Stationärer Handel:Inszenieren, um zu überleben

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"Einkaufswelten inszenieren, Shoppingerlebnisse schaffen": Stationäre Läden suchen nach Möglichkeiten, dem Online-Handel zu begegnen. (Foto: Robert Haas)

Smartphones und Apps haben die Spielregeln im Handel radikal verändert. Mehr Service reicht oft nicht aus, um Verbraucher in Läden zu locken. Stationäre Händler versuchen, den Anschluss nicht zu verpassen - und rüsten technisch auf.

Von Stefan Weber

Das Haus mit der Nummer 88 in der Krefelder Hochstraße ist ein schmucker zweigeschossiger Bau. In der Mitte ein stattliches Eingangsportal, rechts und links flankiert von kleinen Schaufenstern. Viele Jahre hatte ein Juwelier die Immobilie genutzt. Zum Jahresende schloss er seinen Betrieb, und die Eigentümerin verkaufte das Gebäude an einen Investor. Der will nun das Haus abreißen und durch einen modernen Bau mit Glasfassade ersetzen. Seitdem tobt ein Streit über die Zukunft der Immobilie in bester Citylage.

So wie in Krefeld geht es derzeit in vielen deutschen Städten zu. Eigentümer von Handelsimmobilien und Ladenbetreiber bauen um. Der Grund dafür? Die Verbraucher ändern mehr und mehr ihr Einkaufsverhalten. Immer häufiger ordern sie per PC, Tablet oder Smartphone anstatt im Laden zu kaufen. Im vergangenen Jahr gaben sie deutlich mehr als 30 Milliarden Euro im Netz aus. Im Durchschnitt aller Branchen machen Online-Shops heute bereits einen Marktanteil von etwa neun Prozent aus.

"Einkaufswelten inszenieren, Shoppingerlebnisse schaffen"

In einzelnen Warengruppen wie der Unterhaltungselektronik, bei Büchern, Medien und auch Spielwaren wird jedoch schon jeder vierte Euro im Internet umgesetzt. Tendenz: stark steigend. Kann der stationäre Handel die Rivalen Amazon, Zalando und Co. noch auf Distanz halten? Ein Mehr an Service und Beratung wird nicht ausreichen, um gegen die Konkurrenz aus dem Netz zu punkten. "Wichtig ist, Einkaufswelten zu inszenieren und Shoppingerlebnisse zu schaffen", sagt Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute in Köln. Der Verbraucher von morgen brauche zusätzliche Anreize, ein Geschäft zu betreten und dort auch einzukaufen. Ladenbauer und Marketingexperten sind überzeugt, dass der Technik dabei eine große Rolle zukommt.

Das beginnt bereits, bevor der Kunde den Laden betreten hat. Dank Geolokalisierung können Händler Verbrauchern Informationen und Angebote auf ihr Handy schicken, sobald sie in die Nähe ihres Geschäfts kommen. Haben sie die Schwelle übertreten, geht es weiter: Kleine, billige Sender, die dem Standard Bluetooth Low Energy entsprechen, funken Werbebotschaften oder Coupons an alle Kunden, die eine entsprechende App - also ein kleines Programm - auf ihrem Smartphone aktiviert haben.

Oder an das iPad, das am Einkaufswagen montiert werden kann. Als erste große Firma hatte Apple das Potenzial dieser neuen Technik erkannt und im Dezember vergangenen Jahres alle seine Läden in den USA mit solchen Sendern, genannt iBeacons, ausgestattet. Das Interesse an dieser Nahfunk-Technik sei riesengroß, hieß es kürzlich auf der Fachmesse Euroshop in Düsseldorf. Im Monatsrhythmus kündigen derzeit Start-ups Pilotprojekte an, auch auf dem Mobile World Congress vergangene Woche in Barcelona war es ein großes Thema.

Egal ob Elektronikhändler, Modeanbieter oder Bäckerei - Bildschirme halten Einzug in die Verkaufsräume. Bewegtbildmedien oder Digital Signage, sagen Fachleute dazu. Mal dienen sie dazu, Wartezeiten zu verkürzen - mit Wettermeldungen, Nachrichten oder Werbung. Vermehrt werden sie jedoch zur Verkaufsförderung eingesetzt. Um Kunden zu einem Produkt hinzulenken und um sie neugierig zu machen. Oder gar, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Das kann über Gestik- und Mimik-gesteuerte Anwendungen passieren oder per Smartphone.

