Staatstrojaner:Die digitale Inquisition hat begonnen

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Ermittler haben Zugriff auf die Kommunikation via Smartphone - der Trojaner ist im Einsatz. (Foto: Warren Wong / Unsplash)

Der Staatstrojaner ist im Einsatz: Jedwede Kommunikation steht jetzt unter der Kuratel des Staates, jedwede Intimität in Computern ist von Ermittlern einsehbar. Schranken, die es beim Lauschangriff noch gab, gibt es nicht mehr. Warum lassen sich das die Bürger gefallen?

Kommentar von Heribert Prantl

Die digitale Inquisition hat begonnen; der Staat führt sie durch. Das Bundeskriminalamt installiert Staatstrojaner in privaten Computern, Laptops und iPhones. Es tut dies auf gesetzlicher Grundlage; aber dieses Gesetz ist bedenklich: Es ist, nach einem hastigen Gesetzgebungsverfahren, am 24. August 2017 in Kraft getreten. Das Gesetz erlaubt den Sicherheitsbehörden, die Infiltration und Überwachung von IT-Systemen aller Art, es erlaubt das Überwinden aller vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Handys, Tablets und Laptops mittels einer Spionage-Software, um jedwede Kommunikation an der Quelle überwachen zu können. Diese Software ist nun nicht mehr nur einsatzbereit; sie wird nun eingesetzt, heimlich natürlich.

Die Ermittler, die das Wort "Staatstrojaner" nicht mögen, reden harmlos von "Quellen-TKÜ", von der Überwachung der Telekommunikation an der Quelle also. Aber es ist dies ganz und gar nicht harmlos. Die neue Form der Überwachung ist ein neuer Höhepunkt der Nine-Eleven-Politik. Seit dem 11. September 2001 ist die Politik der westlichen Welt, auch die der Bundesrepublik, dabei, ihre Rechtsstaaten in Präventions- und Sicherheitsstaaten umzubauen. Der Präventions- und Sicherheitsstaat zehrt von den Garantien des alten Rechtsstaats; der Präventions- und Sicherheitsstaat entsteht, indem er diese Garantien verbraucht.

"An der Quelle saß der Knabe" - so beginnt ein berühmtes Gedicht von Schiller. Dort sitzt jetzt nicht mehr der Knabe, sondern das Bundeskriminalamt. Fredrik Roggan, er ist Professor für Strafrecht an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, beschreibt die neue Inquisition so: "Der Zugriff erfolgt heimlich und kann nicht nur einmalig und punktuell stattfinden, sondern sich auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. Nicht nur neu hinzukommende Kommunikationsinhalte, sondern sämtliche auf einem informationstechnischen System gespeicherten, gegebenenfalls viele Jahre alte Inhalte sowie das gesamte Nutzungsverhalten können überwacht werden" - inklusive tagebuchartige Aufzeichnungen, inklusive Film- und Tondokumente. So hat es der Jurist in einem akribischen Aufsatz in der Fachzeitschrift "Strafverteidiger" (im Dezemberheft 2017) analysiert.

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Deswegen ist die Beschreibung der neuen Rechtslage mit "digitaler Inquisition" richtig beschrieben. Sie tut nicht körperlich weh, sie ist einfach da; sie macht die Kommunikation unfrei, sie zerrt die intimsten Informationen in die analogen oder digitalen Akten der Ermittler. Jedwede Kommunikation steht jetzt unter der Kuratel des Staates, jedwede Intimität in Computern ist jetzt von Ermittlern einsehbar. Schranken und Sperren, die es diesbezüglich beim Lauschangriff noch gab, gibt es nicht mehr. Wie schrieb das Verfassungsgericht einmal: Die freie und geschützte Kommunikation sei eine "elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen Staatswesens." Vorbei. Und das "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das die vom Bundesverfassungsgericht 2008 in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung proklamiert hat, ist nicht mehr viel wert.

Der Polizeirechts- und Strafrechtsexperte Fredrik Roggan hat den Zielkonflikt, den das Staatstrojaner-Gesetz mit sich bringt, verschärft und brutalisiert, anschaulich beschrieben: Einerseits besteht jetzt, um die Staatstrojaner wirksam einsetzen zu können, ein staatliches Interesse an infiltrierbaren IT-Systemen. Sicherheitslücken in den elektronischen Kommunikationsystemen von Jedermann, die den Behörden bekannt sind, sollen also aus Gründen der Verfolgung einzelner Verdächtiger oder Gefährder nicht geschlossen werden. Das aber kollidiert, so stellt Roggan richtig fest, mit dem staatlichen Auftrag, die Bürger zu schützen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie hat ja den Auftrag, die Sicherheit in der Informationstechnik zu fördern.

Warum lassen sich das die Bürger bisher gefallen? Wohl aus drei Gründen. Erstens: weil die Politik die Angst vor dem Terror immer wieder beschwört und forciert, findet fast alles Billigung, was echt oder angeblich die Gefahr entschärfen kann. Zweitens: weil die Bürger die meisten Freiheitsbeschränkungen nicht spüren; die meisten Eingriffe - so auch die mittels Staatstrojaner - finden ja heimlich statt. Drittens: weil die Bürger in Deutschland daran glauben, dass das Bundesverfassungsgericht "es" im Notfall schon wieder richten wird. Aber: Das Karlsruher Gericht kommt mit diesem Richten kaum noch hinterher.

Mit der Installation der Staatstrojaner durch das BKA beginnt nun auch die Möglichkeit, in Karlsruhe dagegen zu klagen - für jeden, der potentiell betroffen sein könnte.

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