Statistiken:Die Legende vom Bremsklotz

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Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belasten amtliche Statistiken die Unternehmen weniger, als bisher angenommen wird.

Christoph Hickmann

Eine Stunde kann ja ziemlich lang sein, es kommt ganz darauf an, wie man sie verbringt. Ist man etwa eine Stunde lang damit beschäftigt, Statistiken über das eigene Unternehmen zusammenzustellen, dann kann diese Stunde ziemlich endlos werden. Anders herum wirkt aber selbst eine mit Statistik gefüllte Stunde gar nicht mehr so quälend lang, wenn man sie auf einen ganzen Monat verteilen kann - und das können deutsche Unternehmen offenbar.

Das Ausfüllen von amtlichen Statistiken empfinden viele Unternehmen als Belastung. (Foto: Foto: ddp)

Durchschnittlich 64 Minuten im Monat sind Firmen hierzulande damit beschäftigt, Zahlen für amtliche Statistiken zu sammeln und zu melden, so lautet das zentrale Ergebnis einer Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat.

Der Titel des Werks klingt ein wenig sperrig: "Die Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch amtliche Statistiken" heißt er in voller Länge, doch sind darin ein paar recht griffige und vor allem erstaunliche Ergebnisse enthalten. Die in der Unternehmenswelt vorherrschende Meinung über Statistiken als Bremsklotz und Hemmschuh der Firmen jedenfalls stützen sie nicht.

15 Prozent der Unternehmen mussten melden

Etwa 75.000 Unternehmen haben die Forscher im Auftrag des Wirtschaftsministeriums befragt und herausgefunden, dass im Jahr 2004 nur 15 Prozent der knapp 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland überhaupt an die Statistischen Ämter melden mussten. Die wenigsten auskunftspflichtigen Firmen finden sich unter den Kleinstunternehmern, hier sind es nur etwa zehn Prozent.

Dagegen wiederum müssen 81 Prozent der großen Unternehmen mit mindestens 250 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den Ämtern ihre Daten melden. Allerdings hatte lediglich ein Prozent der Unternehmen zu fünf und mehr Statistiken beizutragen und galt damit in der Studie als stark belastet.

Je größer das Unternehmen, desto häufiger muss es melden, und mit durchschnittlich fast 100 Stunden im Jahr liegt der Aufwand größerer Unternehmen sehr deutlich über dem kleinerer mit etwa sechs Stunden.

Gleichmäßigere Belastung

Die Belastung sollte künftig gleichmäßiger verteilt werden, fordert Walter Radermacher, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes: "Außerdem muss es in Zukunft möglich sein, Doppelmeldungen zu reduzieren." Insgesamt aber folgert das DIW aus seiner Studie recht prägnant: "Die Reduzierung der Berichtspflichten kann nicht viel zum Bürokratieabbau beitragen."

Das hat einen ganz eigenen Hintergrund: Zwar ist mehr Entlastung für die Unternehmen politisch derzeit überaus gewünscht, doch bewegt man sich dabei auf einem recht schmalen Grat. Werden die Unternehmen zu stark entlastet, fehlen den Ämtern wichtige Zahlen, ihre Statistiken werden weniger aussagekräftig.

"Gute Politik braucht gute Statistik", so drückt Walter Radermacher seine Sicht auf dieses Dilemma aus, und er gibt auch gleich ein Beispiel: Stets gebe es Beschwerden von Nutzern, sobald die amtlichen Statistiken auch nur etwas weniger fein nach Regionen oder Branchen differenziert seien.

Entlastung und hochwertige Statistiken

Die Politik muss also sensibel vorgehen, sich einerseits um Entlastung bemühen, andererseits darauf achten, dass hochwertige Statistiken möglich bleiben. Die aktuellen Bemühungen, Bürokratie abzubauen, haben sich allerdings noch nicht in den Ergebnissen der DIW-Studie niedergeschlagen. Dazu gibt es die entsprechende Initiative des Wirtschaftsministeriums noch nicht lang genug, die aber schon Ergebnisse hervorgebracht hat.

Nach dem Mittelstandsentlastungsgesetz etwa wird über die Lohn- und Gehaltsstruktur im Jahr 2007 keine Statistik geführt. "Wir ersetzen auch immer mehr den Papierfragebogen durch die Online-Erhebung", sagt Walter Radermacher. Inzwischen lassen sich manche Daten automatisch aus dem betrieblichen Rechnungswesen gewinnen.

So soll es nun weitergehen, am Mittwoch hat die Bundesregierung den nächsten Schritt gemacht. Das Kabinett brachte einen Gesetzentwurf auf den Weg, nach dem im produzierenden und im Dienstleistungsgewerbe die jährlichen Verdiensterhebungen wegfallen sollen, die es bisher zusätzlich zu den Quartalserhebungen gegeben hatte.

Außerdem will man den Verdienst in der Landwirtschaft nur noch alle vier Jahre auswerten und weitere Erhebungen gleichmäßiger auf die Wirtschaft verteilen. All das ist erfreulich für die Firmen, doch die Entlastung hat auch Grenzen: Zwei Drittel aller amtlichen Erhebungen sind durch europäisches Recht vorgeschrieben.

© SZ vom 27.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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