Süddeutsche Zeitung

Start-ups:Jetzt müssen sie liefern

Das Wettbieten um aussichtsreiche Internetfirmen im Silicon Valley hat deren Bewertungen immer höher getrieben. Doch nun gibt es ein Umdenken. Gründer müssen beweisen, dass sie auch Geld verdienen können.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Dass sich etwas geändert hat, kann Rebecca Lynn regelmäßig am Telefon hören. "Seit etwa zwei Monaten rufen mich Gründer an, die vor einiger Zeit noch ziemlich hohe Bewertungen aushandeln wollten", erzählt die Risikokapitalgeberin des Canvas Venture Fund. "Jetzt sagen sie: Okay, wir gehen etwas runter."

An Anekdoten wie dieser mangelt es bei dem Investorentreffen Post Seed Conference in San Francisco nicht. Die unbeschwerte Zeit, in denen optimistische Start-ups nach Belieben Geld von mindestens genauso optimistischen Investoren einsammeln konnten, ist vorbei. "Frothy", also "schäumend", sei das Klima - die Vorstufe zur berühmten großen Blase, über die im Silicon Valley inzwischen offen diskutiert wird.

In einer aktuellen Umfrage unter 500 Junggründern geben 73 Prozent an, dass sich die Branche derzeit in einer Blase befinde. Zwei Drittel der Gründer sagten, in Verhandlungen über Investitionsrunden zuletzt die besseren Karten als ihre Geldgeber gehabt zu haben.

"Die Musik hört nicht auf, aber die Lautstärke wird runtergedreht"

"Das Problem sind die Hedgefonds und Privatinvestoren, die ein Wettbieten um Gründer veranstalten", klagt John Doerr, Google-Aufsichtsrat und Partner der Venture-Capital-Firma Kleiner Perkins. Niedrige Zinsen und hohe Wachstumsaussichten haben alteingesessenen Risikokapitalisten wie ihm harte Konkurrenz von Investment-Banken bis Staatsfonds aus der Golf-Region beschert - und die Preise nach oben getrieben.

57,9 Milliarden Dollar sammelten amerikanische Jungunternehmen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ein, das ist bereits mehr als im gesamten Jahr 2014. 140 Start-ups weltweit zählen zum berühmten Unicorn-Club, also zu jenen Einhörner genannten Firmen, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Der Großteil sitzt im Silicon Valley.

Weil die Privatunternehmen keine Zahlen veröffentlichen müssen, ist unklar, wie seriös die Unicorns wirklich arbeiten. In der Risiko-Logik nutzt ein Start-up die Kapitalspritzen, um aggressiv einen Markt zu erobern und dann von einer größeren Firma gekauft zu werden oder an die Börse zu gehen. Doch die Zahl der Börsengänge von Milliarden-Start-ups ist im Moment genauso überschaubar wie die Liste möglicher Käufer, die zehnstellige Summen aufrufen wollen. "Google hat seit 2010 jede Woche eine Firma gekauft, aber nur fünfmal mehr als eine Milliarde Dollar bezahlt. Aber fast 150 Start-ups sind inzwischen Unicorns", erzählt Doerr. "Die Rechnung geht nicht auf."

"Die Musik hört nicht auf, aber die Lautstärke wird runtergedreht", sagt Satya Patel vom Frühphasen-Investor Homebrew. "Firmen, die nicht funktionieren, werden es stärker mit Sorgfaltsprüfungen zu tun bekommen." Vor allem die exzessive Ausgabenpolitik der Jungunternehmen rückt nun in den Fokus: Gerade in der Bay Area sind die Kosten für gute Entwickler und adäquate Büros auf Rekordniveau, auch die aggressive Kundenakquise verbrennt Geld.

Doch wie lange darf die berühmte Startbahn, auf der die Start-ups vor dem Abheben Geschwindigkeit aufnehmen sollen, sein? Und wie lange ist es noch akzeptabel, weit entfernt von der Gewinnzone zu agieren, aber einen eigenen Büro-Barista zu beschäftigen und Abteilungen für Jahrestreffen an exotische Orte auszufliegen?

Bislang waren die Geldgeber geduldig, trugen die generöse Ausgabepraxis einiger Firmen häufig im Aufsichtsrat mit. Doch langsam dreht sich der Wind. "Wir erleben kein Platzen der Blase, aber die Rückkehr der Realität. Die Definition dessen, was wir unter 'etwas funktioniert' verstehen, ändert sich", sagt Jenny Lefcourt von der Firma Freestyle VC, "es wird nicht mehr um Wachstum, sondern um Profitabilität gehen. Wer jetzt noch Geld sammeln möchte und kein profitables Geschäft hat, dem kann ich nur viel Glück wünschen."

Der Branchenkonsens ist, sich weniger an die Dotcom-Blase, sondern eher an die Finanzkrise 2008 zu erinnern. Damals versiegte der Geldfluss ebenfalls für kurze Zeit, die Start-up-Spreu trennte sich vom Weizen. Die aktuelle Gründer-Generation sei jünger und wisse mehr als alle vorherigen, sagt Alt-Investor Doerr, doch sie sei auch unerfahren. "Es geht darum, jetzt seine Mitarbeiter hinter sich zu versammeln", bei Bewertungsabschlägen, Sparprogrammen und Entlassungen weder Moral noch Kompass zu verlieren. Das Silicon Valley wappnet sich auch rhetorisch, Erzählungen über den Unterschied zwischen "Friedens- und Kriegszeiten-CEOs" machen wieder die Runde.

Weniger Start-ups heißt auch weniger Möchtegern-Gründer und weniger Konkurrenz

Und doch gibt es wenig, das den kalifornischen Glauben an den Siegeszug der Technologie erschüttern kann. "Zur Jahrtausendwende waren nur 400 Millionen Menschen im Internet, jetzt sind es zwei bis drei Milliarden", beschreibt Doerr jenen Unterschied, aus dem die Branche weiter Optimismus schöpft. Firmenpleiten bedeuten auch, dass die Auswahl an talentierten Mitarbeitern wieder größer werde, betonen die Investoren. Amazon und Google hätten ihren Siegeszug immerhin auch im Schatten des Dotcom-Zusammenbruchs begonnen - weniger Start-ups heißt auch weniger Möchtegern-Gründer, weniger Konkurrenz und weniger lästige Firmen-Kopien, die Marktanteile wegnehmen.

Und die Investoren selbst? Spätrunden-Einsteiger bei Milliarden-Firmen haben sich häufig teilweise durch Sperrklauseln gegen Verluste abgesichert. Risikokapitalgeber haben mehrere Jahre Zeit, um mit ihren Fonds Gewinne zu erwirtschaften. Theoretisch müssen sie nur eine oder zwei ihrer vielen Unternehmensbeteiligungen vergolden und können abwarten, welche ihrer Portfolio-Firmen am Ende überlebt. Wie sich der Abschwung aber tatsächlich auswirkt, wenn er die Welt der Prognosen aus der Echokammer des Silicon Valley verlässt und in der Realität ankommt, wird sich 2016 beobachten lassen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2015
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