Start-ups auf der Cebit:Elefanten auf Jagd

Lesezeit: 3 min

Besucher auf der Cebit 2014 (Foto: Getty Images)

Die Cebit wird zunehmend zur Kontaktbörse zwischen jungen Entwicklern und der Großindustrie. 50 Gründer wollen dort zeigen, was alles mit den richtigen Ideen möglich werden kann.

Von Varinia Bernau, Hannover

Dorothea Utzt hat Zuckerwatte dabei. Die 33-Jährige ist eine von 50 Gründern, die in der Messehalle 16 in Hannover zeigen, was alles möglich wird, wenn man sich nur mit den richtigen Ideen an den riesigen Datenberg wagt. Eine gute Idee allein reicht natürlich nicht. Gründer brauchen auch Geld. Und um da ranzukommen, müssen sie für Aufsehen sorgen. Da kann es nicht schaden, auf dem exakt abgemessenen kleinen Stand zwischen schwarzer Wand und gelber Nummer auch etwas Zuckerwatte zu bieten.

Utzt hat vor drei Jahren gemeinsam mit zwei Entwicklern die Plattform Streetspotr gegründet. Die kann jeder per Smartphone ansteuern und dann kleine Aufträge übernehmen - und zwar dort, wo er gerade unterwegs ist. Etwa im Supermarkt fotografieren, wie eine Packung Erdnüsse im Regal präsentiert wird. Oder einen prüfenden Blick auf die Öffnungszeiten einer Arztpraxis werfen. 230 000 Menschen haben sich bei Streetspotr angemeldet. Utzt nennt sie "Europas größte mobile Workforce". Der Getränkehersteller Red Bull hat sich von dieser Mannschaft gut gelegene Trinkhallen im Ruhrgebiet zeigen lassen, die es zu beliefern lohnte. Der Autobauer BMW hat sich auflisten lassen, wie viele Ebenen und welche Öffnungszeiten Parkhäuser haben. "Viele solcher Aufträgen hätte man früher nicht erledigt, weil es viel zu teuer gewesen wäre, da jemanden vorbeizuschicken", sagt Utzt.

Für die Auftraggeber seien die nebenbei eingeholten Informationen präziser als das, was sich aus der Ferne recherchieren lässt. Und für diejenigen, die die Aufträge erledigen, sei das Ganze "ein Hobby, so eine Art Schnitzeljagd", sagt Utzt. Von dem Geld, das die Unternehmen für die Aufträge zahlen, nimmt Streetspotr eine Provision. Kürzlich hat das Start-up zudem etwas Risikokapital eingesammelt.

Nun wollen sie mehr: Es sei nur logisch, sagt Utzt, die Unternehmen dorthin zu begleiten, wo sie sich umsehen müssen. Kürzlich hat Streetspotr den Schritt nach Großbritannien gewagt. Und im April machen sie sich, gefördert durch Bundeswirtschaftsministerium, für drei Monate auf ins Silicon Valley. "Da wollen wir den Einstieg in den amerikanischen Markt vorbereiten." Wer die Welt erobern will, der kommt am Silicon Valley nicht vorbei.

Deutschland rühmt sich gern seiner Gründer, macht es ihnen im Alltag aber dennoch schwerer als andere Länder. 254,8 Millionen Euro haben Risikokapitalgeber im vergangenen Jahr in neu gegründete Firmen der IT- und Internetbranche gesteckt. Das sind sechs Prozent mehr als 2012 - aber gemessen an den sieben Milliarden Dollar, die in dieser Zeit allein in amerikanische Internetfirmen fließen, ist es immer noch ein Klacks.

"Wir brauchen Start-ups, die Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit entwickeln", sagte Ulrich Dietz, vom Branchenverband Bitkom, der in der Messehalle 16 den Gründern eine Plattform bietet. "Es ist an der Zeit, dass sich diese Erkenntnis auch in Deutschland durchsetzt." Wie weit Wunsch und Wirklichkeit noch auseinanderklaffen, zeigt eine Umfrage, die Dietz dabei hat: Die Mehrheit der Bundesbürger kann mit dem Begriff Start-up überhaupt nichts anfangen. Nur jeder dritte Deutsche hätte gewusst, dass man darunter ein junges Unternehmen versteht.

Aber Gründer brauchen nicht nur eine gute Idee, Geld und etwas mehr Anerkennung. Sie brauchen auch Geduld. So wie Christian Brüggemann und Sebastian Heise, die sich vorgenommen haben, die Menschen besser durch den Verkehr zu bringen. Ihre Beobachtung: Wenn das Navi fragt, ob man den Stau umfahren möchte, fängt das Problem erst an. Je mehr Menschen auf "ja" klicken, desto größer ist die Gefahr, in den nächsten Stau zu geraten. Graphmasters, das Unternehmen, das Brüggemann und Heise vor einem guten Jahr gegründet haben, errechnet eine individuelle Route - und gibt dafür jedem Fahrer eine Reservierung.

Die Technologie steht. Nun sind Brüggemann und Heise auf Elefantenjagd, wie sie das nennen. "Wir haben weltweit nur eine Hand voll Kunden. Das sind Multimilliardenkonzerne. Und die nehmen sich Zeit, die Technologie in ihrer Tiefe zu testen", sagt Heise. Gerade die Autoindustrie ticke viel langsamer, als es die Entwickler von Software tun. "Selbst wenn wir VW überzeugen, unsere Technologie in den nächsten Golf einzubauen, müssen wir ein paar Jahre warten, bis es so weit ist."

Wäre es da nicht einfacher, eine App zu entwickeln - und sich so direkt an den Autofahrer zu wenden? Heise schüttelt den Kopf. Dann wäre es nur eine weitere Navigations-App. Und zwar eine weitere Navigations-App, für die die Leute nicht bereit sind, viel Geld zu zahlen. Entscheidender aber ist seiner Einschätzung nach, dass die Entwickler dann Gefahr laufen würden, einen Marketingkampf gegen Nokia oder Tomtom loszutreten. "Die schalten einmal eine große Werbekampagne im Fernsehen. Und dann haben wir keine Chance mehr. Wer den Verbraucher gewinnt, das ist vor allem eine Frage des Budgets."

Und schließlich wolle Graphmasters gerade diese großen Navigationsdienstleister als Kunden gewinnen. Mit Bosch ist ihnen das schon geglückt. Nun suchen und verhandeln sie weiter. Die großen Unternehmen schauten sich da durchaus nach den kleinen Gründern um. "Die sind viel zu groß und träge, um das, was wir machen, selbst zu stemmen", sagt Heise. Die müssten erst einmal fünf Projektmanager benennen - und dann sei in der Sache noch kein Handschlag getan. Ein Mann von Siemens habe ihm mal gesagt, dass das, was Graphmaster macht, im eigenen Haus zu entwickeln, gut zehn Millionen Euro kosten würde.

© SZ vom 11.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: