Steinbrück und Keitel: Streitgespräch:"Steuersenkungen sind gaga"

BDI-Chef Keitel und Finanzminister Steinbrück über die Rückkehr der Boni-Ritter, die Rolle des Staates in der Wirtschaftskrise - und was auf die Reformagenda gehört. Ein SZ-Streitgespräch.

M. Beise u. G. Bohsem

Gezückte Messer hatten die beiden Herren nicht dabei, die sich jetzt in Berlin auf Einladung der Süddeutschen Zeitung zum Streitgespräch über Wirtschaftspolitik trafen: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), kommen gut miteinander aus, wenn es um die Bewältigung der großen Wirtschaftskrise geht. Verbindlich im Ton, aber hart in der Sache stritten sie dennoch: über die Rückkehr der Boni-Ritter, die Rolle des Staates und vor allem die konkrete Reformagenda nach der Bundestagswahl.

Keitel, Steinbrück, Montage: sueddeutsche.de; Fotos: dpa

BDI-Präsident Hans-Peter Keitel (l.) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück diskutierten auf Einladung der Süddeutschen Zeitung in Berlin.

(Foto: Montage: sueddeutsche.de; Fotos: dpa)

SZ: Sehr geehrte Herren, beinahe täglich kommen gute Nachrichten zur Konjunktur. Ist die große Krise schon vorbei?

Steinbrück: Wir können jedenfalls hoffen, dass sich das schreckliche erste Quartal 2009 nicht wiederholen wird. Aber wir sollten jetzt nicht in Jubel verfallen, die Lage ist nach wie vor labil.

Keitel: Kein Grund zur Entwarnung, aber auch kein Grund zu übertriebenem Pessimismus. Wir wissen jetzt, wo der Boden ist. Aber das heißt auch: Wir sind noch auf dem Boden.

Steinbrück: Im Übrigen hat die Krise nicht alle gleichmäßig getroffen. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben wenig gespürt, auch die Empfänger von staatlichen Transferleistungen. Das deutsche Handwerk ist recht stabil durch die Krise gekommen. Andere hat es dafür umso heftiger erwischt.

SZ: Wenn wir jetzt "den Boden sehen", welchen Anteil hatte der Staat an der erfolgten Stabilisierung?

Steinbrück: Den will ich nicht unterschätzen. Offensichtlich waren die Programme richtig dosiert. Und wenn wir den Kern der Krise nehmen, die Finanzwelt: Da haben wir bekanntlich vor einem Jahr in einen Abgrund geschaut. Wenn außer der Investmentbank Lehman Brothers ein anderes systemrelevantes Institut abgestürzt wäre, hätte dies die Kernschmelze bedeutet. Deshalb waren die Verabredungen, die wir getroffen haben, richtig und wichtig.

Keitel: Das glaube ich auch. Es geht jetzt um die bessere Kontrolle der Finanzmärkte, und da unterstützen wir die Regierung ausdrücklich.

SZ: Kontrolle ist das eine, Selbstkontrolle das andere. Wir dachten eigentlich, die Gier nach Boni sei als Fehler erkannt worden. Nun gibt es wieder atemberaubende Sonderzahlungen. Hat die Wirtschaft nichts gelernt?

Keitel: Ich bitte doch sehr zu differenzieren. Leistungsgerechte Bezahlung ist doch nicht per se schlecht! Wir haben in der Industrie auf vielen Ebenen variable Gehaltsbestandteile, ein Teil ist fix, der Rest erfolgsabhängig, berechnet nach vielen klugen Kriterien. Riesige Boni sind in der Industrie Einzelfälle.

Steinbrück: Eine Kollektivschelte ist nicht angebracht, da stimme ich zu. Aber in der Finanzbranche gibt es Leute, die den Knall nicht gehört haben. Der Staat hat die Banken gerettet, und dennoch sind dort weiter Menschen tätig, die den Bezug zur Realität verloren haben. Die machen sich keine Vorstellung davon, dass auch Einzelfälle eine fatale Wirkung entfalten. Von vielen Bürgern wird die soziale Marktwirtschaft massiv in Frage gestellt. Das sind Systemzweifel. Viele fragen sich, wo bleibt die Balance, wo die Gerechtigkeit.

Keitel: Maß und Mitte ist kein Thema, worüber wir uns streiten müssen. Aber selbst in der Finanzwirtschaft sind vernünftige Menschen tätig ...

Steinbrück: Das weiß ich auch, aber es gibt auch die anderen.

