Staatsanwaltschaft ermittelt:Eine Million Container - einfach weg

QINGDAO CHINA APRIL 06 A truck moves a shipping container at Qingdao Port on April 6 2018 in Qi

Abfahrt im Containerhafen im chinesischen Qingdao: Investoren können in die Schiffsboxen investieren. Bei P&R aus Grünwald hätten sie das besser nicht getan.

(Foto: imago/VCG)

Die Pleite der Investmentfirma P&R könnte zum größten Anlageskandal in der Geschichte Deutschlands werden. Anlegern bleibt ein schwacher Trost - womöglich ist nicht all ihr Geld verloren.

Von Jan Willmroth und Markus Zydra, Frankfurt

In die Pleite der Investmentfirma P&R hat sich jetzt die Staatsanwaltschaft München I eingeschaltet. Die Ankläger haben, wie sie am Donnerstag mitteilten, am 11. Mai Ermittlungen wegen Betrugsverdachts gegen frühere und heutige Geschäftsführer der P&R-Gruppe aufgenommen. Zur gleichen Zeit veröffentlichten die vorläufigen Insolvenzverwalter einen Zwischenbericht zur Causa. Demnach hat P&R den Anlegern ungefähr 1,6 Millionen Container als Direkt-Investments verkauft, davon seien aber jetzt nur noch 618 000 Stück übrig. "Diese Mitteilung war Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens", so die Staatsanwaltschaft, die wegen des hohen Aufwands eigens eine Arbeitsgruppe mit dem Namen "Container" eingerichtet hat.

Der Fall könnte sich zum bisher größten Geldanlageskandal in Deutschland entwickeln. Bei P&R haben rund 54 000 Personen etwa 3,5 Milliarden Euro investiert. Das Vertrauen der Kunden war groß, weil die versprochenen Renditen über 42 Jahre hinweg stets pünktlich ausbezahlt wurden. Die Hälfte der Anleger ist heute über 60 Jahre alt, mehr als ein Drittel über 70 Jahre, mancher älter als 90. Zum 40-jährigen Jubiläum vor zweieinhalb Jahren hatte P&R noch in einem Brief mit seiner "bodenständigen Firmenpolitik" geworben, welche "die Sicherheit der Kundengelder immer über die Gewinnmaximierung des Unternehmens" gestellt habe.

Die Untersuchung des Insolvenzverwalters zeigt jetzt allerdings, dass es bereits im Jahr 2006 zu ersten Unregelmäßigkeiten kam. "Die Fehlentwicklungen begannen vor mehr als zehn Jahren und müssen weiter aufgeklärt werden", sagt der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé, der sich seit Mitte März durch die Akten der insgesamt fünf insolventen P&R-Firmen gräbt. Vor allem in den Jahren der Finanzkrise 2008 bis 2010 sollen viele Container zu Schleuderpreisen liquidiert worden sein. Der damalige Geschäftsführer der deutschen Gesellschaften ist seit 2016 tot.

Mehrere Finanzexperten hatten schon vor einigen Jahren Zweifel an dem Geschäftsmodell geäußert. P&R hatte seinen Anlegern zum Ende der Vertragslaufzeit die Container stets abgekauft, häufig über dem Preis, der an den Märkten gezahlt wurde. So kam es mit der Zeit zu einer Unterdeckung. Um dem Anleger einen Container abzukaufen, musste P&R zuletzt zwei Container am Markt verkaufen - oder aber die Gelder von neu geworbenen Sparern verwenden. Im ersten Fall hätte P&R etwas verkauft, das eigentlich Eigentum der Anlegern war, im zweiten Fall wäre es ein Schneeballsystem gewesen. Die Ermittler versuchen nun herauszufinden, wie das so lange unbemerkt bleiben konnte.

Anlegern bleibt der schwache Trost, dass womöglich nicht all ihr Geld verloren ist

"Ein derartiger Betrugsverdacht ist in seiner Dimension einzigartig", sagt der Finanzanalyst Stefan Loipfinger, der schon länger vermutete, es könnten nicht mehr alle Container vorhanden sein. Der Fachmann schätzt, dass von den 3,5 Milliarden Euro, die Anleger bei P&R investiert haben, rund 2,5 Milliarden Euro verloren sein könnten. Den betroffenen Anlegern bleibt bislang nur der schwache Trost, dass womöglich nicht all ihr Geld verloren ist. Jaffé rät abermals zu Geduld und Ruhe.

Vorige Woche hatte die SZ erstmals von dem Verdacht berichtet, dass etliche Container im Bestand fehlen könnten. Im Zuge der Recherchen war auch eine dubiose Briefkastenfirma in Bermuda aufgetaucht, über welche die P&R Equipment und Finance mit Sitz im schweizerischen Zug Container gekauft haben will. Die Schweizer Dependance ist das Herz der Investmentgesellschaft. Dort sind die Container gekauft und vermarktet worden, die deutschen P&R-Gesellschaften haben das Geld bei den Anleger eingeworben und dann zur Investition in die Schweiz überwiesen; das Sagen hatte dort stets P&R-Gründer Heinz Roth - gesellschaftsrechtlich sind beide Firmenkonstrukte aber völlig unabhängig, was das Insolvenzverfahren in Deutschland erheblich erschwert.

In der Schweiz kommen auch die Mieteinnahmen an. "Für die Anleger ist jetzt entscheidend, dass es gelingt, die vorhandenen und vermieteten Container (...) zu sichern und sie - wenn nötig auch über Jahre hinweg - bestmöglich zu verwerten", teilt Jaffé mit. Die Mieteinnahmen müssten nach Deutschland transferiert werden, damit die Summe den Anlegern ausbezahlt werden kann. Das gestaltet sich aus rechtlichen Gründen allerdings schwierig.

Es ist auch noch immer unklar, ob die gekauften Container im Einzelfall tatsächlich den Anlegern gehören. Nur jeder zehnte von ihnen hat einen Eigentumsnachweis angefordert. Der Insolvenzverwalter hat bereits mitgeteilt, dass das Eigentum an den Containern und die ihnen zustehenden Mieteinnahmen einzelnen Anlegern nicht konkret zugeordnet werden könnten. Problematisch und langwierig ist es zudem, die jeweiligen Zahlungsströme aus der Vergangenheit aufzuarbeiten. Wie lange die Prüfung seitens der Insolvenzverwalter noch dauert, ist ungewiss.

Als relativ sicher kann bereits gelten, dass ein großer Teil der Anlegergelder verloren ist. Im besten Fall könnte zwischen einem Drittel und 40 Prozent des gesamten Vermögens noch vorhanden sein, wobei das von der gewinnbringenden Verwertung der Container und deren Preisen auf dem Weltmarkt abhängen wird. Bislang gibt es zwar keine konkreten Hinweise darauf, dass Anlegergeld unterschlagen wurde. Aber die Strafverfolger haben auch gerade erst angefangen zu ermitteln.

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