Standort München:Schönheit hat ihren Preis

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Eben noch von der sprudelnden Gewerbesteuer verwöhnt, lernen viele Städte nun die Finanzkrise zu fürchten. Die Münchener tragen es mit Fassung.

Joachim Käppner

Auch Oberbürgermeister brauchen Erholung, und Christian Ude, München, fährt dann gern mit dem Fahrrad herum. Zum Beispiel nach Grünwald: Der Vorort ist bekannt aus Derrick-Krimis, in denen sich hinter Villenfenstern die Abgründe eines Lebens in Reichtum auftun; er besitzt eine schöne Burg, teure Wohnstraßen und Autohändler für gehobene Limousinen.

Frauenkirche in München (Foto: Foto: ddp)

Was der radelnde OB Christian Ude auch reichlich sieht, sind die Schilder der Leasingfirmen. Sie zahlen nämlich deutlich weniger Gewerbesteuer als in München, und da sie wenig Personal- und Sachaufwand haben, spielt der Unterschied eine Rolle. München verlangt mit einem Hebesatz von 490 die höchste Gewerbesteuer im ganzen Land - Grünwald gerade die Hälfte.

München boomt

Den Sozialdemokraten Ude ficht das nicht an. Wenn die geschrumpfte CSU im rot-grün beherrschten Stadtrat wieder mal die Senkung der Gewerbesteuer fordert, lächelt er milde. Er kann es sich leisten: Die Stadt boomt, es gibt fast keine leerstehenden Büroräume.

Auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real gibt man sich mit Peanuts wie Gewerbesteuerhebesätzen gar nicht ab. Tausende Interessenten füllen die Neue Messe, am Abend ist die Nobeldisko P1 ebenso ausgebucht wie das Gros angesagter Locations der Stadt. München hat die wichtigste Gewerbeimmobilienmesse in Europa. Auf einem Podium wettert Ude gegen die Finanzspekulanten. Wer aber, sagt er, "statt in dubiose Papiere Geld in Münchner Immobilien investiert, kann seit Jahren mit ständiger Wertsteigerung rechnen". Krise? Hat jemand etwas von Krise gesagt?

Und doch ist sie da, selbst auf der Expo Real. Überall ist, meist eher verlegen, von Investoren und Gründern zu hören, die keinen Kredit mehr bekommen, von Kaufwilligen, denen keine Bank helfen mag. Ude, gleichzeitig Präsident des Deutschen Städtetages, sieht die Finanzkrise mit Sorge.

Krise kann auch Stadtfinanzen bedrohen

Ein goldenes Jahr wie 2007, in dem die Städte einen Überschuss von 8,6 Milliarden Euro erzielten - was den Gewerbesteuereinnahmen von 40,1 Milliarden zu verdanken ist -, wird sich vor dem dunklen Horizont der Finanzkrise gewiss nicht wiederholen. "Im schlimmsten Fall kommt es wieder zu einem so massiven Einbruch der städtischen Einnahmen wie vor fünf oder sechs Jahren", sagt Ude, "dann ist die nächste Krise der Kommunen da." Sicher sei jedenfalls, dass die Prognose des Arbeitskreises Steuerschätzungen, man werde auch in den Rathäusern "auf relativ hohem Einnahmeniveau bleiben, überhaupt nicht haltbar ist."

Der städtische Etat, sagte Ude am Mittwoch bei der Vorstellung des neuen Haushalts, "steht auf schwankendem Boden". Jeder weiß: Die Krise kann die Stadt dreistellige Millionensummen kosten. Und käme es wirklich so schlimm, sagt Ude, "dann würden wir als erstes die Rückzahlung der städtischen Schulden beenden - und zweitens Konsolidierungsprogramme starten", sprich: die Schere da ansetzen, wo es wehtut - Sozialgelder, Zuschüsse, Kulturförderung. Fiskalisch, sagt Münchens Stadtkämmerer Ernst Wolowicz daher, sei eine Senkung der Gewerbesteuer "derzeit absolut unverantwortlich".

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Ude verweist auf das Beispiel der Stadt Frankfurt, die ihren Hebesatz als "Signal an die Wirtschaft" geringfügig gesenkt hatte: "Und was hat es ihr genutzt? Die Deutsche Börse ist nach Eschborn gezogen." Das war in der Tat ein schockierendes Erlebnis für die Bankenstadt am Main: Sie schraubte den Hebesatz mit Mühe von 490 auf 460 hinunter. Kein Problem für Eschborn, den reichen Ort draußen vor den Toren: Er lockte mit 280, da war die Sache entschieden.

München würde eine solche Senkung 80 Millionen Euro kosten. Mit einem Wort, so Ude: "Großstädte können mit den Niedrigangeboten des Umlandes meist nicht konkurrieren - und sie sollten es, wenn möglich, auch gar nicht erst versuchen."

