Start der Hannover Messe:Erholung mit Wenn und Aber

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Auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover geben sich die Firmen betont zuversichtlich. Doch die Risiken kann selbst die Kanzlerin nicht weglächeln.

H.-W. Bein, E. Dostert u. K. Läsker

Die Kanzlerin will nicht. Angela Merkel möchte am Montagmorgen auf der Hannover Messe partout nicht in das dunkelgrüne Elektro-Taxi an dem VW-Stand krabbeln. Dabei sähe sie in ihrem rostroten Blazer darin hübsch aus.

Sie steigt nicht ein, aber immerhin betankt die Kanzlerin das Elektro-Taxi auf der Hannover Messe. (Foto: Foto: dpa)

Ungeduldig mahnt Konzernchef Martin Winterkorn den Einstieg ein, da erbarmt sich der italienische Wirtschaftsminister Claudio Scajola, und Merkel klettert ihm hinterher. Winterkorn lächelt: alle Politiker im Kasten, das gibt wunderbare Werbebilder.

In Hannover findet die weltweit größte Industrieschau mit mehr als 4800 Ausstellern statt. Wie jedes Jahr marschiert die Kanzlerin zum Auftakt von Stand zu Stand und plaudert mit Firmenvertretern. Beim Unternehmen Festo reicht ihr ein elektronischer Greifarm, der einem Elefantenrüssel nachempfunden ist, einen Apfel, bei Vestas kriegt sie eine Windanlage aus Lego geschenkt, beim Mittelständler Mennekes muss sie an einem roten Elektrostecker ziehen.

Geduldig macht die Kanzlerin mit, weil doch alles die Botschaft unterstreicht, die sie anfangs im Pavillon des Partnerlandes Italien verkündet hat: Es geht aufwärts mit der Wirtschaft. "Die hohe Präsenz der Aussteller und die sehr hohe Innovationskraft auf der Hannover Messe sind ein Zeichen der Hoffnung für die Überwindung der Krise."

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Die Odyssee

Doch so sehr sich die Kanzlerin auch ins Zeug legt, sie sieht müde aus. Wie viele Unternehmer und Politiker bei der Messe hat auch sie eine Odyssee hinter sich. Schuld daran ist das europaweite Flugverbot wegen der Aschewolke aus Island. Knapp zehn Prozent der Aussteller sind betroffen, etliche Delegationen aus Südostasien und den USA haben abgesagt. Als am Montagmittag endlich ein Autokorso mit 16 Ausstellern aus Spanien eintrifft, wird gejubelt. 150 türkische Unternehmer sind aber noch immer auf der Autobahn unterwegs. Das Flugverbot beherrscht die Messe.

Das Wachstum

Die Aschewolke soll bloß den zarten Aufschwung nicht gefährden - das betonen alle, und es hat fast etwas Trotziges. "Die Stimmung auf der diesjährigen Hannover Messe ist völlig anders als im vergangenen Jahr", sagt Hans-Peter Keitel, Chef des Industrieverbandes BDI. Wenn man Optimismus und Tatkraft spüren wolle, dann hier. Aber vieles sei auch volatil, und der Weg zurück zum Vorkrisenniveau weit.

Der BDI geht für dieses Jahr von einem Wachstum der Wirtschaft um 1,5 Prozent aus. Auch zwei Prozent vor dem Komma seien erreichbar - wenn es keine Rückschläge in der Weltwirtschaft gibt, wenn eine flächendeckende Kreditklemme ausbleibt und wenn die Preise für Energie und Rohstoffe kalkulierbar bleiben. Die Verbandsvertreter und Manager nutzen viele Wenn und Abers bei ihren Pressekonferenzen auf der Messe. Auch bei der deutschen Elektroindustrie, die in diesem Jahr um fünf Prozent zulegen will. "Wir sind auf dem Weg nach oben", sagt Friedhelm Loh, Präsident des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie ZVEI. "Aber wir sind in einer unstabilen Situation."

Immerhin spiegelt sich die langsame Erholung der Konjunktur nach dem Krisenjahr bereits deutlich im Energiebedarf wider. Im Januar wurde erstmals seit 16 Monaten wieder mehr Strom verbraucht. Nach Schätzungen des Branchenverbands BDEW setzten die deutschen Energieunternehmen im ersten Quartal etwa drei Prozent mehr Strom und - wegen des langen und kalten Winters - sieben Prozent mehr Gas ab. Gute Nachrichten auch bei der Schlüsselbranche Stahl: Die Firmen erwarten für dieses Jahr eine Zunahme der Rohstahlproduktion um 15 Prozent auf 38 Millionen Tonnen.

