Für Robin Hase sind die Benzinpreise aktuell vor allem eins: "Extrem scheiße." 2,30 Euro für einen Liter Super Benzin zeigt die Preistafel am Donnerstagvormittag an einer Tankstelle im Münchner Süden, als der Mechatroniker-Azubi seinen Wagen mit neuem Treibstoff versorgt, für Diesel sind sogar 2,39 Euro fällig. "Mittlerweile arbeitet man nur, um sich das Fahren leisten zu können", sagt Hase.
Vielleicht lag Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans also gar nicht so falsch, als er vor gut einer Woche ein Selfie-Video auf seinem Twitter-Kanal veröffentlichte, ebenfalls aufgenommen vor einer Tankstelle. "Das ist wirklich irre", sagt er darin und dreht sich um zu der Preistafel. "Zwei Euro zwölf! Ich finde, da ist jetzt wirklich ein Punkt erreicht, wo man sagen muss, da muss man handeln." Und dann folgen sehr harte Worte für einen Politiker: Das Problem sei doch, sagt Hans, dass sich der Staat "bereichert" an den gestiegenen Energiekosten. "Und deshalb muss eine Spritpreisbremse her", fordert er. Es gelte nun, laut zu werden gegenüber der Bundesregierung.
Doch welche Spielräume hat der Staat überhaupt, und ist das Tanken wirklich so teuer wie nie, wenn man es in Relation zu den Einkommen setzt?
Tatsächlich sind ein großer Teil des Spritpreises in Deutschland Steuern und Abgaben: Die Energie- beziehungsweise Mineralölsteuer macht bei Superbenzin 65,45 Cent pro Liter aus, bei Diesel sind es 47,07 Cent. Diese Beträge sind fix. Dazu kommen 19 Prozent Mehrwertsteuer - bei einem Preis von 2,20 Euro pro Liter sind das 35,1 Cent - und die CO₂-Abgabe, die je nach Biospritanteil mit weiteren etwa acht Cent pro Liter zu Buche schlägt. Insgesamt gehen dann also bei Diesel rund 84 Cent pro Liter an den Staat, bei Super E10 rund ein Euro. Der restliche Preis - also bei Diesel etwa 137 Cent und bei Benzin rund 120 Cent pro Liter - entfallen unter anderem auf den Preis für die Rohstoffe, Kosten für Raffinerie, Transport und Vertrieb sowie die Gewinne der beteiligten Unternehmen. Den aktuell größten Posten dürften dabei die Produktkosten einnehmen.
Polen hat die Spritsteuern bereits deutlich gesenkt. Deswegen kostet Benzin dort rund 50 Cent weniger
Deutschland liegt bei den Spritpreisen in der Regel rund 20 Cent über dem europäischen Durchschnitt. Nur in Skandinavien, Griechenland und den Niederlanden ist Tanken teurer. Wer kann, der fährt über die Grenze nach Österreich, Polen oder Tschechien. Dort sind die Preise deutlich niedriger als in Deutschland, in Österreich liegt die Ersparnis bei etwa 30 Cent je Liter Benzin, in Polen kann man sogar für rund 50 Cent weniger pro Liter tanken. Tatsächlich liegt diese Differenz hauptsächlich an der Steuerlast.
In Österreich beispielsweise beträgt die Mineralölsteuer 48,2 Cent für Benzin und 37,9 Cent für Diesel - und ist damit deutlich niedriger als hierzulande. Die Mehrwertsteuer ist im Nachbarland mit 20 Prozent dagegen sogar leicht höher als in Deutschland. Doch auch in Österreich sollen die Abgaben auf Benzin von Juli 2022 an deutlich erhöht werden. Dass Tanken in Polen besonders günstig ist, liegt nicht zuletzt an einer temporären Mehrwertsteuersenkung - die Abgabe wurde für Benzin und Diesel zuletzt von 23 auf acht Prozent heruntergesetzt, um der Inflation entgegenzuwirken.
Wäre das auch für Deutschland der richtige Weg, um die Verbraucher kurzfristig zu entlasten? Das fordern neben dem ADAC auch immer mehr Politiker wie Unionschef Friedrich Merz oder Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Nach Rechnungen des Autoclubs würde eine Reduzierung von 19 auf sieben Prozent bei den aktuellen Preisen etwa 22 Cent je Liter bringen.
