Die Bahn von London Marylebone nach Oxford Parkway fährt an diesem Donnerstagmorgen, was nicht selbstverständlich ist, zuletzt fielen etwa fünf Prozent der Züge im Vereinigten Königreich aus. Auf dem Schild, das am Gleis die Zielstation ausweist, steht „Chiltern Railways“, und daneben als Muttergesellschaft „Arriva, a DB Company“. Auch wenn die Beschriftung nicht mehr auf dem allerneuesten Stand ist – die Deutsche Bahn hat das hoch verschuldete britische Verkehrsunternehmen im vergangenen Jahr an einen US-Investor verkauft –, zeugt das Schild doch von der internationalen Vielfältigkeit an Unternehmen, denen Zugpassagiere in Großbritannien auf ihren Reisen begegnen.
Die neue Regierung will das ändern – auch, weil sie davon überzeugt ist, dass diese Vielfältigkeit an den genannten fünf Prozent schuld ist. Nebenbei soll überall der schnelle „Pay as you go“-Kaufprozess von Tickets eingeführt werden, das heißt, es soll bei allen Bahnreisen möglich sein, die Fahrt am Eingang zu den Gleisen kontaktlos mit der Kreditkarte zu zahlen, eine tatsächlich äußerst praktische Annehmlichkeit. Die Bahn soll also schrittweise, das heißt, nach Ablauf der jeweiligen Verträge mit den privaten Unternehmen, verstaatlicht werden. Ein Dutzend Betreiber sind betroffen, Chiltern Railways wäre im April 2025 als Erstes dran.
Die neue „Great British Railways“ war eines der Vorhaben, die Premierminister Keir Starmer am Mittwoch den König vorzulesen auftrug. Die Tradition will es nämlich, dass zur Eröffnung eines Parlamentsjahrs der Monarch, auf einem goldenen Thron im Oberhaus sitzend, die Pläne der Regierung vorträgt. Diesmal waren das zum ersten Mal seit 14 Jahren die Pläne der Labour-Partei. 40 Gesetzesvorhaben präsentierte der König (der mit der Kutsche angereist war, fünf Minuten Verspätung). Als eine der wichtigsten Botschaften dürfte gelten: Das Vereinigte Königreich ist in einer wirtschaftlichen Krise und braucht ein immenses Wachstum. Und das hinzukriegen, schafft die Wirtschaft nicht allein.
Neben der Bahnreform wurde etwa die Gründung von „Great British Energy“ angekündigt, einem Staatsunternehmen für umweltfreundliche Energieversorgung, das Großbritannien und Nordirland unabhängiger vom Ausland machen soll. 8,3 Milliarden britische Pfund an Steuergeld sollen verwendet werden, etwa für Windparks vor der Küste und, was bislang oft am Widerstand der betroffenen Regionen gescheitert ist, auch an Land.
Zudem soll ein National Wealth Fund, ausgestattet mit 7,3 Milliarden Pfund, zukunftsfähige Industrien fördern – etwa CO₂-Speicherung und grünen Wasserstoff –, private Investitionen generieren und Arbeitsplätze schaffen. Bis 2030 will Labour das Königreich komplett auf saubere Energie umgestellt haben.
Es gebe keine Zweifel am Ehrgeiz des Premierministers
Ein weiteres Vorhaben: In den kommenden fünf Jahren sollen 1,5 Millionen Wohnungen gebaut werden, lokale Verwaltungen sollen die Umsetzung vorantreiben. Die Zahl ist kein Richtwert, sondern ein verpflichtendes Ziel.
Die englische Presse reagiert unterschiedlich auf das forsche Vorgehen der neuen Regierung. „Seit den Siebzigerjahren hatte Großbritannien keine so interventionistische Regierung mehr“, schreibt der Guardian. Starmer wolle damit Bedingungen schaffen, die in diesen schwierigen Zeiten nötig seien, um die Lebenskosten zu senken und gleichzeitig den öffentlichen Glauben in die Politik wiederherzustellen. Auch wenn es noch zu früh sei, die Pläne zu beurteilen, so gebe es doch keine Zweifel am Ehrgeiz des Premierministers.
Der Telegraph ist weniger angetan. Offenbar habe niemand im Kabinett das Kapitel in den einschlägigen Standardwerken gelesen, die die unglückliche Wirtschaftspolitik der Sowjetunion behandelten. Planwirtschaft funktioniere nicht. Labour werde seine Lektion lernen, „nur ist es eine Schande, dass dieser Prozess für uns alle so teuer werden wird“.
Starmer, der im Vereinigten Königreich antrat, dessen „Bremse zu lösen“, gibt unterdessen weiter Gas. Am Donnerstag empfing er nahe der Oxford Parkway Station, im Blenheim Palace, 45 Politiker aus ganz Europa, beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Ein erster Schritt, „die Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union zu stärken“ (König Charles III.). Wer übrigens nach dem Gipfel mit der Bahn nach London fuhr, hatte mit Chiltern Railways keinerlei Probleme.