Süddeutsche Zeitung

Staatsanleihenkäufe:Widerstand gegen EZB-Chef Draghi

  • Im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es immer mehr Kritiker, die sich gegen Staatsanleihenkäufe aussprechen.
  • Präsident Mario Draghi will mit dieser Maßnahme die Inflation anheizen. Am 22. Januar trifft sich der EZB-Rat, um darüber zu beraten.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Ardo Hansson, 56, ist ein nachdenklicher Mann und keiner, der es sich einfach macht, wenn wichtige Entscheidungen anstehen. Der Notenbankchef Estlands ist Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Dort wird bei der nächsten Sitzung am 22. Januar 2015 die bisher wohl umstrittenste Frage in der Geschichte der EZB diskutiert: Soll Europas Notenbank Staatsanleihen kaufen, um so die Wirtschaft der Eurozone anzukurbeln?

Hansson, der an der Harvard-Universität Wirtschaftswissenschaft studiert hat, ist skeptisch. Die EZB darf über die Notenpresse keine Staaten finanzieren. So sieht es der EU-Vertrag vor. Doch der Ankauf von Staatsanleihen könnte in Konflikt treten mit diesem Verbot. "Wir wissen alle, dass es in der Eurozone politische Parteien gibt, die versprechen, ihre Staatsverbindlichkeiten umzuschulden, wenn sie an der Macht sind", sagte Hansson in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Dazu gehören etwa Griechenland, Frankreich und Italien. "Die EZB kennt somit das Risiko, Geld zu verlieren. Wir können darüber ja jeden Tag in der Zeitung lesen", so Hansson, der auf die Frage, ob die EZB eingedenk dieser Tatsache wirklich Staatsanleihen kaufen sollte, antwortet: "Diese Aufforderung ist sehr grenzwertig."

Draghi hat Mehrheit hinter sich

Hansson sieht die geplante Maßnahme damit ähnlich kritisch wie die Kollegen im EZB-Rat, Bundesbankpräsident Jens Weidmann, EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger und der Luxemburger EZB-Direktor Yves Mersch. Doch EZB-Präsident Mario Draghi möchte den Ankauf von Staatsanleihen durchboxen. Das hat er Anfang Dezember deutlich gemacht. Draghi hat dafür auch eine Mehrheit in dem 24-köpfigen Gremium hinter sich. Dennoch dürfte es dem Italiener widerstreben, die durchaus gewichtigen Gegenargumente einfach so zu ignorieren. Er sucht nach einem Kompromiss. So könnten die nationalen Notenbanken zumindest einen Teil des Verlustrisikos aus den Staatsanleihekäufen übernehmen und so die EZB entlasten. Doch wer soll das bezahlen? Das Geld dafür fehlt gerade den Ländern, die durch die EZB-Hilfen gestützt werden sollen. So einfach ist das Problem nicht zu lösen.

Fest steht: Wenn die EZB Staatsanleihen kauft, dann sinken die Renditen noch weiter. Renditen sind ein anderer Ausdruck für den Zins, den Regierungen für den Staatskredit entrichten müssen. Und diese Zinsen liegen etwa für Italien und Spanien schon jetzt so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte Europas. "Die Regierungen könnten dann mehr Geld leihen als zuvor, weil die Zinskosten niedriger sind", sagt Hansson. Da müsse man schon die Frage stellen, "ob die EZB verbotene Staatsfinanzierung macht oder nicht."

"Erwartungen zu messen, ist sehr schwierig"

Hansson wurde in Chicago geboren. Seine Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs in die USA geflohen. Ab 1991 half er beim Aufbau Estlands. Hansson hat die Anbindung der estnischen Krone an die D-Mark auf den Weg gebracht. Das war der Grundstein für die spätere Mitgliedschaft Estlands im Euro-Raum ab 2011. Seit 2012 ist er Notenbankchef Estlands.

Das Wachstum in der Eurozone ist sehr mau und die Inflationsrate mit 0,3 Prozent niedrig. "Wir haben ein Mandat und das lautet, dass wir die Inflation mittelfristig bei ungefähr zwei Prozent halten müssen", so Hansson. "In diesem Sinne sind wir Technokraten und müssen reagieren." Den Mann aus Estland beunruhigt weniger die pure Zahl 0,3 Prozent. Ihn sorgt, Europas Bürger und Unternehmen könnten erwarten, dass die Inflationsrate auch mittelfristig so niedrig bleibe. Die Fachleute sprechen von einer "Entankerung der Inflationserwartung". "Aber diese Erwartungen zu messen ist sehr schwierig, und am Ende ist es auch eine Einschätzungssache", sagt Hansson.

Gefahr der Staatsfinanzierung

Dauerhaft sinkende Preise können eine Wirtschaft schwächen, wie die Erfahrung in Japan zeigt. Dort führte die langjährige Deflation zu einer wirtschaftlichen Stagnation. Eine Notenbank kann da nur eines machen: Die Geldschleusen öffnen. Die EZB berät deshalb, ob sie neben Firmenanleihen auch Staatsanleihen und Aktien aufkauft. "Es ist sinnvoll, wenn man allen Optionen eine Chance gibt, das ist ehrlicher, als wenn einige Maßnahmen von Anfang an vom Tisch genommen werden", so Hansson, dem es lieber wäre, wenn die EZB private Anleihen von Firmen kaufen würde. So könnte die Gefahr der Staatsfinanzierung gebannt werden.

Wie es nun weitergeht? "Wir müssen auf aktuelle Daten warten. Die geopolitische Lage und der Absturz des Ölpreises haben viel Unruhe ausgelöst. Das macht es schwieriger, die Lage auf mittlere Sicht zu interpretieren."

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SZ vom 23.12.2014/bero
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