesen oder auch Kundenkontakte durch Call-Center vom Outsourcing besonders stark betroffen. Fast jedes zweite Unternehmen (44 Prozent) plant Verlagerungen in den nächsten Jahren.

Bei den Schlachtschiffen der deutschen Wirtschaft ist noch kein Ende erreicht. Nur noch rund 30 Prozent ihrer Gesamtumsätze erwirtschaften Dax-Unternehmen inzwischen in Deutschland. Doch sie beschäftigen noch 50 Prozent ihrer Mitarbeiter im Inland. Investoren üben deshalb Druck aus und sehen weiteres Sparpotenzial bei den Arbeitskosten.

Die Investmentbank UBS schätzt, dass der Gewinn vor Steuern von Dax-Größen wie VW, ThyssenKrupp und MAN um mehr als zehn Prozent steigen könnte, wenn die Lohnstückkosten um zwei Prozent sinken. Bei kleineren Firmen aus dem Nebenwerte-Index MDax ist die Situation ähnlich. Denn auch sie agieren verstärkt auf dem internationalen Markt. Doch während sie ihren Umsatz zu 56 Prozent im Ausland erwirtschaften, arbeiten die meisten Beschäftigten im Inland.

Ob Outsourcing unter dem Strich zu mehr oder weniger Arbeit in Deutschland führt - darüber sind sich Experten nicht einig. Analysten verweisen auf höhere Investitionen bei steigenden Gewinnen.

Verlierer im globalen Wettbewerb

Die Unternehmensberatung McKinsey geht jedoch nicht davon aus, dass die Verlagerung den konjunkturellen Aufwärtstrend stabilisiert. Sie sieht Deutschland als Verlierer im globalen Wettbewerb. Mit jedem Euro Wertschöpfung, der ins Ausland abwandere, entstehen nach McKinsey-Berechnungen nur 79 Cent neue Wertschöpfung im Inland.

Dies liege nicht am Auslandsengagement der Konzerne, sondern an den ungünstigen Rahmenbedingungen in Deutschland. In den USA sei der Trend wegen der größeren Flexibilität am Arbeitsmarkt genau umgekehrt. Mit jedem ins Ausland verlagerten Job entstünden Tätigkeiten mit einer um zwölf bis 14 Cent höheren Wertschöpfung.

Unterdessen ernten die ersten Konzerne die Früchte ihrer Strategie. Im laufenden Jahr werden vielerorts die Gewinne höher ausfallen. MAN kündigt steigende Erträge an, ebenso Siemens und BMW. Die Lufthansa hat die Rückkehr zu schwarzen Zahlen in Aussicht gestellt.

Noch ist das die Folge der Rationalisierung, nicht einer größeren Nachfrage. Die Erträge wachsen stärker als der Umsatz. Die Phase der Anpassung der deutschen Wirtschaft sei noch lange nicht vorbei, glaubt Agtos-Geschäftsführer Heitmann - und plant schon die nächste Investition: in Polen.

© SZ vom 12.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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