Verkehrswissenschaftler rechnen vor, dass Sprit im Verhältnis zum Nettoeinkommen schon mal teurer war
Aber es gibt auch Verkehrsexperten, die deutlich verhaltener sind beim Blick auf die aktuellen Spritpreise und die darauf hinweisen, dass man diese absoluten Rekordzahlen ins Verhältnis setzen muss zum Einkommen. Auch bei Benzinpreisen um die zwei Euro pro Liter müsse ein Fahrer derzeit immer noch einen geringeren Anteil seines Einkommens für das Tanken aufwenden, als das vor zehn Jahren der Fall war, sagt etwa Gernot Sieg, Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster. Tatsächlich sei der Benzinpreis gestiegen, von 1997 mit durchschnittlich 85 Cent pro Liter auf 1,54 Euro pro Liter im Jahr 2021 und nun eben auf zwei Euro. Doch im gleichen Zeitraum habe sich auch der durchschnittliche Nettolohn aller Arbeitnehmer von 1334 Euro auf 2088 Euro erhöht.
Sieg nimmt noch die technische Entwicklung dazu. Demnach sei der Verbrauch des sparsamsten VW Polo von 6,8 Liter pro 100 km (Baujahr 1997) auf 5,31 Liter pro 100 km für das Baujahr 2019 gesunken. Fasse man all dies zusammen und nehme man eine jährliche Fahrleistung von 12 000 Kilometer an, was knapp dem deutschen Durchschnitt entspricht, dann zeige sich einerseits, dass die Deutschen zuletzt niedrige Spritpreise gewohnt waren: 2020 musste ein Polo fahrender Arbeitnehmer nur 3,8 Prozent seines Lohns für das Tanken aufwenden. Der aktuelle Sprung nach oben wirkt deshalb umso heftiger.
Aber es zeige sich andererseits auch, dass über die Jahre gesehen die Belastung durch die Spritpreise auch schon höher lag, etwa im Jahr 2012, als es ein Zwischenhoch gab und ein Polo-Fahrer 6,5 Prozent seines Gehaltes für Benzin ausgeben musste. Dieses Hoch wäre unter den aktuellen Bedingungen erst wieder erreicht, stiege der Benzinpreis auf über 2,40 Euro, rechnet Sieg vor. Sein Fazit: "Auch wenn sich die Pkw-Fahrer an relativ niedrige Spritpreise gewöhnt haben und Preiserhöhungen schmerzhaft sind, da sie den Konsum in anderen Bereichen verringern, kann dies kein Argument sein, das bei Entscheidungen über Ölembargos gegen Kriegsverbrecher eine entscheidende Rolle spielt."
Auch andere Verkehrswissenschaftler wie Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research in Duisburg warnen davor, den aktuellen Preis an den Tankstellen zu "überdramatisieren": Für einen durchschnittlichen deutschen Autofahrer gehe es um 40 oder 50 Euro Mehrbelastung im Monat, solche "Höhenflüge" beim Preis gebe es immer wieder, und sie würden sich auch wieder mäßigen. Und was sei diese Mehrbelastung gegen die Situation in der Ukraine. "Dort sterben täglich mehrere Hundert Menschen aufgrund des russischen Angriffskriegs. Großstädte werden zerstört", sagt Dudenhöffer.
Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach rät ebenfalls zur Gelassenheit. Seine direkte Antwort an Tobias Hans auf Twitter: Über 40 Prozent der Personen-Kilometer mit dem Auto würden für Freizeit- und Urlaubszwecke unternommen. Fahre man zehn Prozent weniger in der Freizeit umher, bliebe auch bei einem Preis von zwei Euro pro Liter am Ende mehr im Geldbeutel*. Im Übrigen, so der Autoforscher, könne man ja auch aufs Fahrrad umsteigen. "Das ist kein Verzicht!"
An der Münchner Tankstelle hält an Donnerstagvormittag auch Andreas Bauer mit seinem Radlader, er arbeitet im Tiefbau. Bauer sagt, in seiner Freizeit versuche er schon, weniger Auto zu fahren. Aber für den Job? "Ich sehe es nicht ein, um fünf Uhr morgens bei minus fünf Grad mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren."
*Hinweis der Redaktion: Wir haben die Aussage von Stefan Bratzel noch ein mal konkretisiert weil sie zunächst unscharf formuliert war. Gemeint war, dass zehn Prozent weniger Fahrten auch bei den derzeitigen Spritpreisen den Geldbeutel entlasten würden.