Süddeutsche Zeitung

Stand der deutschen Einheit:Deutsche zieht es in den Osten

Blühende Landschaften in den neuen Bundesländern? In dem Bericht zum Stand der deutschen Einheit, der in wenigen Tagen offiziell präsentiert werden soll, schwärmt die Bundesregierung angeblich über die günstige Entwicklung in Deutschlands Osten.

Wenn heute von "blühenden Landschaften" die Rede ist, denken manche mittlerweile nur noch an die nächste Bundesgartenschau, das Voralpenland oder die Münchner Gartenstadt Trudering. So lange ist es schon her, das der frühere Kanzler Helmut Kohl diesen Begriff mit einem der großen Versprechen der deutschen Geschichte verband.

Im Sommer 1990 sagte er in einer Ansprache zur Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der damaligen DDR: "Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt."

Bald darauf präzisierte er, dass "wir in den nächsten drei bis vier Jahren in den neuen Bundesländern blühende Landschaften gestalten werden".

An Blumen hat es in den Jahren danach zwar kaum gemangelt. Wohl aber an Arbeit. Nach der Wende brache die ostdeutsche Wirtschaft zusammen, Unternehmen wurden billigst verscherbelt oder gleich ganz zugemacht, viele Menschen zogen gen Westen.

"Beeindruckende Re-Industrialisierung"

23 Jahr später soll nun alles viel besser sein. Bild am Sonntag titelt unter Berufung auf den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit: "Endlich blühende Landschaften." Demnach geht es den neuen Bundesländern so gut wie nie zuvor.

Der Bericht wird in der kommenden Woche präsentiert, doch das Boulevardblatt hat schon reingeschaut und festgestellt, dass dort von einer "beeindruckenden Re-Industrialisierung Ostdeutschlands" die Rede sei. Die Arbeitslosenquote lag 2012 bei 10,7 Prozent, 2005 waren es noch acht Prozentpunkte mehr. Damit liegt die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 1991.

Auch kehrten immer mehr Leute in die neuen Bundesländer zurück: "Der Saldo der Binnenwanderung zwischen Ost- und Westdeutschland war 2012 erstmals seit der Wiedervereinigung nahezu ausgeglichen", zitiert das Blatt aus dem Bericht.

Fast eine Generation nach der Wiedervereinigung hätten sich "die ökonomischen Lebensverhältnisse in den ost- und westdeutschen Bundesländern, insbesondere der materielle Wohlstand, deutlich verbessert".

Im Bericht des vergangenen Jahres hatte sich das übrigens ganz ähnlich angehört. Damals hieß es, dass seit der Wiedervereinigung Deutschlands "der Prozess des Zusammenwachsens zwischen Ost und West weit vorangeschritten" sei. Zugleich bleibe "noch ein Stück Weg zu gehen, um die wirtschaftlichen Unterschiede in Deutschland entlang der ehemaligen Trennungslinie zu überbrücken.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dürfte bei der Vorstellung des Berichts erläutern, wie sich die Lage im Vergleich zum Vorjahr verändert hat - und womöglich auch, ob es sich nun lohnt, wieder über die blühenden Landschaften nachzudenken.

Die wie Bild zum Springer-Verlag gehörende Welt tat das übrigens dieser Tage auch und titelte fröhlich "Blühende Landschaften". Aber da ging es um den florierenden Mohnanbau in Afghanistan. Daran dachte Kohl sicher nicht.

Linktipp: Im Jahr 2010 suchten Reporter von Süddeutsche.de nach den blühenden Landschaften.

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