Keitel: .... ja, aber das sind immer die gleichen wenigen Fälle, die genannt werden. Ich mache mir wahrlich auch Sorgen, dass es heißt: "Es geht wieder los, das Kasino ist wieder offen." Aber reden wir doch lieber über die Industrie, für die ich stehe ...

"Wir müssen das Land zusammen voranbringen"

SZ: Als BDI-Präsident sind Sie Teil und Vertreter der Wirtschaft, so wie Herr Steinbrück hier die Politik vertritt.

Keitel: Hören wir doch auf mit dem Fingerzeigen. Politik und Wirtschaft - wir müssen das Land zusammen voranbringen. Arbeitsplätze lassen sich nicht mit Regierungsprogrammen schaffen, das muss die Wirtschaft schon selbst tun. Die Industrie hat die Krise nicht ausgelöst, sondern sie muss jetzt die Suppe auslöffeln. Das macht sie verdammt gut - sonst wäre die Arbeitslosigkeit viel höher.

SZ: Und was ist zu tun?

Keitel: Wir brauchen die richtigen Regeln, die richtigen Leitplanken. Darüber müssen wir reden. Der Markt hat reagiert, wie er reagieren musste. Er ist überreizt worden, und ist kollabiert. Das darf nicht noch mal passieren, sonst gerät das Modell der sozialen Marktwirtschaft in Gefahr.

SZ: Herr Minister, fühlen Sie sich von der Wirtschaft ausreichend unterstützt?

Steinbrück: Na ja. Mir fällt schon auf, dass unter der großen Überschrift "Der Markt soll es richten und die Politik sich raushalten" eine Reihe von Firmen munter gepokert haben - und kaum ist es schief gegangen, soll es nun wieder der Staat richten. Der Warenhauskonzern Arcandor! Porsche! Schaeffler! - alle sind wegen klarer Strategie- oder massiver Managementfehler in Not und suchen nun Hilfe aus der Steuerkasse oder zumindest den Staat als Bürgen.

Keitel: Vorsicht! Einzelne betroffene Unternehmen haben in ihrer Not nach dem Staat gerufen. Keinesfalls gab und gibt es den generellen Ruf nach dem Staat. Der Staat alleine kann die Krise nicht beenden.

SZ: Weil die Wirtschaft alles besser kann?

Keitel: Am Ende kommt es auch auf die handelnden Personen an. Wo sitzen die kompetenteren: beim Staat oder in der Wirtschaft? Wahrscheinlich gibt es überall eine ähnliche Verteilung von Qualitäten.

SZ: Das ist jetzt aber neu. Bisher hieß es doch in den Unternehmen und auch den Verbänden immer: Wirtschaft können wir besser als Politiker und Beamte. Hat hier ein Umdenken stattgefunden?

Keitel: Sagen wir lieber: ein Lernprozess - auf beiden Seiten. Exzesse gab es doch hier wie dort. Nicht nur der eine oder andere Manager, sogar mancher Kommunalpolitiker ist hochriskante Geschäfte eingegangen, die ihm nun auf die Füße fallen. Ich will keinen ungezügelten Markt, sondern vernünftige Anreize, Haftung und Verantwortung - übrigens auch bei staatlichen Akteuren.

SZ: Das nennt man Ordnungspolitik.

Keitel: Das ist doch kein Mantra. Und es gibt eben Erfahrungen, die man in der Wirtschaft macht und die die Politik nutzen sollte, wenn sie sich schon in die Wirtschaft einschaltet.

Steinbrück: Es wäre wirklich ein Quantensprung, wenn wir in Deutschland aus dieser ordnungspolitischen Gegensätzlichkeit rauskommen und dieses konfrontative Verständnis von Markt und Staat abrüsten könnten. Ich bin auch dafür, den Markt walten zu lassen, weil er am effizientesten ist. Aber es muss Spielregeln geben, damit er funktioniert. Es muss zusätzlich einen handlungsfähigen Staat geben.

Banken am Pranger

SZ: Für den Finanzmarkt scheint das immer noch nicht zu gelten. Viele Unternehmen klagen über eine Kreditklemme.

Keitel: Einzelne Banken berichten von freien Kreditrahmen. Viele Unternehmen aber klagen, Kredite gar nicht oder zu prohibitiven Bedingungen zu bekommen. Tatsache ist, dass insgesamt die Zinsen und die Anforderungen an Sicherheiten deutlich gestiegen sind.

Steinbrück: Das Wort Kreditklemme, da stimme ich zu, steht derzeit eher für Verschlechterung der Kreditkonditionen. Da stünde mir schlecht an, zu kritisieren nach dem Motto "Nun drück mal die Augen zu", wenn ich doch die Banken zuvor wegen ihrer Risikobereitschaft kritisiert habe.