Die Rohstoffe

Allerdings stellen nach Meinung der Wirtschaftsvereinigung Stahl die Preissprünge bei den Rohstoffen ein "erhebliches Risiko" für die Konjunkturerholung dar. Bei der Auftaktveranstaltung am Sonntag hatte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) einen Rohstoff-Gipfel angekündigt, dessen Termin aber noch nicht feststeht. "Ich erwarte, dass wir da über mehr reden als nur die Einkaufspolitik, sondern geostrategische Positionen", fordert BDI-Chef Keitel. Die Unternehmen sorgten sich. In einigen Rohstoffmärkten herrschten bereits oligopolistische Strukturen, das heißt: Es gibt viele Nachfrager, aber nur wenige Anbieter.

Bei Eisenerz bestimmten Produzenten wie Vale, Rio Tinto und BHP Billiton die Märkte. Bei einigen seltenen Metallen sei die Angebotslage noch schlimmer. Die Hersteller von Maschinen und Anlagen sehen die Preiserhöhungen mit einem "weinenden und lachenden Auge", wie der Branchenverband VDMA berichtet. Zwar verteuert sich die Produktion, wenn die Rohstoffpreise steigen, aber die Hersteller liefern auch die Anlagen, um Rohstoffe zu fördern und Ressourcen effizienter zu nutzen.

Die fehlenden Ingenieure

Ein anderes wichtiges Thema auf der Messe ist der Mangel an Fachkräften. In der Krise ist die Lücke etwas kleiner geworden, doch jetzt im Aufschwung stellt sich das Problem wieder. "Wenn das so weiter geht, steuern wir auf eine Katastrophe zu", sagt ZVEI-Präsident Loh. 2009 fehlten bereits 34.000 Ingenieure, berichten der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und das Institut der deutschen Wirtschaft. Den Schaden, das heißt die entgangene Wertschöpfung, beziffert VDI-Direktor Willi Fuchs für 2009 auf mehr als drei Milliarden Euro. Die Arbeitslosenquote unter Ingenieuren liegt bei 2,4 Prozent und "bewegt sich damit auf Vollbeschäftigungsniveau", sagt Fuchs.

Nicht nur der Aufschwung, auch der demografische Wandel wird das Problem verschärfen. Das Durchschnittsalter eines Ingenieurs in Deutschland liege bei etwa 50 Jahren. Zwar steige die Zahl der Absolventen, doch reiche das nicht aus, "um in Zukunft alle offenen Stellen zu besetzen", so der VDI. Überall fehlen Ingenieure. "Aber das können wir nicht von heute auf morgen ändern", meint ZVEI-Präsident Loh. Das Problem seien die Schulen. "Sie tun sich schwer, Begeisterung für Technik zu vermitteln."

Die Piraten

Ein krisenfestes Geschäft ist Produktpiraterie. 6,4 Milliarden Euro Umsatz sind laut dem Maschinenbauverband VDMA 2009 durch Piraterie verloren gegangen, acht Prozent mehr als 2008. "Ein Umsatz in dieser Schadenshöhe würde im Maschinen- und Anlagenbau knapp 40.000 Arbeitsplätze sichern", sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Hannes Hesse. Fast 80 Prozent der Plagiate stammten aus China. Auf dem zweiten Platz rangiert aber schon Deutschland, wo besonders gerne Anleitungen und Produktkataloge kopiert werden. ZVEI-Präsident Loh findet auch aufmunternde Worte: "Solange wir den technischen Vorsprung haben, werden die Kopierer, etwa in Korea und China, immer die Verlierer sein."

Die Zukunft

Energieeffizienz und Elektroautos - mit umweltfreundlichen Technologien werben fast alle Firmen in Hannover. Zwei Wochen vor dem Elektroauto-Gipfel bei Kanzlerin Merkel hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die Zielvorgabe erhöht. Eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen bis 2020 seien ihm "eigentlich zu gering", sagte er am Montag. Wie solche E-Autos aussehen könnten, ist vielfach auf der Messe zu bestaunen.

© SZ vom 20.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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