Finanzpolitik:Europas riskante Rücksicht beim Geld

Finanzpolitik: Staats- und Regierungschefs hoch verschuldeter Länder wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordern, die Vorschriften des Stabilitätspakts aufzuweichen.

Staats- und Regierungschefs hoch verschuldeter Länder wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordern, die Vorschriften des Stabilitätspakts aufzuweichen.

(Foto: Aurelien Morissard/Imago/PanoramiC)

Die EU-Kommission lässt den Stabilitätspakt länger ausgesetzt als gedacht. Das ist gefährlich. Nötig wären mehr Realismus und mehr Härte.

Ein Kommentar von Björn Finke

Die Regeln für solide Haushaltsführung in der EU sind weiter ausgesetzt - und sie sollen in dieser Form auch nie mehr in Kraft treten: Die Kommission schlug nun vor, den Stabilitäts- und Wachstumspakt erst Anfang 2024 wieder zu aktivieren. Zudem will sich die Behörde in den kommenden Wochen mit den Mitgliedstaaten über Änderungen an dem Regelwerk austauschen. Im Herbst wird Brüssel dann Entwürfe präsentieren. Die Entscheidung, den Pakt noch länger nicht anzuwenden, ist ein Fehler. Das Ansinnen, ihn zu reformieren, ist hingegen goldrichtig.

Die Vorschriften sollen verhindern, dass sich EU-Regierungen zu hoch verschulden und den Euro in eine Krise stürzen, so wie es vor gut zehn Jahren geschah. Daher legt der Pakt Obergrenzen fest: die jährliche Neuverschuldung soll höchstens drei Prozent der Wirtschaftsleistung betragen und die Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent. Doch vor zwei Jahren, zu Beginn der Pandemie, beschloss die Kommission, die Regeln außer Kraft zu setzen, damit Regierungen die Wirtschaft in der Corona-Krise besser unterstützen können. Geplant war, den Pakt Ende 2022 wieder zu aktivieren, aber das verschiebt die Behörde jetzt um ein Jahr, wegen der Belastungen durch den Ukraine-Krieg.

Dann werden die Vorschriften fast vier Jahre ausgesetzt gewesen sein - eine gefährlich lange Zeit. Schließlich könnten sich ausgabefreudige Regierungen an die große Freiheit beim Schuldenmachen gewöhnen; dies wird das erneute Anziehen des Korsetts Anfang 2024 umso schwieriger machen. Zudem senkt die Entscheidung für einen Aufschub die Latte für solche Ausnahmen. Und wenn Ausnahmen fast zur Regel werden, untergräbt das die Glaubwürdigkeit. Als die Kommission den Pakt vor zwei Jahren auf Eis legte, schrumpfte die Wirtschaft in den 19 Euro-Staaten um mehr als sechs Prozent, die Lage war dramatisch. Für 2022 und 2023 erwartet die Behörde hingegen gut zwei Prozent Wachstum, trotz Krieges und hoher Inflation.

Die Fehlentscheidung hat aber wenigstens ein Gutes: Der Aufschub gewährt den Regierungen und der Kommission mehr Zeit, sich auf Änderungen des Pakts zu einigen, bevor er wieder in Kraft tritt. Und Verbesserungen sind nötig, denn die Bilanz des Regelwerks ist gemischt. Zwar hielten vor der Pandemie die allermeisten Staaten die Drei-Prozent-Grenze fürs Defizit ein, doch zahlreiche Regierungen versäumten es, während der Aufschwungjahre ihre Schuldenberge kräftig abzutragen, wie es der Pakt vorsieht. Ein weiteres Problem ist, dass Regierungen, wenn sie denn sparen, vor allem die Investitionen kappen anstatt zum Beispiel die Renten. Dies belastet wiederum das Wirtschaftswachstum. Daneben ist der Pakt nach einigen Anpassungen sehr kompliziert und schwer nachvollziehbar geworden.

Ausnahmen würden den Pakt noch komplexer machen - und schwieriger durchsetzbar

Regierungen hoch verschuldeter Staaten wie Frankreich fordern nun, die Vorschriften aufzuweichen: Die Kommission sollte etwa Investitionen in Klimaschutz nachsichtiger behandeln beim Berechnen des Haushaltsdefizits. Das wäre aber der falsche Weg. Solche Ausnahmen würden den Pakt noch komplexer und schwieriger durchsetzbar machen. Und aus Sicht der Finanzmärkte sind auch grüne Staatsschulden am Ende Schulden.

Mehr Flexibilität ist allerdings bei einer anderen Klausel angebracht. Bislang gibt der Pakt hoch verschuldeten Staaten das Ziel vor, ihre Verbindlichkeiten binnen zwanzig Jahren auf die 60-Prozent-Zielmarke zu senken. Das ist für Länder wie Italien und Griechenland völlig utopisch. In Brüssel kursiert die Idee, dass die Kommission stattdessen individuelle Pläne zum Schuldenabbau erstellen sollte. Das wäre sicher ein Fortschritt, denn unrealistische Vorgaben schaden nur der Glaubwürdigkeit.

Am wichtigsten ist jedoch, dass die Kommission den Pakt besser durchsetzt. In der Vergangenheit verzichtete die Behörde darauf, Regelbrecher hart anzugehen, und suchte lieber nach Gründen, wieso mal wieder Nachsicht angebracht sei. Die Schuldenberge sind bedrohlich gewachsen, die Zinsen steigen - derart konfliktscheue Stabilitätswächter kann sich die EU nicht länger erlauben.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusKarriere
:Millennials wollen nicht mehr Chef werden

Die 27- bis 41-Jährigen wären jetzt genau im richtigen Alter, um Karriere zu machen. Doch statt begeistert zuzugreifen, lehnen viele von ihnen Führungspositionen dankend ab. Aus Faulheit?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: