Neuer Ärger für Deutschlands größten Geflügelproduzenten Wiesenhof: Wie am Freitag bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg diese Woche Büroräume des Unternehmens und zwei Behörden in Sachsen-Anhalt durchsuchen lassen. Ermittelt wird nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug. Möglicherweise hat ein Schlachthof des Unternehmens in Sachsen-Anhalt jahrelang ohne die notwendige Genehmigung produziert. Das geht aus dem Durchsuchungsbeschluss hervor, der der SZ vorliegt.
"Sollten sich die Vorwürfe erhärten, dann könnte auf Wiesenhof eine Schadenersatzforderung von bis zu sechs Millionen Euro zukommen", sagte der Magdeburger Anwalt Uwe Bitter, der das Verfahren mit einer Anzeige im vergangenen Sommer ins Rollen gebracht hatte. Im Zentrum der Ermittlungen steht erneut der Wiesenhof-Betrieb in Möckern, der bereits vor einigen Wochen wegen Hygienemängeln in die Schlagzeilen geraten war. 800.000 Hühner mussten vernichtet werden. In diesem Fall ermittelt laut Bitter nach wie vor die Staatsanwaltschaft Magdeburg wegen Hygieneverstößen.
Eine Wiesenhof-Sprecherin wollte sich auf Anfrage zu den Durchsuchungen nicht näher äußern. "Gegenstand des Verfahrens sind die bereits seit Monaten bekannten Ermittlungen gegen Wiesenhof Möckern, die einen Zeitraum vor 2010 betreffen", sagte sie und fügte hinzu: "Wir werden die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen uneingeschränkt unterstützen." Zu weiteren Details wollte sie sich unter Hinweis auf das schwebende Verfahren aber nicht äußern.
Aufsehenerregend ist der Fall auch deshalb, weil im Zuge der Ermittlungen gegen Wiesenhof nun auch die Kontrollbehörden in Sachsen-Anhalt ins Visier der zuständigen Staatsanwaltschaft in Oldenburg geraten sind. Betroffen sind davon das Landratsamt Jerichower Land und das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt in Halle. Zollbeamte sollen mehr als 80 Aktenordner beschlagnahmt haben. Bei den betroffenen Ämtern war am Freitagnachmittag niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.
Die Aufsichtsbehörden in Sachsen-Anhalt stehen schon länger in der Kritik, weil sie etwa nach Ansicht des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) den Wiesenhof-Betrieb in Möckern nicht streng genug überwacht und über diverse Mängel wie Schimmel an den Wänden in der Vergangenheit hinweggesehen hätten. Die Ämter und Wiesenhof hatten das stets bestritten. Nach dem Hygieneskandal Anfang März wurden jedoch ein zusätzlicher Veterinär bestellt, um die Produktion in dem Schlachthof zu überwachen.
Aus dem Durchsuchungsbeschluss, der das Datum vom 19. März trägt, geht hervor, dass Wiesenhof verdächtigt wird, bei der Ausfuhr von Geflügelfleisch falsche Angaben gemacht zu haben. Offenbar mit dem Ziel, Subventionen in Millionenhöhe zu erzielen. Im Einzelnen geht es dabei um sogenannte Ausfuhrerstattungen, die Lebensmittelproduzenten für den Export ihrer Waren in bestimmte Regionen außerhalb der Europäischen Union beziehen können. Im Zeitraum von 2002 bis 2011 sollen so gut 5,5 Millionen Euro zusammen gekommen sein. "In fünf von sechs Fällen stammten die vornehmlich nach Osteuropa exportierten Hühner aus dem Produktionsbetrieb Wiesenhof Möckern", heißt es in dem Beschluss.
Knackpunkt des Verfahrens ist die Betriebserlaubnis für den Schlachthof in Möckern. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es Hinweise, dass dort jahrelang Geflügel geschlachtet und verarbeitet wurde ohne die erforderliche Zulassung. Dabei geht es um den Zeitraum von Anfang 2002 bis August 2010. "Sollte sich dieser Vorwurf bestätigen, dann wären die für diesen Zeitraum beantragten Exportsubventionen illegal gewesen", sagt Bitter.
Der Rechtsanwalt hatte ursprünglich bei der Staatsanwaltschaft Stendal Anzeige gegen Wiesenhof erstattet, nachdem er aus dem Umfeld des Unternehmens Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten hatte. Die Staatsanwaltschaft Stendal gab das Verfahren nach Oldenburg ab, weil Wiesenhof dort in der Nähe, in Visbek, seinen Hauptsitz hat. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Oldenburg wollte den Unternehmensnamen Wiesenhof am Freitag nicht bestätigen. Es habe aber am Dienstag Durchsuchungen in Büros eines Agrarbetriebs in Visbek bei Vechta, in einem Betrieb in Möckern und bei Behörden in Sachsen-Anhalt gegeben.
Der Schlachthof in Möckern ist derzeit nicht das einzige Problem des großen Geflügelproduzenten, der zur PHW-Gruppe Lohmann gehört. Auch in Celle ermittelt die Staatsanwaltschaft. Dabei geht es um Vorwürfe der Tierquälerei auf einer Hühnerfarm, die für Wiesenhof produziert. Verbraucherschützer kritisieren zudem den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast.
Die PHW-Gruppe ist nicht nur Deutschlands größter Geflügelproduzent, sondern auch einer der weltweit führenden Hühnerzüchter. Tierschützer werfen dem Unternehmen unter anderm vor, es züchte Rassen, die ohne die regelmäßige Gabe von Medikamenten kaum lebensfähig seien.
Mit einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr 2009/2010 zählt die PHW-Gruppe, die sich in Familienbesitz befindet, zu den führenden deutschen Lebensmittelproduzenten. Ein erheblicher Teil des in Deutschland aufgezogenen Geflügels wird mittlerweile ins Ausland verkauft. Der Konkurrenzdruck auf dem Weltmarkt nimmt zu. Billiganbieter aus Südamerika und Asien drängen immer stärker ins Geschäft. Deshalb stehen auch deutsche Produzenten wie Wiesenhof unter wachsendem Kostendruck.