Staatssekretär im Arbeitsministerium:Was Asmussen in Berlin gewinnen kann

Jörg Asmussen

Streit, Frust oder doch die Familie? Über die Beweggründe für Jörg Asmussens Wechsel von der EZB in die Politik wurde viel spekuliert.

(Foto: dpa)

Warum verpasst der EZB-Direktor seinem bislang tadellosen Aufstieg einen Knick? Der Schritt muss sich mittelfristig keineswegs als Karrierekiller erweisen. Denn im Arbeitsministerium kann Asmussen etwas bekommen, was ihm bisher fehlt.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt

Seinem Arbeitgeber, der Europäischen Zentralbank (EZB), stand Jörg Asmussen in den vergangenen zwei Jahren oft 70 Stunden pro Woche zur Verfügung. Allein in den letzten zwölf Monaten flog er, rein rechnerisch, zehn Mal um die Erde, er war in Osteuropa, Afrika, Asien und Amerika. Seine beiden kleinen Töchter sah er in dieser Zeit nur selten, seine Frau ebenso wenig. Sie wohnen in Berlin, wo der EZB-Direktor in der Regel nur am Wochenende auftauchte - und nicht einmal das regelmäßig. Jetzt hat der verhinderte Familienvater die Reißleine gezogen, seinen Job gekündigt und eine Stelle als beamteter Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium angenommen. Nur zu verständlich eigentlich. Oder?

Als die Nachricht von dem bevorstehenden Wechsel die Runde machte, begann in den Frankfurter Banktürmen, den Berliner Parteizentralen und den Zeitungsredaktionen landauf, landab umgehend die Debatte darüber, warum der 47-Jährige tatsächlich den Hut nehme und einen hässlichen Knick in seine bis dato so tadellose Karriere einbaue. Von einem angeblichen Krach zwischen Asmussen und EZB-Chef Mario Draghi war die Rede, vom vermeintlichen Frust des Deutschen darüber, dass er im Zentralbankrat mehrfach überstimmt wurde, von einem teuflischen Plan, in dem der Staatssekretärsposten nur das Abklingbecken für den heimlich geplanten Wechsel zu einer großen US-Investmentbank sei. In einer Frage aber waren sich alle einig: Die "familiären Gründe", die Asmussen geltend machen, sind nur vorgeschoben.

Familien müssen in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückt werden

Tatsächlich: Wenn heute ein Arbeitgeber im Mitarbeiterzeugnis oder in der Pressemitteilung davon spricht, dass jemand die Firma oder die Behörde aus "privaten Gründen" verlässt, dann ahnen Eingeweihte, dass sich der betreffende Mitarbeiter im Job als vollkommen unfähig erwiesen haben muss. Anders gesagt: Der Gedanke, dass insbesondere ein Mann zugunsten der Familie den Job aufgibt, ist so abwegig, dass er bestens als Chiffre für sehr viel profanere, hässlichere Kündigungsgründe taugt. Ein Trauerspiel.

Allen Betriebskindergärten, allen Familienfreundlichkeitszertifikaten, allem guten Willen zum Trotz hat das Gros der deutschen Wirtschaft bis heute nicht verinnerlicht, welch fundamentale Veränderung ihr durch den demografischen Wandel bevorsteht: Wenn einer der erfolgreichsten und angesehensten Industriestandorte der Welt über die kommenden Jahrzehnte nicht am Fachkräftemangel zugrunde gehen soll, dann wird es nicht reichen, auf die älteren Beschäftigten und mehr Zuwanderer zu setzen. Es sind vielmehr die Familien, die in den Mittelpunkt aller Überlegungen gerückt werden müssen. Es sind die unzähligen gut ausgebildeten Frauen, die heute frustriert daheim oder auf schlecht bezahlten, ihren Intellekt unterfordernden Teilzeitstellen sitzen, weil sie ausgelaugt vom täglichen Beruf-versus-Kinder-Wahnsinn eines Tages die Notbremse gezogen haben.

Mehr Kitas und Ganztagsschulen allein reichen nicht aus

Wer sie gewinnen will, muss mehr tun, als einfach die Zahl der Kita- und Ganztagsschulplätze weiter zu erhöhen. Denn auch ein besseres Betreuungsangebot verschafft Eltern und ihren Kindern nicht das, was vielen am meisten fehlt: gemeinsame Zeit. Das Arbeitszeitmodell des 21. Jahrhunderts muss deshalb eins sein, dass den Blick über die Frauen hinaus auch auf die Männer richtet. Das die Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern neu definiert - im Beruf wie in der Familie. Das Teilzeitbeschäftigung für Familienväter zum Normalfall erklärt. Das auf mehr auf die Lebens- als auf die Wochenarbeitszeit abhebt. Und das verhindert, dass überaus fähige Frauen während der Familienphase von weit weniger fähigen Männern beruflich abgehängt werden.

Jörg Asmussen ist mit seiner Entscheidung einen kleinen Schritt in diese Richtung gegangen. Dafür verdient er Respekt. Man sollte aber auch nicht zu viel in seine Entscheidung hinein interpretieren, denn schließlich wechselt der Mann nicht in einen Teilzeitjob, sondern auf einen überaus arbeitsreichen Staatssekretärsposten. Der Test, ob seine Kinder ihn künftig viel oder vielleicht doch nur ein klein wenig häufiger sehen werden, steht also noch aus. Für seine Karriere übrigens muss sich der Schritt mittelfristig keineswegs als Killer erweisen. Im Gegenteil: Dass es für ihn bei der Regierungsbildung noch nicht zum Minister, sondern "nur" für die zweite Führungsebene reichte, hat nämlich auch damit zu tun, dass ihm trotz langjähriger Parteimitgliedschaft die Verankerung in der SPD fehlt, insbesondere in der Bundestagsfraktion. Nirgendwo aber lässt sich fehlender Stallgeruch besser erwerben als im Arbeitsministerium - dem Epizentrum aller sozialdemokratischen Machtfantasien.

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