Was einfach klingt, ist für Ladenarchitekten eine echte Herausforderung. Denn es reicht nicht, ein paar Screens oder Tablets in den Laden zu stellen. Die Geräte müssen in den Verkaufsraum integriert werden, es muss Platz geschaffen werden. Und es müssen stets aktuelle Inhalte produziert werden.

Der Prozessorhersteller Intel hat dazu im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt gezeigt. Die Kunden konnten sich zu Hause in Ruhe einen für sie geeigneten Laptop aussuchen. Im Modell-Laden wurden sie dann von einer digitalen Litfaßsäule empfangen, die ihnen den Weg zum entsprechenden Regal wies, wo man das Gerät dann auch ausprobieren konnte. Der Andrang aus dem Handel war riesig. Dass sich Ladengeschäfte immer noch lohnen können, zeigt auch der Erfolg der Apple-Stores, die mittlerweile sehr substanziell zum Gewinn des Elektronikkonzerns beitragen.

Eine Position hat Umfragen des EHI zufolge fast jeder Ladenbetreiber, der seine Immobilie aufhübschen will, auf dem Zettel: die Beleuchtung. Das hat zum einen wirtschaftliche Gründe. Denn im Lebensmittelhandel entfällt gut die Hälfte der Energiekosten auf die Beleuchtung; im Non-Food-Bereich sind es immerhin 27 Prozent. Da kann eine energiesparende Lichttechnik die Kostenrechnung deutlich entlasten. Zum anderen versuchen die Händler mit moderner digitaler Lichtarchitektur Waren und Ladenflächen verkaufsfördernd zu inszenieren.

Im Food-Bereich setzen sie dabei stark auf LED-Licht; in anderen Branchen ist das noch weniger der Fall. Branchenkenner begründen dies mit den hohen Anschaffungskosten. Aber in punkto Lichtleistung, Brillanz und Farbwiedergabe hat die LED-Technik gegenüber konventionellen Lichtlösungen stark aufgeholt - und was die Betriebskosten angeht, führt an den leuchtenden Dioden ohnehin nichts vorbei.

Landenbetreiber müssen sich umstellen

Auch das Bezahlen wird bald anders funktionieren. Die Zeiten, in denen die Kunden an massiven Kassentischen am Ladenausgang "auscheckten", wie Marketingexperten den Bezahlvorgang bezeichnen, gehen zu Ende. Denn überall dort, wo der Kassiervorgang mit dem Smartphone durchgeführt werden kann, muss der Checkout-Prozess nicht ortsgebunden in einer klassischen Kassenzone stattfinden. Die Kassen samt Zubehör können an jedem anderen Platz innerhalb des Geschäfts aufgestellt werden.

Dagegen setzt sich Self-Scanning, also die Übernahme des Kassiervorgangs durch den Kunden, nur sehr schleppend durch. Metro, Real und Ikea haben bereits vor längerer Zeit in großem Stil Selbstbedienungskassen installiert. Aber flächendeckend hat sich diese Technik nicht durchgesetzt. "Noch zu kompliziert und fehleranfällig", urteilen viele Händler. Eine Alternative könnten so genannte Tunnelscanner sein. Dabei werden die Waren unter eine Art Torbogen hindurchgeschoben, dabei werden die Artikelpreise gescannt.

Eine Ausstattung der Verkaufsräume mit neuer Technik und zeitgemäßem Interieur verlangt von den Ladenbetreibern oft eine hohe Investitionen. Nach Schätzung des EHI hat der Einzelhandel 2013 etwa 6,8 Milliarden Euro in den Aus-, Um- und Neubau von Geschäften gesteckt - so viel wie nie zuvor. Auch hat sich die Schlagzahl bei den Renovierungen deutlich erhöht: Im Schnitt, so sagt Experte Gerling, renovieren die Geschäftsinhaber alle 7,8 Jahre. 2009, als das EHI eine ähnliche Untersuchung vornahm, waren es noch neun Jahre gewesen. Aber dem stationären Handel bleibt auch keine andere Wahl. Mit Smartphones und immer neuen Apps hat der Konsument die traditionellen Spielregeln beim Einkauf binnen weniger Jahre verändert. Ladenbetreiber, die sich darauf nicht einstellen, könnten schon bald verschwunden sein.

© SZ vom 05.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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