Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Die Stahlindustrie soll grün werden

Vertreter der Stahlindustrie machen beim Treffen mit Wirtschaftsminister Altmaier deutlich: Ohne öffentliche Unterstützung geht es nicht.

Von Thomas Fromm und Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Es ist wie im wirklichen Leben: In der Stahlindustrie gebe es zurzeit kein "Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem", sagte am Montag einer aus der Branche, was wohl so viel bedeutet wie: Alle wissen, dass etwas geschehen muss. Nur wie stellt man das am besten an? Für die Erkenntnis als solche braucht es nicht viel: Die Stahlunternehmen müssen etwas tun, um klimaneutral werden. Noch verursachen sie gut sechs Prozent aller CO₂-Emissionen in Deutschland - zu viel. Bis spätestens 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden, und schon in den Jahrzehnten bis dahin muss der Ausstoß sinken, wie das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich bestätigte. Die Frage aber ist: Wer soll das bezahlen?

Am Montag nun sprachen sie bis zum Nachmittag, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), führende Vertreter der Stahlunternehmen und der IG Metall. Auf der Tagesordnung stand die Frage, wie das im vergangenen Jahr mit der Bundesregierung verabschiedete "Handlungskonzept Stahl" im Detail umgesetzt und wie die Branche ihren Werkstoff bis 2050 klimaneutral produzieren soll. Den Unternehmen steht ein gigantischer Umbau bevor - die nötigen Investitionen werden allein für die kommenden neun Jahre auf zehn Milliarden Euro geschätzt. "2030, das ist für uns quasi schon morgen", heißt es in einer Branche, in der Produktionsanlagen jahrzehntelang laufen. "Die Stahlunternehmen wollen klimaneutral werden, doch dies wird nicht ohne öffentliche Unterstützung möglich sein", erklärte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, nach dem Treffen mit Altmaier. Und man begrüße, "dass der Bundeswirtschaftsminister zugesagt hat, kurzfristig noch vor der Sommerpause mit der Stahlindustrie über die weitere Umsetzung des Konzepts zu beraten". Altmaier kündigte nach dem Treffen an, für den klimafreundlichen Umbau der Stahlindustrie von 2022 bis 2024 zusätzlich mindestens fünf Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Der Umbau der Industrie sei eine "Daueraufgabe", die Gesamtinvestitionen für den Umbau zur CO₂-freien Stahlproduktion in Deutschland lägen bei insgesamt 35 Milliarden Euro. Die IG Metall forderte nach dem Treffen einen Fonds für die Industrie, ausgestattet mit zehn Milliarden Euro bis zum Jahr 2030.

Schon vor dem Treffen kam Kritik aus dem Saarland. "Das Handlungskonzept Stahl feiert bald Jubiläum, passiert ist absolut gar nichts außer das Totreden in Arbeitsgruppen", sagte die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Das Bundeskabinett hatte im vergangenen Sommer das "Handlungskonzept Stahl" beschlossen, um den Umbau der Branche zu flankieren. Lippenbekenntnisse reichten nicht, es müsse endlich Fleisch an den Knochen, heißt es daher seitdem aus der Branche. Viele Entscheidungen werden ohnehin in Brüssel fallen. Dort werde entschieden, wie weitreichend der Staat die Umrüstung der Stahlwerke fördern dürfe und wie stark die EU hiesige Produzenten vor Billigimporten aus dem Ausland schützen könne. Wie lange wird sie der Branche beispielsweise noch einen Teil der CO₂-Emissionsrechte kostenlos zuteilen?

Bisher gibt es viel zu wenig "grünen" Wasserstoff

Die Finanzierung ist kompliziert, dabei sind die technologischen Alternativen klar. Statt mit Kohle können die Produzenten Eisenerz mithilfe von Wasserstoff zu Eisen und dann zu Stahl verarbeiten, der schließlich etwa für Autos, Waschmaschinen oder Brücken gebraucht wird. Dies schont das Klima, wenn der Wasserstoff zuvor mit viel Ökostrom aus Wasser gewonnen wird. So weit, so gut - denn es gibt da einige Hürden. Beispielsweise gibt es bislang viel zu wenig "grünen" Wasserstoff. Der Staat will diesem Energieträger zwar mit vielen Milliarden auf die Beine helfen. Doch noch ist sogenannter "grauer" Wasserstoff, klimaschädlich hergestellt aus Erdgas, deutlich günstiger. Zudem werden neue Anlagen für "grünen" Stahl viele Milliarden kosten. Dabei stehen die Hersteller in einem weltweiten Wettbewerb, und gerade in Krisenzeiten wie etwa der Corona-Pandemie melden hiesige Stahlunternehmen Verluste. "Kein Stahlhersteller kann diese Transformation aus eigener Kraft stemmen", bekannte Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz bei ihrer jüngsten Hauptversammlung. Der Stahl-Verband warnt zudem davor, dass die Stahlherstellung abwandern könnte - und zwar in jene Regionen dieser Welt, in der die Umweltauflagen schwächer sind.

Eine seit einiger Zeit diskutierte Möglichkeit, die Umstellung der Stahl-Produktion zu finanzieren, sind Klimaverträge. Zu diesem Zweck könnten mit den energieintensiven Stahlunternehmen Abkommen geschlossen werden, die über zehn Jahre laufen. Die Verträge, sogenannte "Carbon Contracts for Difference", sollen zwischen Bund und Industrie geschlossen werden, um so die Mehrkosten einer klimafreundlichen Produktion auszugleichen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5283385
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.