Süddeutsche Zeitung

Stadtmarketing:Mehr als Marzipan

Lübeck ist bekannt für Süßes, Düsseldorf für die Kö, Salzburg für Mozart. Aber das ist längst nicht alles, was Touristen und Einheimische attraktiv finden könnten. Wie Fachleute neue Akzente setzen.

Von Stefan Weber

Zum Beispiel Lübeck: Wer Menschen fragt, die nicht aus der Stadt im Südosten Schleswig-Holsteins kommen, was sie mit Lübeck verbinden, erhält häufig dieselbe Antwort: Marzipan, Buddenbrooks und das Holstentor. Für Peter Pirck, Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung, die alle paar Jahre ein Ranking der beliebtesten deutschen Städte aufstellt, ist das zunächst ein gutes Ergebnis: "Die Stadt hat ein klares Profil. Die Kernthemen sind fest im Bewusstsein von Ortsfremden verankert." Das Stadtmarketing darf nach seiner Meinung nur nicht den Fehler machen, weiter ausschließlich diese bekannten Botschaften nach draußen zu tragen. Denn dann herrsche rasch Stillstand. In Lübeck sind sie dieser Versuchung offensichtlich nicht erlegen. Denn jenseits von Marzipan, Buddenbrooks und Holstentor wuchern die Verantwortlichen seit einiger Zeit vermehrt mit einem anderen Pfund, das ihre Stadt zu bieten hat: dem schmucken historischen Stadtkern, der seit 1987 auf der Liste des Weltkulturerbes steht.

Wie hartnäckig ein Image an einem kleben kann, wissen die Menschen im Ruhrgebiet genau

Warum ist es so wichtig, was Ortsfremde mit einer Stadt verbinden, welchen Ruf sie hat? "Städte stehen immer stärker im Wettbewerb um Bewohner, Touristen, Unternehmen und Investoren - national und immer stärker auch international", sagt Thomas Geisel, Oberbürgermeister von Düsseldorf. Mit seiner Stadt verbinden Nicht-Düsseldorfer von nah und fern sehr häufig vor allem eins: die Edel-Einkaufsmeile Königsallee, kurz Kö. Das ist nach Meinung der Stadtväter ein bisschen wenig - gemessen an dem, was sonst noch in der Stadt passiert. Deshalb gründeten sie im März 2015 die Düsseldorf Marketing GmbH. Ihr Auftrag: die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt zu einer Marke zu machen, die für mehr steht als schickes Einkaufen. Geisel weiß, dass das viel Geduld erfordert: "Ein Sprint wird das nicht."

Wie hartnäckig ein Image an einem kleben kann, wissen vor allem die Menschen im Ruhrgebiet. Die Region ist schon lange nicht mehr dominiert von Kohle und Stahl. Die alten Industrien sind weitgehend verschwunden. 2017 wird mit Prosper-Haniel in Bottrop die letzte Zeche dicht machen. Aber wenn Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Garrelt Duin Besucher aus anderen Teilen der Republik empfängt, bekommt er stets diesen einen Satz zu hören: "Ich bin überrascht, wie grün es hier ist." Und mancher, der beispielsweise in Gelsenkirchen arbeitet, lebt lieber woanders - schon um bei Fremden nicht mitleidsvolle Blicke zu ernten, wenn die Frage nach dem Wohnort gestellt wird. Wie zum Beispiel die Fußballer des FC Schalke 04, die überwiegend in Düsseldorf wohnen.

Mit so großem Einsatz wie die Landeshauptstadt am Rhein gehen nur wenige an das Thema Markenbildung heran. Mehr als 2000 Städte gibt es in Deutschland; 81 von ihnen haben mehr als 100 000 Einwohner. Und in weiteren 614 Städten leben zumindest zwischen 20 000 und 100 000 Menschen. "Aber die Hälfte der 500 größten Städte beschäftigt im Stadtmarketing höchstens drei Mitarbeiter", hat Bernd Radtke, Professor für Marketing und Vertrieb an der Hochschule Aalen, ermittelt. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema, hat bereits vor 20 Jahren eine Doktorarbeit über Stadtmarketing geschrieben.

Städte haben es nach seiner Überzeugung ungleich schwerer als Unternehmen, sich als Marke zu etablieren. Denn ihr Handlungsspielraum ist eingeengt durch eine Reihe von Faktoren, die sie nicht beeinflussen können. Etwa das Klima, die Topografie, die Historie und nicht zuletzt den Namen. Konzerne dagegen nennen sich bei einem Schwenk in der Strategie mitunter kurzerhand um - Städte können das nicht. Gleichwohl müssen sie sich profilieren - schon allein weil Fachkräfte immer knapper werden. Wenn qualifizierte Arbeitnehmer die Wahl zwischen mehreren Jobs in verschiedenen Städten haben, entscheiden sie auch danach, wo es sich besser leben lässt. Solche "weichen Faktoren" werden bei der Arbeitgeberwahl immer wichtiger, erzählen Personalchefs.

