Stadtrundgang:Bis zum Glockenläuten

Vom Römer zur Paulskirche und zum Eisernen Steg: Eine kleine Tour durch das Zentrum frischt natürlich die Geschichtskenntnisse auf und lehrt aber auch Erstaunliches: Was in der Stadt alt aussieht, ist oft neu.

Von Helga Einecke

Los geht es auf dem Römerberg. Bei diesem Berg handelt es sich eher um einen mit Pflastersteinen befestigten Hügel. Aber der hat es in und unter und über sich. Er ist der ideale Standort für einen Schnelldurchgang durch die Frankfurter Geschichte. Nach Westen schaut man auf das Rathaus namens Römer. Klar, die Römer waren hier. Die Reste ihres Militärlagers ruhen in der Tiefe. Aber so alt ist das Gebäude mit seinen zackigen und spitzen Giebeln nicht, möglicherweise waren italienische Kaufleute aus Rom die Namensgeber. Frankfurt liegt mitten in Europa, noch heute als Verkehrsknotenpunkt bekannt. Früher führte an der Furt der Franken kein Weg vorbei. Viele zogen durch, Karl der Große gab der Stadt den Namen.

All das erzählt die kompetente Stadtführerin, fesch mit schwarzem Hut und eingepackt in dicker Daune. Die volle Sonne taucht das Ensemble rund um den Römerberg in ein grelles Licht. Es ist bitterkalt. Nur wenige Touristen können sich bei Minusgraden für den einstündigen Stadtrundgang erwärmen. Zwei Herren aus dem Norden und auf dem Zwischenstopp nach Miami tragen Handschuhe, Mütze und Kapuze.

Weiter geht es auf die Seite gegenüber vom Rathaus. "Jeder denkt, das ist alt", sagt die Stadtkundige und weist auf eine kleinteilige Häuserzeile. Sie stammt aus dem Jahr 1984, ist nur auf alt getrimmt. Nach dem Krieg, so hört man, wurden in der total zerbombten Innenstadt nur vier Gebäude wieder aufgebaut. Der Römer, der Dom, die Paulskirche und das Goethehaus. Der Rest wurde abgerissen und entstand neu im Stil der Fünfzigerjahre.

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Die Altstadt mit Römer und Paulskirche (im Vordergrund) unterscheidet sich deutlich vom Bankdistrikt (im Hintergrund).

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Gleich neben der neuen alten Häuserzeile geht es zum Museum Schirn. "Schirn?", fragt einer der Stadtrundgangteilnehmer. Schirn bedeute Metzgerladen, wird ihm geantwortet. Der Tourist schüttelt ungläubig den Kopf. Von Metzgern aber keine Spur, nur Sandsteinfassaden.

Die Arkaden der Schirn führen schnurgerade zum Dom, der gar keiner ist, denn Frankfurt war niemals Bischofssitz. Der Dom hielt dem Bombenhagel stand. Ob ihn die Amerikaner wirklich bewusst verschonten?

Um die EZB herum entsteht ein neues Viertel samt Hotels und Discos

Linkerhand wird an der neuen Altstadt gewerkelt, die gerade entsteht. Die eine Häuserzeile aus dem Jahr 1984 reicht nämlich nicht. Weitere 35 Häuser werden teils originalgetreu, teils modern wieder aufgebaut. Zwischen Dom und Römer entstehen enge Gassen, die Vorkriegszeit soll wieder aufleben. Die Stadtführerin sagt, die Frankfurter hätten Schlange gestanden, um eine Altstadt-Immobilie zu erwerben. Immerhin bis zu 7500 Euro pro Quadratmeter wären fällig. "Das wird alles bestens angenommen", ist zu hören. Und sei nach den vielen modernen und postmodernen Bauten kaum überraschend. "Jetzt wollen die Leute wieder etwas Schnuckliges." Einen historischen Boden bekommen sie obendrauf.

