Es war wohl der letzte Strohhalm, den Varta-Chef Michael Ostermann im August ergriff: Der weltbekannte Batteriehersteller aus dem schwäbischen Ellwangen stand plötzlich kurz vor der Pleite. Als Unternehmen in dieser Lage könne „man sich die Welt nicht malen, wie man will“, sagte Ostermann im September der SZ. Es war ein Wink an die Aktionäre, die an eine große Zukunft für Batterien geglaubt hatten. An rasante Gewinne. Und an Varta.
Über Wochen hinweg hatte Varta die Schlagzeilen beherrscht, Tausende Privatanleger in Unruhe versetzt. Als sich im Sommer dann ein Sanierungsdeal abzeichnete, trauten viele Anleger ihren Augen nicht. Obwohl sich das Unternehmen neu aufstellen und weitermachen will, könnten die Privatanleger bald raus sein – und obendrein ihren Einsatz verlieren. Die Privatanleger sollten „enteignet werden“, kritisiert Anlegerschützer Marc Tüngler, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Somit reicht der Fall Varta weit über die Grenzen Ellwangens hinaus, direkt hinein in die Depots von Tausenden Privatleuten – und, so sehen es viele, auch in den Wirkungskreis des Grundgesetzes.
Ausgerechnet eine Sanierung bedeutet für Privatanleger das Aus
Was war geschehen? Varta-Chef Michael Ostermann hatte im Sommer entschieden, den traditionsreichen Batteriehersteller aus Ellwangen mit dem StaRUG-Verfahren zu sanieren. Ein Wortungetüm, das für das „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ steht. Etwas einfacher formuliert soll das Gesetz operativ lebensfähige Firmen davor bewahren, pleitezugehen. Was auf den ersten Blick gut klingt, könnte für Privatanleger jedoch ungeahnte Konsequenzen haben.
Der Fall Varta zeigt das gut, denn die Firma will im Rahmen der Sanierung nicht nur neues Kapital einwerben – sondern auch altes loswerden: Die Batteriefirma will ihr Grundkapital im StaRUG-Verfahren auf null herabsetzen und sich 2025 von der Börse zurückziehen. Die Aktien der Privatleute? Verlören de facto ihren Wert. Dann griffe der zweite Teil des Sanierungsplans für Varta: Neue Aktien würden über entsprechende Investmentvehikel nur Großaktionäre erhalten – der einspringende Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche und der österreichische Milliardär Michael Tojner, dem bisher schon mehr als die Hälfte von Varta gehörte.
Das Gesetz erlaubt es den Firmen also, ihre Aktien von der Börse zu nehmen und das Kapital im Zweifel auf null herabzusetzen, womit die Aktien praktisch wertlos werden. Der Knackpunkt ist jedoch der zweite Schritt: Im Sanierungsplan kann Privatanlegern mittelbar auch noch verweigert werden, dem Unternehmen danach Geld zu geben und neue Aktien des Unternehmens zu erhalten. „Bezugsrechtsausschluss“, sagen Profis an der Börse dazu. „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein kaputtes Auto, und jemand nimmt es Ihnen einfach weg“, sagt Anlegerschützer Tüngler, „obwohl Sie es noch reparieren wollen.“
Leoni machte Aktionäre glücklich – bis 2023
Das Batterieunternehmen aus Ellwangen ist nicht der einzige Fall, bei dem Aktionäre plötzlich aufwachen und die Welt nicht mehr verstehen. Jahrzehntelang war der Nürnberger Kabel- und Drahtspezialist Leoni der Inbegriff von fränkischer Vorsicht und Solidität. Ein Zulieferkonzern, der seine Aktionäre glücklich machte und bei seinen Mitarbeitern den Ruf genoss, das mehrfache Umdrehen eines jeden Pfennigs und später Cents gewissermaßen im Firmenerbgut verankert zu haben.
Doch dann hielt eine Kultur des Größenwahns Einzug in die Nürnberger Zentrale, Leoni begann einen schuldenfinanzierten Wachstumskurs um des Wachstums willen. Damit schon überfordert, kamen reihenweise Managementfehler hinzu, zudem ein Betrugsfall und ständig neue handwerkliche Fehler. Das ging so lange, bis Leoni kurz vor dem Ende stand.