Wie geht Stadtmarketing? Wie schafft man es, dass Menschen über eine Stadt, die sie noch nie besucht haben, sagen: Da muss es toll sein? Die Stiftung "Lebendige Stadt" hat vor Kurzem mit einem Kongress versucht, dem Thema Markenbildung auf die Spur zu kommen. Dabei war rasch klar: Den einen Weg zu einem klaren Profil gibt es nicht. Und die bekannten Rezepte aus dem Marketingbuch für Konsumgüter lassen sich nicht so leicht übertragen auf komplexe Gebilde wie Städte. "Am Anfang steht immer eine gedankliche Sammlung all der Dinge und Themen, die eine Stadt prägen", sagt Pirck. Dann beginne der schwierigste Teil der Markenarbeit: die Entscheidung, welches die Kernthemen sein sollen. Also welche Dinge "ins Schaufenster" gestellt werden sollen. Dabei ist weniger mehr. Denn wer zu viele Botschaften transportieren wolle, erreiche am Ende nichts: "Dann ist eine Stadt in den Augen vieler Betrachter beliebig und damit austauschbar."

Franka List, Managerin der Lutherstadt Wittenberg Marketing GmbH, hat ein anderes Problem. Ihre Stadt ist so stark geprägt durch Martin Luther, den theologischen Urheber der Reformation, dass kaum Platz ist für andere Themen. "Es ist eine Herausforderung, das Thema Luther immer wieder mit neuen Inhalten zu füllen", betont sie. Vor dem Jubiläumsjahr 2017, in dem in Wittenberg 500 Jahre Reformation gefeiert werden, haben List und ihre Kollegen ohnehin keine Kapazitäten. Aber danach, kündigt die Expertin an, werde die Stadt endlich zeigen, dass sie mehr zu bieten habe als Luther: eine attraktive Lage an der Elbe und Industriekultur zum Beispiel.

Salzburg, vor allem bekannt als Mozart- und Festspielstadt, zeigt, wie man sein Profil um eine Facette ergänzen und sich damit ein Stück verjüngen kann: indem man das Kernthema der klassischen Musik um eine andere Musikart erweitert: Jazz. Zum 17. Mal veranstaltet die Stadt in diesem Herbst ein Jazz-Festival. Das ist vor allem deshalb ein Erfolg, weil es eine lebendige Szene in Salzburg gibt. "Ich warne davor, über Events Inhalte schaffen zu wollen, die nicht vorhanden sind. Festivals, die wie ein Ufo über eine Stadt kommen und dann wieder verschwinden, hinterlassen keine Spuren", meint Tina Heine, Intendantin von Jazz & The City Festival Salzburg.

Am Ende funktioniert Markenbildung nur, wenn die Verantwortlichen in den Städten die Bürger mit ins Boot nehmen. "Wenn der Bürgermeister sagt, wie seine Stadt sein soll, interessiert das niemand. Entscheidend ist, wie die Menschen ihre Stadt empfinden, denn sie sind die wichtigsten Markenbotschafter", sagt Stadtmarken-Experte Pirck. Welches Gewicht das haben kann, zeigt das Beispiel Karlsruhe: In der 300 000-Einwohner-Stadt herrscht traditionell ein großes Kommen und Gehen. "In jedem Jahr verlieren und gewinnen wir zwischen 23 000 und 25 000 Einwohner. Da ist es ganz wichtig, welche Botschaft diejenigen mitnehmen, die Karlsruhe verlassen", betont Oberbürgermeister Frank Mentrup.

Eine der Städte, in denen es besonders gut gelungen ist, die Bevölkerung zu emotionalisieren, ist Köln. "Die Stadt ist wirklich nicht die Schönste im ganzen Land. Aber wohl nirgendwo sonst lieben die Menschen ihre Stadt so sehr", sagt Friedrich Neukirch, Vorstand des Markenverbandes und langjähriger Chef der Klosterfrau Healthcare Group in Köln. "Köln ist ein Gefühl" - der offizielle Claim der Stadt bringt es auf den Punkt. Und doch müssen auch die Kölner ihr Image ein wenig drehen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Denn auf die Frage, was sie mit der Stadt am Rhein verbinden, hören Marktforscher seit Jahren stets dieselben Attribute: den Dom, Karneval und den FC.

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SZ vom 30.09.2016
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