Investition in Stararchitekten

Der Sog ins Umland ist aber durchaus ein Problem. München hat an sein aufstrebendes Umland auf diese Weise Philip Morris verloren und die Rüstungsfirma ESG - und tut sich doch leicht. Die Konzerne drängen geradezu in die innere Stadt, bald wird mit der Linde-AG beim Jakobsplatz ein prächtiger neuer Firmensitz fertig sein - Udes Lieblingsbeispiel dafür, dass der Standort München nicht davon abhängt, "wie hoch der Hebesatz ist, sondern was er bietet und sich leisten kann". Die Infrastruktur will ja bezahlt sein, zum Beispiel ein 100-Millionen-Euro-Anbau des Stararchitekten Sir Norman Foster für das Lenbachhaus und seine Kunstsammlungen.

"Die Höhe der Gewerbesteuer war für unsere Entscheidung kein wesentlicher Faktor", sagt Unternehmenssprecher Uwe Wolfinger. Linde, ein Dax-Konzern und führend im Anlagenbau und bei Industriegasen, ist natürlich nicht nur nach München gekommen, weil der Himmel so blau, die Wirtschaftsförderung so unvergleichlich und Linde-Chef Wolfgang Reitzle München-Fan ist.

Gewerbesteuersatz nicht das Wichtigste

Man hat Standorte in Mainz und Aschaffenburg geschlossen, die Zentrale zog auch deshalb von Wiesbaden nach München, weil in Pullach ein Werk mit Tausenden Arbeitsplätzen steht. Außerdem erwirtschaftet Linde nur ein Zehntel des Umsatzes in Deutschland, noch dazu führt die "Gewerbesteuerzerlegung" - ein Begriff aus dem verbalen Höllenarsenal des Steuerrechts - dazu, dass nur ein kleiner Teil dieser deutschen Gewinne in München, dem Sitz der Zentrale, versteuert wird. Vor diesem Hintergrund ist es für einen Global Player wie Linde unerheblich, ob in München ein Gewerbesteuersatz von 490 oder 460 Punkten besteht.

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Aber das ist ja genau der Vorteil Münchens. Es ist attraktiv, es hat ein reiches Reservoir an Fachkräften, und die Wahl der Münchner City, an einem der schönsten Plätze der Stadt, ist natürlich ein Imagefaktor ersten Ranges. Linde Group Munich, das wirkt anders als Linde Group Pullach.

München kann es sich leisten, die höchste Gewerbesteuer zu verlangen. Gelsenkirchen oder Wuppertal müssen hohe Sätze nehmen, sonst liefe in den strukturschwachen Städten gar nichts mehr. Andererseits ist der Reiz für Investoren, sich dort niederzulassen, deutlich geringer - ein Teufelskreis.

Nun heißt das nicht, dass Münchens Mittelstand freudig Gewerbesteuer zahlt. Die Stadt ist teuer, die Kostenlast hoch, die Krise bedrohlich nah. Zu den Traditionsbetrieben gehört der Löwenbräukeller, frisch gepachtet vom jungen Gastronomen Christian Schottenhamel aus der berühmten Wirtsfamilie, in deren Zelt durch den anzapfenden Oberbürgermeister das Oktoberfest eröffnet wird.

"Jede Steuer ist zu hoch"

Schottenhamel sieht mit Unwillen dem Gewerbesteuerbescheid 2008 entgegen: Die von Ude in dessen Eigenschaft als Städtetagspräsident gefeierte "Ausweitung der Bemessungsgrundlage" bei der Gewerbesteuer durch die Unternehmensteuerreform sieht auch die Besteuerung von Zinsen, Pachten und Leasingraten vor, und das könnte für den Großpächter Schottenhamel teuer werden. Er wünscht sich, "dass die Stadt unseren unternehmerischen Einsatz auch mit einer finanziellen Geste würdigt und den Hebesatz senkt". Dabei gehe es "weniger um die Summe als mehr um einen Anreiz und ein Zeichen gegenüber Investoren: Wir freuen uns, wenn ihr herkommt!"

Wirtskollege "Wiggerl" Hagn sieht das genauso, auch wenn er mit bayerischer Selbstironie sagt: "Jede Steuer ist zu hoch, genauso wie der Preis für die Maß Bier." Da er sein Wiesn-Zelt von der Brauerei pachtet, muss er dafür Gewerbesteuer zahlen, und zwar 18.400 Euro zusätzlich nur für die 16 Festtage. Wer ein eigenes Zelt hat, zahlt das nicht. "Das tut weh", sagt Hagn, "aber mei: Dafür leben wir halt in München, der schönsten Stadt der Welt."

© SZ vom 9.10.2008/kim/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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