Silicon Beach:Megalomanischer Crash

Silicon Beach: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Das gehypte Start-up Ozy wollte die Medienbranche revolutionieren. Jetzt stellte es den Betrieb ein. Es war wie immer: Je größer die Party, desto größer der Beschiss

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Je größer die Party, desto größer der Beschiss!" Milliardär Mark Cuban sagt den Satz in der Dokumentarserie Valley of Boom über die erste Dotcom-Blase im Jahr 2000, als jede noch so dumme Idee zum gefeierten Geschäftsmodell aufgeblasen wurde - und am Ende nicht nur die Träume, sondern auch Portfolios von Kleinanlegern implodierten. Man sollte glauben, dass die Leute aus solch prägenden Ereignissen lernen, dass sie vorsichtiger und vernünftiger werden und gerade bei megalomanischem Gedöns fragen, ob es sich nicht um megalomanischen Beschiss handelt - aber nein: Sie lassen sich noch immer blenden.

Elizabeth Holmes zum Beispiel versprach mit ihrer Firma Theranos revolutionäre Bluttests und verbrannte mehrere Milliarden Investoren-Dollar. Adam Neumann verkaufte seinen Coworking-Vermittler Wework als semispirituelles Erlebnis, nach seinem Rückzug will das Unternehmen nun doch (und deutlich bescheidener) an die Börse. Und es gibt freilich Carlos Watson, der mit dem Digital-Media-Start-up Ozy nichts weniger wollte als eine komplette Revolution in der Medienbranche und am Wochenende zugeben musste, dass vieles nur heiße Luft gewesen ist. Die Firma, noch vor wenigen Monaten nach Investments von insgesamt 83 Millionen Dollar mit 159 Millionen Dollar bewertet, stellte am Freitag den Betrieb ein. Der Knall beim Aufprall war mindestens so laut wie das Gedöns in den vergangenen acht Jahren.

Das Versprechen beim Start im Jahr 2013: News für junge Leute mit Themen, über die traditionelle Medien nicht berichten. Es hätte damals schon jemand fragen können: Verspricht das nicht jede News-Webseite? Es fragte keiner, und es funktionierte zunächst ja auch - vor allem deshalb, weil Watson für megalomanisches Gedöns sorgte. Er holte Katty Kay von BBC, er selbst interviewte Politiker wie etwa den jetzigen US-Präsidenten Joe Biden oder Künstler wie John Legend; eine Talkshow über Mütter of Color gewann im vergangenen Jahr einen Emmy-Award.

Die Frage, die allerdings immer wieder gestellt wurde: Sehen da wirklich genügend Leute zu, kann das Unternehmen wirklich seine Rechnungen zahlen? Eine Antwort im Mark-Cuban-Sinne hätte das Ozy Fest im Jahr 2018 liefern können, ein Hybrid aus Festival und Tech-Konferenz, ein Workshop damals hieß tatsächlich: "The Future of Everything" - die Zukunft von allem.

Ein Skandal zu viel

Es gab immer wieder Berichte, dass Ozy seine Zahlen über Zukauf falscher Nutzer aufblase oder die Leute auch sonst in die Irre führe. Auf einer gewaltigen Reklametafel in Los Angeles zum Beispiel stand, die "Carlos Watson Show" sei "die erste Talkshow auf Amazon Prime" - in Wirklichkeit hatte Ozy nur Folgen über den Video-Direct-Service der Plattform veröffentlicht. Den eigenen Produzenten wurde vorgegaukelt, sie würden Inhalte für US-Kabelsender A&E produzieren - stimmte nicht. Vergangene Woche dann der Knall: Die New York Times berichtete, Mitgründer Samir Rao habe sich beim Telefonat mit Investoren als Youtube-Manager ausgegeben und gesagt, dass alles prima laufe.

Das war ein Skandal zu viel, erst sprangen Werbetreibende ab, später Investoren, Mitarbeiter und Aufsichtsräte; am Freitag dann das Ende, und man könnte nun fragen: Wie haben die das geschafft, das so lange durchzuhalten? Nun, es gibt noch einen Spruch im Silicon Valley: "Fake it till you make it." So lange blenden, bis du es echt schaffst. Das hat Watson probiert, er ist gescheitert. Die megalomanische Party ist vorbei, doch so sicher wie hohe Mieten an der US-Westküste ist: Irgendwo zwischen Los Angeles und San Francisco plant jemand schon die nächste Sause.

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