Als die Insolvenz drohte, griff im letzten Moment ein österreichischer Unternehmer zu. Stefan Pierer, 67, übernahm im August 2023 Leoni. Ein Mann, der gerne Firmen mit Schlagseite kauft, idealerweise aufpäppelt und dann wieder gewinnträchtig veräußert. Über das StaRUG-Verfahren drängte er die verbliebenen Kleinaktionäre raus, legte 150 Millionen Euro frisches Kapital auf den Tisch und übernahm über eine Gesellschaft gut 700 Millionen Euro an Gläubigerforderungen. Klaus Nieding, Vizepräsident der DSW, sprach von einem „absolut skandalösen Vorgang“, andere Aktionärsschützer äußerten sich ähnlich. Ihr Tenor: Mithilfe des StaRUG-Gesetzes habe sich Pierer die Firma Leoni unter den Nagel reißen können, die Privatanleger aber leer ausgehen lassen.
Selbst Fachanwälte lesen im Kaffeesatz
Rechtlich gesehen ist es beim StaRUG-Verfahren kein Automatismus, dass die Privatanleger draußen bleiben müssen. Wer seine Firma nach dem Mechanismus saniert, kann auch die Kleinanleger einladen, dem Unternehmen im Gegenzug für neue Aktien Geld zu geben. Viele Großanleger wollen allerdings allein das Sagen haben und wittern mit dem StaRUG nun offenbar ihre Chance. Frei nach dem Motto: Entweder die Firmen verankern den Bezugsrechtsausschluss im Sanierungsplan – oder es gibt eben kein Geld.
Weil das StaRUG erst seit 2021 gilt, haben clevere Investoren im Zweifel offenbar leichtes Spiel. Viele rechtliche Fragen sind noch nicht geklärt, oft müssen selbst Fachanwälte im Kaffeesatz lesen: Gilt ausschließlich, was im StaRUG steht? Oder gelten prinzipielle Vorgaben aus dem herkömmlichen Aktiengesetz auch bei StaRUG-Fällen weiter? Solche Fragen sind höchstrichterlich nie geklärt worden, in den aktuellen Fällen aber entscheidend.
Zum Beispiel braucht es nach dem klassischen Aktiengesetz stets einen „Grund“, um Privatanleger von Bezugsrechten auszuschließen und so herauszudrängen. Ob das aber auch bei StaRUG-Fällen gilt, ist unter Juristen umstritten. Und selbst wenn es gälte: Welcher Grund wäre gut genug?
Manche Firmen haben in dieser Frage eine sehr eigene Lesart entwickelt: Ein guter Grund ist es für sie auch, wenn Großaktionäre in einer akuten Krise nur Geld geben, sofern die Privatanleger künftig draußen bleiben. Ohne Kleinanleger keine Sanierung. Ohne Sanierung keine Zukunft. Also keine Kleinanleger. „Aber das ist natürlich ein Fehlschluss“, sagt Anlegerschützer Markus Kienle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK).
Haben die Privatanleger noch Chancen?
Im Fall Leoni hatte das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde von Anlegerschützern in diesem Jahr jedoch nicht einmal zugelassen. Im Fall Varta laufen die Anlegerschützer nun erneut Sturm gegen den Sanierungsplan. 3000 Varta-Aktionäre haben sich mit der Anlegerschutzvereinigung DSW zusammengetan, um sich finanziell an der Reparatur der kaputten Varta beteiligen zu dürfen – und Anteilseigner zu bleiben. Sollten Varta, Großaktionär Tojner, der perspektivische Retter Porsche und die Gläubiger nicht einlenken, droht DSW-Chef Tüngler mit Klagen.
Die Firmenleitung reagiert relativ entspannt auf den Vorstoß von DSW und anderen. Aus dem Umfeld von Varta heißt es, dass man im Rahmen der Gesetze handle. Anlegerschützer könnten die Sanierung durch Klagen verzögern, aber das ändere nichts daran, dass die Restrukturierung notwendig sei. Noch sind nicht alle Unterschriften trocken, doch Varta-Chef Ostermann, der bei den Verhandlungen nur vermitteln und nichts entscheiden konnte, will noch diese Woche Vollzug melden.