Stadtrundgang: Die Brücken der Stadt waren einst eine wichtige Einnahmequelle, denn da musste jeder Kaufmann durch und wurde abkassiert.

Die Brücken der Stadt waren einst eine wichtige Einnahmequelle, denn da musste jeder Kaufmann durch und wurde abkassiert.

(Foto: Michael Probst/AP)

Denn Jahrhunderte lang kam mitten in Frankfurt die Elite Europas zusammen, wählte und krönte ihre Kaiser. Man schritt mit großem Gefolge von der Kirche zum Römer, dessen Kaisersaal an diese Zeiten erinnert. Zu solchen Feierlichkeiten öffneten damals die Schirn, die Verkaufsstände der Metzgerzunft, ihre Klappen, boten den Schaulustigen Wurst und Weck feil.

Auf dem Weg zum Eisernen Steg, einer Brücke über den Main, passiert man den Neubau des Historischen Museums. Dort finden sich nur Kopien von Zepter, Krone und Reichsapfel. Die Originale nahm der letzte Kaiser 1806 mit nach Wien und firmierte zum Franz dem Ersten von Österreich um.

Die Brücken waren früher eine wichtige Einnahmequelle der Stadt. An ihren Türmen wurde abkassiert, da musste jeder Kaufmann durch. Im Süden in Sachsenhausen lebten Handwerker wie Schiffer, Gerber, Gärtner. Im Norden dagegen die Pfeffersäcke. Ein Bankier namens Bethmann sei als erster auf die Idee gekommen, die Vermögen anderer zu sammeln und anzulegen. Heute sind viele neue Geldhäuser hinzugekommen, der Pfeffer hat sich in Euros gewandelt, die Säcke in Hochhäuser. Automatisch fällt der Blick nach Osten, wo sich das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank abhebt. Ein neues, verrücktes Viertel sei rund um die Notenbank entstanden, berichtet die Stadtführerin, samt Hotels und Discos.

Nächtliche Straßenmusik

Der Eiserne Steg verbindet das Römer-Areal mit Sachsenhausen. Seine hübsche Form aus Metall hat es den Touristen angetan, die gerne vor der Kulisse der Hochhäuser posieren.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Der Eiserne Steg verbindet das Römer-Areal mit Sachsenhausen. Seine hübsche Form aus Metall hat es den Touristen angetan. Die meisten Gäste stammen aus Asien. Sie posieren gerne vor der Kulisse der Hochhäuser, in Gruppen und einzeln.

Bleibt noch der Gang zur Paulskirche, vorbei am menschenleeren Paulsplatz. Eine Kirche ist das Gebäude seit dem Krieg nicht mehr, sondern ein Symbol der Demokratie. 1848 tagten darin die Delegierten der ersten frei gewählten Volksversammlung der deutschen Lande und postulierten das Ende der Kleinstaaterei. Obwohl keine Kirche mehr, besitzt das Gebäude sehr wohl Glocken, die gerade läuten. Das gibt der Stadtführerin die Gelegenheit, vom großen Geläut zu berichten, das in der Frankfurter Altstadt zu hören ist.

Die Glocke der Paulskirche startet, nach und nach fallen 50 Glocken von zehn Kirchen ein. Ein Musiker hat sich diesen Akkord ausgedacht, der mit der Gloriosa des Doms und ihrem tiefen E endet. Zu Weihnachten strömen die Menschen auf den Römerberg und zum Paulsplatz, genießen die feierliche Stimmung. Sie gehen nicht mehr in die Kirche, sondern lauschen lieber im Freien eine halbes Stunde lang dem Sound der Glocken, so die Stadtführerin.

Das Läuten hört auf, die Stunde der Frankfurt-Lektion ist um. Zwingend folgt ein warmes Getränk zum Aufwärmen, gereicht in der Chocolaterie namens Bitter & Zart, wo der Blick erneut auf die Gerüste der neuen Altstadt fällt. In einem Jahr soll alles fertig sein.

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