Süddeutsche Zeitung

Statistik-Skandal:Griechen schummelten sich in Währungsunion

Lesezeit: 2 min

Die EU hat jetzt amtlich festgestellt, dass Griechenland nur durch falsche Zahlen in die Währungsunion gelangen konnte. Doch die Kommission sieht keine rechtliche Handhabe, das Land wieder aus dem Euro-Raum zu drängen.

Von Alexander Hagelüken

Was besorgte Fachleute bereits unter der Hand schätzten, ist jetzt offiziell.

Griechenland hat nicht nur durch falsche Zahlen verschleiert, dass es die Stabilitätskriterien seit dem Euro-Beitritt vor knapp vier Jahren als einziger Staat noch nie eingehalten hat.

Es hat sich vorher durch geschönte Zahlen überhaupt erst den verspäteten Beitritt zur Währungsunion erschlichen.

Der südeuropäische Staat verstieß seit 1997 ununterbrochen und damit acht Jahre in Folge gegen die Euro-Stabilitätskriterien, die nur eine Haushaltslücke von höchstens drei Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes zulassen.

Bis zu 6,4 Prozent Defizit

Nach griechischen Angaben müssen die bisher nicht bekannten Defizitzahlen vor dem Jahr 2000 deutlich nach oben korrigiert werden.

Demnach betrug die Haushaltslücke 1999 in Wahrheit 3,38 Prozent (bisher offiziell 1,8 Prozent), 1998 waren es 4,13 (2,5) und 1997 gar 6,44 (4,0) Prozent, einsamer Rekord unter den zwölf Euro-Staaten.

Brüsseler Diplomaten widersprachen jeder Vermutung, die abgewählte sozialistische Regierung sei daran unschuldig: "Die Griechen sind viel zu intelligent, als dass dies Zufall sein könnte."

Die Stabilitätskriterien wurden in den neunziger Jahren erfunden, um insbesondere den Deutschen die Angst zu nehmen, Staaten mit traditionell unsoliden Haushalten wie Griechenland würden den Euro zu einer Weichwährung machen.

Durch Verschweigen von Militärausgaben, fiktive Überschüsse der Sozialkassen und andere Tricks gelang es den Hellenen, die anderen Euro-Staaten bis vor zwei Monaten in Sicherheit zu wiegen. Am Montag sagte ein Diplomat: "Die griechischen Zahlen haben von Anfang an nicht gestimmt."

Ob das für Griechenland Konsequenzen hat, ist allerdings völlig offen. Über die Maßnahmen, mit denen Athen das Defizit 2005 erstmals unter drei Prozent drücken will, wird erst im Dezember entschieden. EU-Juristen sehen keine Möglichkeit, dem Land den Euro wieder zu entziehen.

Ein Diplomat hob hervor, die Täuschungen seien erst durch die Hilfe der neugewählten konservativen Regierung in Athen aufgeflogen. Genau die wäre aber jetzt von einem möglichen Entzug von EU-Milliardensubventionen betroffen: "Man darf Kooperation nicht bestrafen."

Manchen Regierungen kommt es politisch gelegener, nicht den Mitgliedsstaat Griechenland, sondern die Brüsseler Kommission und deren Statistikamt Eurostat zu attackieren.

Berlin gegen Brüssel

Namentlich Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) regt sich darüber auf, dass die Kommission jahrelang mit großer Härte ein Strafverfahren gegen Deutschland vorantrieb, ohne die griechischen Mauscheleien zu ahnen oder zu ahnden.

Die Bundesrepublik hatte bis 2002 EU-konforme Haushalte vorgelegt, liegt aber seitdem über drei Prozent und erlebt deshalb wie Frankreich ein Strafverfahren.

An EU-Währungskommissar Joaquin Almunia werden beim Finanzministertreffen, das bis Dienstagnachmittag dauert, bohrende Fragen gestellt: Wie konnten die Griechen unbehelligt acht Jahre lang betrügen? Wie lässt sich ein Zahlenbetrug in Zukunft verhindern?

Nettozahler fordern mildernde Umstände

Der Fall Griechenland wird vor dem Hintergrund verhandelt, dass Deutschland, Frankreich und andere einen milderen Stabilitätspakt wünschen.

Die Finanzstaatssekretäre der 25 EU-Staaten legten für die Sitzung ihrer Chefs Vorschläge vor, die über die Ideen der Kommission erheblich hinausgehen. Demnach sollen nicht nur wie von Brüssel vorgeschlagen Länder ausnahmsweise über drei Prozent liegen dürfen, wenn sie in eine wirtschaftliche Schwächephase geraten.

Nettozahler in den EU-Haushalt wie Deutschland sollen auch mildernde Umstände bekommen, weil sie wie die Bundesrepublik mit aktuell 7,5 Milliarden Euro im Jahr den Brüsseler Haushalt finanzieren.

Auch sollen staatliche Investitionen in Bildung und Forschung die Überschreitung des Drei-Prozent-Ziels erlauben. Beides hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gefordert.

Solchen Änderungen des Stabilitätspakts müssten allerdings die anderen Mitgliedsländer zustimmen. Unklar ist, was aus dem Wunsch der Kommission wird, Mitgliedsstaaten zu ahnden, die Reformen für mehr Wirtschaftswachstum versäumen. Dies sieht Brüssel als Voraussetzung für einen milderen Pakt.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2004
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