Süddeutsche Zeitung

Unternehmen:Start-ups kommen in den USA außer Mode

Lesezeit: 2 min

Von Claus Hulverscheidt

Wenn sich deutsche Wirtschaftspolitiker über Bürokratie und starre Arbeitsmarktregeln im Land erregen, dann verweisen sie im selben Atemzug gern auf Amerika, die Heimstatt der Garagengründer und Selfmade-Millionäre. Kein Wunder, könnte man sagen, schließlich werden bedeutende Teile der Weltwirtschaft heute von US-Konzernen wie Facebook, Google und Amazon dominiert, Firmen also, die kaum älter als 15 oder 20 Jahre sind. Selbst Deutschlands Vorzeigebranche, die Autoindustrie, ist in den Sog geraten: Während der US-Neuling Tesla die gesamte Branche mit seinen hippen Elektro-Pkws vor sich hertreibt, haben VW, Daimler, BMW und Audi Mühe, mitzuhalten.

Die Erfolge von Amazon, Tesla & Co. verstellen jedoch den Blick darauf, dass auch in den USA nicht alles zum Besten steht. Im Gegenteil: Ausgerechnet im vermeintlichen Unternehmer-Mekka gibt es seit Jahren zu wenige Start-ups. Zwar haben sich die Zahlen nach dem rezessionsbedingten Absturz von 2009 wieder etwas stabilisiert. Mit etwa 450 000 Gründungen im Jahr liegen sie aber immer noch weit unter jenen, die vor der Krise üblich waren. 2006 etwa waren mehr als 550 000 Firmen angemeldet worden.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich, wenn man einen noch längeren Zeitraum betrachtet. So hat sich der Anteil der Firmen, die jünger als ein Jahr sind, zwischen Ende der Siebzigerjahre und Mitte des laufenden Jahrzehnts auf gut acht Prozent halbiert. Ähnlich sieht es bei der Zahl der Beschäftigten aus, die in neuen Unternehmen arbeiten. Dabei ist der Trend keineswegs auf einige Branchen beschränkt, er lässt sich vielmehr quer durch die gesamte Volkswirtschaft beobachten.

Starke Marktkonzentration

Nun könnte man einfach mit den Achseln zucken, schließlich ist die Arbeitslosigkeit in den USA wie in Deutschland ja trotz Gründungsflaute rekordverdächtig niedrig. Tatsächlich jedoch ist die Botschaft, die sich hinter den Zahlen verbirgt, dramatisch. Wenn nämlich weniger Firmen gegründet werden, bedeutet das, dass weniger neue Ideen verwirklicht und weniger alte, ausgelaugte Unternehmen durch innovative neue ersetzt werden. Das belastet mittelfristig die Produktivität, das Wachstum, den Wohlstand und die Börsenentwicklung - und damit auch die Alterssicherung der Menschen.

Was jedoch sind die Gründe für die Misere? Abschließende Antworten gibt es nicht, lediglich Indizien. So hat in vielen Branchen, etwa im Einzelhandel und der Tech-Industrie, die Marktkonzentration dramatisch zugenommen. Das heißt, dass sich die Gewinne auf immer weniger, immer größere Firmen verteilen und es für junge Unternehmen immer schwieriger wird, gegen die Kolosse anzutreten. Auch bieten Konzerne wie Google oder Apple schon jungen Akademikern gute Verdienstmöglichkeiten. Warum also das Risiko einer Selbständigkeit eingehen?

Ein weiteres Phänomen in den USA ist, dass sich die Wirtschaftskraft auf immer weniger Großstadtregionen konzentriert. Wer nicht in einem dieser Ballungsräume lebt, hat es erheblich schwerer, eine Firma zu gründen. Hinzu kommt fehlendes Wagniskapital, da sich auch die Beteiligungsgesellschaften lieber auf einige ausgewählte Start-ups konzentrieren, statt ihr Geld breiter zu streuen. Resultat ist, dass Firmen wie der Büroplatzanbieter Wework oder der E-Zigarettenhersteller Juul in kürzester Zeit zu Milliardenunternehmen hochgejubelt werden, während andere leer ausgehen. Besonders betroffen sind Frauen, Afroamerikaner, kurz: alle Gründer, die nicht männlich und weiß sind. Dass etwa eine Unternehmerin Wagniskapital erhalte, sei "unwahrscheinlicher, als dass die Erde von einem Asteroiden getroffen wird", schrieb jüngst der Anlegerdienst Equities.com. Auch das, so die Finanzexperten, sei ein Grund dafür, dass Start-ups zur "bedrohten Art" geworden seien.

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SZ vom 03.12.2019
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