Etwa 4000 Schulen in Deutschland sollen über zehn Jahre hinweg Geld bekommen, um Schülerinnen und Schüler aus sozial schlechter gestellten Familien gezielt zu fördern: So will die Politik die Nachteile ausgleichen, die diese Schüler in ihrem Schul- und Berufsleben nach wie vor haben. Das ist die Idee des sogenannten Startchancen-Programms. Nun hat das Bildungsministerium von Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Pläne konkretisiert. Ein Schwerpunkt soll nach Vorstellung des Ministeriums bei den Grundschulen liegen. Sie werden 60 Prozent der geförderten Schulen ausmachen, heißt es in dem Eckpunktepapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Zuerst hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung über das Papier berichtet. Weitere 20 Prozent des Geldes sollen an Berufsschulen gehen.
Das Startchancen-Programm wird demnach zum Schuljahr 2024/2025 in Kraft treten. Wie viele Schulen pro Bundesland Geld erhalten, dies hängt vom Armutsrisiko und der Herkunft der Schüler ab. Wissenschaftlern zufolge gibt es einen großen Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren und dem Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen, heißt es in dem Papier. Gerade die Sprache sieht das Bildungsministerium als maßgeblichen Faktor: Wer zu Hause kein Deutsch spricht, hat in der Schule von Anfang an schlechtere Chancen, so die Logik. Zu 40 Prozent legt das Ministerium deshalb den Anteil an unter 18-jährigen Schülern zugrunde, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, zu weiteren 40 Prozent die Armutsgefährdungsquote und zu 20 Prozent das negative Bruttoinlandsprodukt (BIP). Mit diesem Schlüssel will man verhindern, dass nach dem Gießkannenprinzip gleich viel Geld an alle Bundesländer ausgeschüttet wird - und bei den tatsächlich sozial benachteiligten Schülern nicht genug ankommt.
Das Startchancen-Programm ist das zentrale Bildungsvorhaben der Ampelkoalition. Schon im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung auf einen recht konkreten Plan geeinigt, zuletzt hatte Bildungsministerin Stark-Watzinger das Projekt unter dem Namen "Bildungsmilliarde" beworben. Das jetzt bekannt gewordene Eckpunktepapier ist allerdings noch nicht beschlossen: Mit den Vorschlägen geht der Bund nun erst einmal in die Verhandlungen mit den Ländern. Denn die sollen das Programm nach Vorstellung des Bildungsministeriums zu gleichen Teilen mittragen: Eine Milliarde Euro pro Jahr steuert demnach der Bund bei, eine Milliarde Euro zahlen die Länder. Die allerdings zeigten sich von dieser Aufteilung zuletzt wenig begeistert.
Was können sich die beteiligten Schulen erhoffen?
In den ausgewählten Schulen soll ein Teil des Geldes in eine bessere Ausstattung der Räume fließen. Im Papier ist zum Beispiel die Rede von Kreativlaboren, Multifunktionsräumen oder Räumlichkeiten für inklusives Lernen. Dazu kommt ein Budget, das auf jede Schule individuell zugeschnitten ist. Dabei entscheiden die Verantwortlichen in den Schulen selbst, wofür sie das Geld einsetzen - zumindest bei einem Drittel dieses Budgets. Der Rest fließt für Maßnahmen, die Bund und Länder vorher mit Unterstützung der Wissenschaft erarbeitet und der Schule zur Verfügung gestellt haben. Man wolle "bedarfsgerechte Lösungen ermöglichen" und die Autonomie von Schulen stärken, heißt es. Der Anteil des Bundes an diesem Chancenbudget soll bei jährlich 300 Millionen Euro liegen, die erst einmal befristet bis 2028 ausgezahlt werden. Dann will man, je nach Erfolg der Maßnahme, die Summe anpassen oder verlängern. Für die bessere Ausstattung der Räume will der Bund fünf Milliarden Euro über die gesamte Laufzeit des Programms bereitstellen.
Die dritte Veränderung für Schulen: Sie sollen mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bekommen. 200 Millionen Euro will der Bund dafür vorerst zahlen. Die Idee: Mit mehr Sozialarbeit könne man Schüler individuell besser fördern, sie und auch die Eltern beraten und unterstützen und ihnen zum Beispiel auch helfen, wenn sie staatliche Leistungen beantragen müssen.
Den Lehrermangel behebt das Programm nicht
Was das Ministerium außerdem betont: Bei dem Prozess sollen alle Beteiligten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Nur so könne man prüfen, ob sich mit dem Programm wirklich etwas ändere. Die beteiligten Schulen müssen sich deshalb dazu verpflichten, datengestützt zu arbeiten und diese Daten auch auswerten zu lassen.
Zuvor hatte es von mehreren Stellen Kritik an dem Programm gegeben. Denn eines der größten Probleme der Schulen löst es nicht: den Lehrermangel. Die Frage ist zudem, ob es überhaupt genug Sozialarbeiter gibt, um den zusätzlichen Bedarf zu stemmen. Deutlich kritisiert hatten Expertinnen und Experten außerdem die geplante Verteilung des Geldes. Denn einem Vorschlag der Länder zufolge sollten nur fünf Prozent des Geldes über einen eigenen eingerichteten Topf verteilt werden, der sich nach der tatsächlichen Bedürftigkeit richtet.
Der Rest, also 95 Prozent, wäre aber über den sogenannten Königsteiner Schlüssel vergeben worden: Dieser richtet sich nach dem Steueraufkommen und nach der Bevölkerungszahl der Länder. So aber erreiche das Geld die Schulen mit dem größten Bedarf nicht zielgenau, kritisierten Experten: Reiche Länder erhielten proportional mehr Fördergelder, wenn man dem Vorschlag der Kultusministerkonferenz (KMK) folge. Mit dem Vorschlag des Bildungsministeriums wäre zumindest dieser Kritikpunkt ausgeräumt - falls sich Bund und Länder auf den Vorschlag einigen.