Start-up:Knopf am Ohr

Das Gefummel mit klingelnden Handys regte sie auf. Also entwickelte Judith Gampe Ohrringe, die Headset, Telefonhörer und Schmuckstück in einem sind.

Von Marlene Thiele

Judith Gampe verpasste zahlreiche Anrufe, weil sie zu lange in ihrer Handtasche nach dem klingelnden Smartphone fischte. Genauso unerreichbar war das Headset, weshalb die damalige Unternehmensberaterin auf die Schnelle ganz konventionell mit dem Handy am Ohr telefonierte, nur noch eine Hand frei hatte und nicht mehr ordentlich mitschreiben konnte. "Ich fand das mobile Telefonieren total umständlich - meine Kollegen übrigens auch", erinnert sie sich. "Bei Mittagessen sind wir mal darüber ins Gespräch gekommen, wie praktisch es doch wäre, wenn mein Headset in meinem Ohrring wäre und ich Gespräche einfach per Knopfdruck annehmen könnte." Gampe machte sich auf die Suche, um die Ohrringe zu kaufen, doch es gab sie nicht. "Ich verstehe nicht, warum das noch keiner gemacht hat. Alle, denen ich bis dahin von meiner Idee erzählt habe, waren total begeistert." Gampe recherchierte, fand sowohl technisch als auch legal keine Hürden und meldete ein Patent an. Das war im Juni 2016. Ein Jahr später wurde aus der Idee das Start-up Nova Products und Gampe ist nicht mehr Unternehmensberaterin, sondern Gründerin. Nach einigen Monaten der Tüftelei, Tests mit verschiedenen Akku-Größen und Zulieferern, sollen im September die ersten Headset-Ohrringe geliefert werden.

Start-up: Start-up-Gründerin Judith Gampe – natürlich mit ihrem funkenden Perlohrring im Ohr.

Start-up-Gründerin Judith Gampe – natürlich mit ihrem funkenden Perlohrring im Ohr.

(Foto: OH)

Die 33-Jährige hat einen Prototyp dabei: Am Ohr getragen wirkt er wie ein gewöhnlicher Perlohrring, schlicht, mit einem Clip zu befestigen. "Das hat technische Gründe, ist aber auch ganz praktisch", sagt die Gründerin, "Ich habe nämlich gar keine Ohrlöcher mehr."

Der Bügel verbindet den vorderen und den hinteren Teil des Ohrrings. Hinten sitzt der Akku, vorne die ausgehöhlte Perle. In ihrem Innern befinden sich ein Lautsprecher, das Mikro und eine Bluetooth-Einheit, die das Schmuckstück mit dem Smartphone verbindet. Klingelt das Handy der Nutzerin, muss sie nur einmal auf den Knopf am hinteren Teil des Ohrrings drücken, um den Anruf anzunehmen.

Dann kann sie telefonieren wie mit einem Headset. Gampe sagt, die Gesprächsqualität sei mit einem Handy vergleichbar, wo ja auch niemand mithören kann, wenn man das Gerät ans Ohr hält. Nur an der Akustik außerhalb des Büros müsse noch gearbeitet werden. Ist das Gespräch beendet, schaltet sich der Ohrring automatisch aus. Die Strahlenleistung des eingeschalteten Ohrrings ist laut Gampe extrem gering: "Während ein Handy eine Strahlenleistung von bis zu 2000 Milliwatt hat, strahlen die Ohrringe mit nur 10 Milliwatt." Geladen werden die Schmuckstücke in einem mitgelieferten Schmuckkasten. Im angeschalteten Modus hält der Akku bis zu zweieinhalb Stunden.

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Zur Zielgruppe gehören neben Unternehmensberaterinnen auch Anwältinnen oder Maklerinnen. "Wir entdecken ständig neue, potenzielle Kunden. Selbst die Hörgeräte-Branche ist schon neugierig", freut sich die Diplom-Mathematikerin, die das Produkt im Netzwerk und auf Veranstaltungen vorstellt und stets nur begeistertes Feedback erhält. Einige Headset-Ohrringe wurden schon vorbestellt und Gampe hat ihren Job als Beraterin längst gekündigt: "Ich habe gemerkt, dass ich nicht dauerhaft zwischen mehreren Orten pendeln möchte, wie es in der Beratung üblich ist."

Noch während ihrer Zeit dort machte die Gampe einen berufsbegleitenden MBA, um mehr über Entrepreneurship zu lernen und heuerte dann bei einer Bank an - bis die Routine sie ermüdete. "Ich brauche wahnsinnig viel Abwechslung, Herausforderungen und Rätsel! Eine Gründung kann einen eine ganze Weile unterhalten." Gampe lacht. Unterhaltsam findet sie zum Beispiel, wie oft ihr gesagt wurde, dieses oder jenes sei nicht umsetzbar: Ingenieure, die meinten, die elektronischen Bauteile könnten nicht in Ohrring-Größe produziert werden, Schmuckproduzenten, die sicher waren, man könne Süßwasserperlen nicht aushöhlen. "Da muss man sich halt überlegen, warum sie das sagen. Sie haben es halt noch nie gemacht!"

"In 20 Jahren tragen Männer Ohrringe. Oder etwas anderes am Ohr."

Weil die Gründerin ahnt, dass ihr Perlendesign nicht jeder Frau gefällt, arbeitet ihr Team aktuell an einer schlichten Variante aus einem anderen Material. Und natürlich will sich Gampe nicht nur an Kundinnen richten: "Es gibt viele Männer, die von der Funktion total begeistert sind. Nur tragen die eben keine Ohrringe." Und ein Ohrring muss es sein - würde ein Accessoire umfunktioniert, das sich nicht am Ohr befindet, könnten wieder alle mithören. Aber Gampe hat recherchiert: Auch die Armbanduhr galt früher als reines Frauenprodukt. Inzwischen ist sie komplett geschlechtsneutral. "Meine persönliche Prophezeiung: In 20 Jahren tragen Männer Ohrringe. Oder irgendetwas anderes am Ohr, was wir uns ausgedacht haben."

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