Staatsanleihen-Auktion nach Italien-Wahl:Das Draghi-Paradox

Italien wählt das Chaos - und was machen die Anleger, die angeblich so scheuen Rehe? Nichts. Kurz herrschte zwar Verwirrung, doch schon an diesem Mittwoch ist alles so wie bisher. Die politische Ungewissheit in Rom macht die Investoren nicht nervös. Sie kaufen munter italienische Staatsanleihen, denn sie wissen: Mehr als Grillo, Berlusconi und Bersani zählt derzeit EZB-Chef Draghi.

Von Jannis Brühl

Noch ist unklar, wie es mit Italien nach der Wahl weitergehen wird. Normalerweise würden Anleger angesichts der großen Unsicherheiten regelrecht aus italienischen Staatsanleihen fliehen. Diesmal ist das nicht so. Denn aus Sicht der Anleger geht es derzeit weniger um Beppe Grillo, Silvio Berlusconi oder Luigi Bersani - sondern um einen ganz anderen. Der sitzt aber nicht im Palazzo Chigi, dem altehrwürdigen Bau in Rom, in dem der Ministerpräsident arbeitet. Er arbeitet in der Frankfurter Kaiserstraße im modern-hässlichen Eurotower: in der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB). Demokratisch gewählt ist Mario Draghi nicht, aber in der Krise hat sich die EZB zum großen Spieler aufgeschwungen.

An diesem Mittwoch wurden italienische Staatsanleihen versteigert - das Land braucht Geld. Doch von einem Käuferstreik war keine Spur, Italien lieh sich mühelos 6,5 Milliarden Euro. Die Auktion der Papiere war überzeichnet: Der Markt wollte 1,6-mal so viele Papiere haben wie ausgegeben wurden.

Die erste Staatsanleihen-Auktion nach der Wahl war der mit Spannung erwartete Test für das Vertrauen von Pensionsfonds, Hedgefonds und anderer professioneller Anleger in Italien. Vor allem nach der Warnung der Ratingagentur Moody's, Italiens Kreditwürdigkeit möglicherweise herabzustufen, wäre eine harsche Reaktion nicht verwunderlich gewesen. Doch die Zinsen, die das Land Anlegern bieten muss, um sich Geld zu leihen, stiegen lediglich von 4,17 Prozent auf 4,83 Prozent. Je weniger Rendite ein Staat bieten muss, desto größer ist das Vertrauen von Investoren, dass das Land zahlungsfähig bleibt. "Lo Spread" - der italo-englische Ausdruck bezeichnet das Interesse der Anleger an italienischen Papieren und ist in diesen Tagen wichtiges Gesprächsthema in den Restaurants und Cafés des Landes.

"Alles, was nötig ist"

Zum Vergleich: Im Sommer vergangenen Jahres lag der Satz bei 6,6 Prozent. Dann kam das Versprechen von Draghi, "alles, was nötig ist", zu tun, um den Euro zu retten.

Damit meinte er, die EZB werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen, um die Finanzen der Peripherieländer zu stabilisieren. Seitdem sind die Renditen für Italien, Spanien und selbst Griechenland praktisch konstant gesunken. Dieses Versprechen des Italieners Draghi ist es, das den Glauben der Anleger so unerschütterlich macht. (Der österreichische Standard weist darauf hin, dass Italien derzeit unter keinem Finanzierungsengpass leidet.)

Die EZB greift in der Krise aktiv in die Anleihemärkte ein. Kritiker bezeichnen das als Fehler - die EZB verletzt ihrer Meinung nach ihr eigenes Gebot, politische Neutralität zu wahren und Staaten nicht zu finanzieren. Schon 2011, als der erratische Berlusconi noch regierte, hatte die Zentralbank auf dem Sekundärmarkt Staatsanleihen des Landes im Wert von 100 Milliarden Euro gekauft - das war fast die Hälfte des Umfangs ihres gesamten Ankaufprogrammes, in dessen Rahmen auch irische, griechische und spanische Anleihen gekauft wurden. Vorerst kauft Draghi keine italienischen Anleihen mehr.

Merkels braver Helfer tritt ab

In Genuss des neuen Ankaufprogramms (und damit niedrigerer Zinsen) kommen Staaten nur, wenn sie einen offiziellen Hilfsantrag an die Troika stellen. Für den müsste sich eine neue Regierung zusammenraufen. Untätig dürfen Italiens Politiker also nicht sein. Der Draghi-Effekt birgt nämlich auch eine Gefahr, die paradox klingt: Wissen Politiker die EZB hinter sich und damit die Garantie, billig an neue Schulden zu kommen, sinkt der Anreiz zu sparen - was besonders der Kanzlerin nicht gefallen dürfte. Sie hält vor allem Kürzungen staatlicher Ausgaben für die Lösung der Überschuldung. Draghi selbst mahnte Italiens Politiker bereits, trotz möglicher EZB-Hilfe nicht selbstgefällig zu werden.

Seit vergangenem Sommer ist Draghi der Mann, auf den die Märkte schauen. Das ist wohl auch der Grund, dass Investoren verunsichert sind, aber nicht in Panik geraten. Ihnen scheint eigentlich nur wichtig, dass Berlusconi nicht regiert. Er schwadronierte vor der Wahl vom Euro-Austritt. Unter einer Bersani-Grillo-Regierung könnten Reformen verlangsamt, Staatsausgaben wieder gesteigert werden. Doch Wahlergebnisse interessieren professionelle Investoren im Zweifel wenig, solange sie nur das Geld zurückbekommen, das sie den Regierungen geliehen haben. Die Käufe der EZB machen sie da zuversichtlich.

Den seit Draghis Versprechen vom Sommer ersten größeren Ausschlag nach oben hatte es bei den Renditen am Dienstag gegeben, unmittelbar nachdem das italienische Wahlergebnis bekannt wurde. Die Zinsen auf die frei auf dem Markt gehandelten Anleihen waren in die Höhe geschnellt - Zeichen erster Verunsicherung nach der Wahl. Die Financial Times zitierte einen anonymen Börsenhändler mit den Worten: "Die Nichtregierbarkeit wird eingepreist." Doch an diesem Mittwochmorgen hatten sich die Renditen schon wieder stabilisiert, im Fall des italienischen Papiers, das auf zehn Jahre läuft, waren sie sogar deutlich gesunken.

Trotz des politischen Patts fällt Italien nicht unmittelbar in einen Schulden-Strudel, wie es bis zu Draghis Machtgeste aussah. Die Krise, die im vergangenen halben Jahr unter Kontrolle schien, kehrt vorerst nicht zurück. Auch wenn Ministerpräsident Mario Monti, der brav die Sparvorlagen von Angela Merkel und Europäischer Zentralbank umsetzte, sein Amt demnächst verlassen wird, bleibt der große Einbruch aus. Ein Italiener in Frankfurt hat etwas dagegen.

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