Süddeutsche Zeitung

Statistik:Kinder sind ein Armutsrisiko

Alleinerziehende sind besonders häufig von Armut bedroht. Sie haben aber oft noch ganz andere Probleme.

Von Valentin Dornis

Elif Genc wohnt mit ihren beiden Kindern in Bochum, ohne Partner. Sie fühlt sich eigentlich nicht arm, sagt sie: "Ich merke aber oft, dass einfach nicht genug Geld da ist." Elif Genc ist eine alleinerziehende Mutter und gehört damit zu einer großen Gruppe in Deutschland. Während allgemein 15,7 Prozent der Deutschen von Armut bedroht sind, trifft das bei den Alleinerziehenden auf 43,8 Prozent zu. Das geht aus der sogenannten Armutsgefährdungsquote des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach sind heute noch mehr Alleinerziehende von Armut bedroht als noch vor zehn Jahren: Gegenüber 2005 stieg die Quote um 4,5 Prozentpunkte.

Elif Genc arbeitet in Teilzeit in einem Call-Center. Das ist ihr lieber, als Arbeitslosengeld zu beziehen: "Ich habe dadurch zwar nicht mehr Geld zur Verfügung, aber ich fühle mich besser", sagt sie. Sie bekommt außerdem Kindergeld und den Unterhaltsvorschuss. Den übernimmt der Staat, weil der Vater keinen Unterhalt zahlt.

Gerne würde die gelernte Bürokauffrau wieder in ihrem alten Beruf arbeiten, am liebsten in Vollzeit. Doch als Alleinerziehende hat sie große Probleme, einen solchen Job zu finden. "Viele Arbeitgeber denken bei 'alleinerziehend' gleich an unzuverlässig", sagt Genc. Sie hat es selbst ausprobiert. Sie strich den Hinweis auf ihre Kinder aus dem Lebenslauf. Plötzlich bekam sie doch Einladungen zu Bewerbungsgesprächen, berichtet sie. Im Vorstellungsgespräch kamen dann aber wieder kritische Fragen zu ihrer Rolle als Alleinerziehende.

Georg Cremer kennt viele solcher Fälle. Er ist Generalsekretär der Caritas und hat gerade ein Buch über "Armut in Deutschland" geschrieben. Entscheidend für das Armutsrisiko sei der Zugang zum Arbeitsmarkt, sagt er. Ihn störe, wie undifferenziert die Armutsdebatte in Deutschland häufig geführt werde. "Wenn neue Zahlen veröffentlicht werden, ist der Aufschrei meist groß", sagt er. Aber um die Probleme zu lösen, müsse man sich intensiv mit den betroffenen Gruppen beschäftigen.

Die nun vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Armutsgefährdungsquote ist laut Cremer ein sinnvoller Indikator. Sie werde aber häufig falsch interpretiert. Die Zahl sagt nur aus, wie viel Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht sind - und nicht, ob sie tatsächlich arm sind. Die Armutsgefährdungsquote sei eher ein Maß für Ungleichheit, sagt Cremer.

Er schlägt eine andere Darstellung vor: Wer weniger als 40 Prozent des mittleren Einkommens zu Verfügung habe, lebe in starker relativer Armut. Bei weniger als 50 Prozent lebe man in relativer Armut, wer unter 60 Prozent zur Verfügung habe, sei armutsgefährdet. Und wer weniger als 70 Prozent habe, lebe im prekären Wohlstand. Das ergäbe ein deutlich differenzierteres Bild. Orientierungspunkt soll dabei wie bisher das mittlere Einkommen - also der Median - sein.

Für Elif Genc würde eine solche Darstellung vielleicht mehr Anerkennung für ihre Situation als Alleinerziehende bedeuten. "Ich kann ohne vernünftige Betreuungsangebote nicht in Vollzeit arbeiten gehen", sagt sie. "Das heißt, ich kann mit meiner Teilzeitstelle zwar meine Kinder unterstützen, wenn ich selbst zurückstecke. Aber ich kann eben nicht so einfach den Ausflug, die Musikschule oder den Fußballverein bezahlen."

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