Keitel: Eines kann man aber sagen: Es hakt bei den langen Fristen, der Finanzierung von Großprojekten und Konsortialkrediten. Und da müssen sich die Banken schon an die eigene Nase fassen. Es kann doch nicht sein, dass sie sich mit Verve nur noch um die einfachen Geschäfte kümmern. Die Banken müssen sich selbst anstrengen, die Produkte, die die Industrie dringend braucht, in den Markt zurückzubringen.

Steinbrück: Das ist genau der Punkt. Die Banken müssen sich fragen lassen, ob sie sich vor allem auf das Handelsgeschäft konzentrieren, weil sie dort kurzfristig höhere Renditen erzielen. Das wäre dumm, denn die Banken sollten daran interessiert sein, die Unternehmen auch nach der Krise als Kunden zu behalten. Es kann doch nicht in ihrem Interesse sein, dass Firmen über die Wupper gehen.

SZ: Den Banken ging es bekanntlich sehr schlecht. Kann man ihnen verdenken, dass sie jetzt ordentliche Rendite machen wollen?

Steinbrück: Natürlich nicht. Jeder Politiker wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er gegen Rendite wäre. Wo sollen denn sonst Wachstum und Verteilungsspielräume herkommen! Ich liebe schwarze Zahlen. Die einschränkende Frage lautet: Werden diese unter Beschädigung des Marktes und anderer Marktteilnehmer erwirtschaftet.

SZ: Interessante Aussage für einen SPD-Politiker. Ihr verstorbener Parteifreund Gustav Heinemann pflegte zu sagen: Ich liebe meine Frau.

Streinbrück: Meine Frau wird mir als Finanzminister diesen Satz vielleicht verzeihen. Was ich sagen will: Ich bin nicht gegen das Geldverdienen, aber sehr wohl gegen kurze, atemlose Hektik, gegen kurzfristige Maximierung zu Lasten nachhaltiger Entwicklung.

SZ: Am 27. September wird gewählt. Welche Wirtschaftspolitik braucht das Land?

Steinbrück: Ganz sicher keine Steuersenkungen wie sie der politische Wettbewerber fordert und auch Teile der Wirtschaft. Das ist völlig irrational. Das FDP-Programm kostet mehr als 90 Milliarden Euro allein bei der Einkommensteuer. Die Forderungen bei der Unternehmensteuer und der Gewerbesteuer will ich gar nicht erst nachrechnen. Wer solche Steuersenkungen fordert, ist schlicht gaga.

SZ: Sie fordern Steuersenkungen, Herr Keitel. Sind Sie gaga?

Keitel: Na ja, ich bin eine klare Ansage gewöhnt. Mir geht es nicht um die große Entlastung in einem Schritt, sondern um den Verzicht auf Krisen verschärfende Regelungen in der Unternehmensteuer und um eine mittelfristige Reform der Einkommensteuer. Sie muss transparenter werden und die Mittelschicht entlasten. Der Mittelstandsbauch im Steuertarif muss weg. Er belastet den gut verdienenden Facharbeiter und den kleinen Unternehmer erheblich.

Steinbrück: Das kostet 30 Milliarden Euro. Ich sehe auch das Problem des Mittelstandsbauches. Aber da stößt das Wünschenswerte an die Realität des Etats.

Keitel: Das wird auch nicht in einem Jahr gehen. Aber Entlastung muss sein, um die Leistungsbereitschaft zu wecken. Viel wichtiger jedoch ist es, sich auf Ausgabenkürzungen zu verständigen und so Spielräume für Steuersenkungen zu erwirtschaften.

Steinbrück: Das sehe ich nicht so. Den Haushalt von 300 Milliarden Euro in diesem Ausmaß kürzen - wie soll das gehen? Wir müssen die Mittel zukunftsorientierter ausgeben. Mehr Geld für Bildung - da bin ich dabei. Es geht darum, Konzepte vorzulegen wie und wohin sich Deutschland im 21. Jahrhundert entwickeln soll. Aber wer das tut, wird in diesem Land ja offenbar eher geprügelt als diejenigen, die im Ungefähren bleiben.

SZ: Sie meinen das Job-Programm des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, der die Schaffung von bis zu vier Millionen neuen Arbeitsplätzen bis 2020 für möglich hält.

Keitel: Schade, dass Steinmeiers Ansatz an manchen Stellen im Ergebnis so dirigistisch ist. Gut ist, dass er auf die Industrie setzt. Er hat erkannt, dass wir das Industrieland Deutschland stärken müssen, um schnell aus der Krise zu kommen.

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