Stahlindustrie:Angst vor Strafzöllen

ThyssenKrupp Stahlwerk Marxloh

Thyssenkrupp reagiert auf die Entwicklung in der Branche und legt sein europäisches Stahlgeschäft mit dem indischen Konzern Tata Steel zusammen. Das Foto zeigt die Kokerei Schwelgern in Duisburg am Rhein.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Die USA wollen ihre Stahlindustrie vor Billigimporten schützen, die vor allem aus China kommen. Handelshürden würden aber auch deutsche Erzeuger treffen.

Von Claus Hulverscheidt, Henrike Roßbach und Benedikt Müller, Berlin/New York/Düsseldorf

Offiziell gibt man sich in Berlin noch gelassen. Schließlich, so heißt es, handele es sich bei dem Bericht von US-Wirtschaftsminister Wilbur Ross ja nur um einen Vorschlag und nicht um eine Entscheidung. Hinter den Kulissen jedoch dürfte die Nervosität am Wochenende kräftig gewachsen sein: Ross will zum Schutz der US-Stahl- und Aluminiumindustrie Einfuhren aus dem Ausland beschränken und drastisch verteuern. Greift Präsident Donald Trump die Empfehlungen auf, werden auch amerikanische Kunden deutscher Stahlunternehmen in Zukunft mit hohen Zöllen und Importquoten klarkommen müssen.

Anders als bei der jüngsten Verhängung von Strafzöllen auf den Import von Solarzellen und Waschmaschinen begründet der US-Wirtschaftsminister seine Empfehlung diesmal nicht mit wirtschaftlichen Erwägungen, sondern mit der nationalen Sicherheit. Sie sei gefährdet, so das Argument, wenn die USA kriegswichtiges Gerät wie U-Boote nicht mehr komplett selbst herstellen könnten.

Eine Sichtweise, die bei Ross' Berliner Kollegin Brigitte Zypries (SPD) schon im vergangenen Sommer auf Unverständnis gestoßen war: "Es gibt nach hiesiger Einschätzung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass europäische oder deutsche Stahlimporte die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohen oder beeinträchtigen könnten", schrieb sie seinerzeit in einem Brief an den US-Kollegen. Eine Sprecherin der Ministerin griff diese Argumentation am Wochenende noch einmal auf. Sie betonte, die Bundesregierung halte jedwede Maßnahmen gegen die europäische Stahlindustrie nach wie vor für "ökonomisch nicht begründbar" und "rechtlich problematisch".

Weltweit wird zu viel Stahl produziert, das führt zu einem Preisverfall

Ross' Konzept sieht drei Möglichkeiten vor. Die erste ist ein genereller Zoll auf Stahleinfuhren aus allen Ländern von mindestens 24 Prozent. Alternativ könnten die Zölle auf Importe aus zwölf Staaten konzentriert werden, darunter China, Russland und Indien sowie der Nato-Partner Türkei. Die Bundesrepublik wäre hier ausgespart, müsste allerdings - wie alle anderen Länder - ihre Exporte auf dem Niveau von 2017 einfrieren. Die dritte Option sieht den Verzicht auf Zölle, dafür aber die Einführung genereller Quoten vor: Damit würden alle Importe auf 63 Prozent der Vorjahresmenge limitiert. Auch Einfuhren von Aluminium will Ross mit Zöllen belegen. Sie sollen aber nicht so hoch ausfallen wie jene beim Stahl und weniger Länder betreffen. Trump hat nun bis Mitte April Zeit zu entscheiden, ob er den Vorschlägen folgt. Die Industrie in Deutschland kritisiert die Empfehlungen des US-Wirtschaftsministers. "Protektionistische Maßnahmen sind der falsche Weg, um auf die massiven Verzerrungen auf den internationalen Stahlmärkten zu reagieren", sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Düsseldorf. Zwar gehen nur etwa sieben Prozent der deutschen Stahlexporte in die USA. Die Branche befürchtet allerdings, dass künftig noch mehr Ware auf die offenen Märkte in Europa strömen könnte, falls sich die USA stärker abschotten. In Deutschland beschäftigt die Stahlindustrie etwa 85 000 Menschen. Die Branche leidet darunter, dass weltweit viel mehr Stahl hergestellt werden kann, als von dem Werkstoff wirklich nachgefragt wird. Die größten Überkapazitäten hat in den vergangenen Jahren die chinesische Stahlindustrie aufgebaut. Daher sind die Preise auf dem Weltmarkt gesunken. Staaten wie Russland, Indien oder Brasilien erheben bereits Import-Zölle, um ihre nationalen Hersteller zu schützen. Eine mögliche Abschottung der USA könnte "protektionistische Tendenzen weiter verstärken", warnt Kerkhoff. Die US-Regierung hatte bereits im vergangenen Jahr Stahlhersteller wie Salzgitter oder Dillinger Hütte des Dumpings bezichtigt. Die Unternehmen weisen die Anschuldigungen als haltlos zurück.

Auch Zypries hatte sich wiederholt eingeschaltet. Noch im vergangenen November, am letzten Tag der deutschen G-20-Präsidentschaft, lud sie zu einem Stahl-Gipfel. Geplant war die Tagung als Ministertreffen - die meisten Staaten aber schickten nur Vertreter, auch die USA. Das Wirtschaftsministerium hält das G-20-Forum weiterhin für die richtige Plattform, um das Problem der weltweiten Stahlüberkapazitäten multilateral anzugehen.

Die Bundesregierung warnt vor einem möglichen Handelskrieg

Faktisch waren sich die Staaten bei ihrem letzten Treffen zwar einig, dass marktverzerrende Subventionen, Dumpingpreise und Überkapazitäten abgebaut werden müssen, wie genau das aber passieren soll, blieb offen. Der Vertreter der USA hatte schon in Berlin unverhohlen seine Skepsis zu Protokoll gegeben: "Die grundlegenden Probleme sind noch nicht wirklich angegangen worden", sagte er nach dem Treffen. Seine Regierung behalte sich weiter vor, "in geeigneter Weise auf Marktverzerrungen zu reagieren". Mit Blick auf die nun anstehende Entscheidung Trumps lässt das nichts Gutes ahnen.

Zypries' Sprecherin sagte am Wochenende: "Unsere Haltung ist klar: Im Hinblick auf das Problem weltweiter Stahl-Überkapazitäten ist ein ganzheitlicher Blick über den nationalen Tellerrand nötig: Ein globales Phänomen braucht eine globale Lösung." Das globale Stahlforum im Rahmen der G 20 sei zielführender, "als nationale Hürden einzuziehen oder einseitigen Protektionismus zu betreiben".

Es sind allerdings beileibe nicht nur die Amerikaner, die sich gegen Dumping wehren und vor allem dem weltgrößten Produzenten China vorwerfen, viel zu viel Stahl auf den Weltmarkt zu bringen und damit die Preise zu ruinieren. Auch die EU hat mehr als 40 Strafzölle auf Stahlprodukte verhängt - und zeigt wenig Hemmungen, das auch weiter zu tun.

Die Sorge der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung reicht aber über den jetzigen Streit hinaus. Sollten nämlich die USA nun beim Stahl im Alleingang auf Protektionismus statt auf multilaterale Verhandlungen setzen, könnten die betroffenen Staaten Gegenmaßnahmen einleiten. Eine Protektionismuswelle, eine Abkehr von den Regeln der Welthandelsorganisation WTO oder gar ein Handelskrieg jedoch würden kaum eine Volkswirtschaft so sehr treffen wie die deutsche.

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