Süddeutsche Zeitung

Sportwetten:Wall Street Strip

Eine Gesetzesänderung erlaubt es Amerikanern in Fonds zu investieren, die auf Sportereignisse wetten. Einzige Bedingung: Die Anbieter müssen in Nevada angesiedelt sein.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Natürlich gibt es da diese verführerische Stimme im Gehirn, die einem einflüstert: Angelique Kerber wird im September die US Open gewinnen! Wladimir Klitschko wird gegen Tyson Fury auch den Rückkampf verlieren! Werder Bremen wird in der kommenden Saison keinesfalls aus der Bundesliga absteigen! Diese Stimme, sie schert sich nicht um Fakten, um Statistiken, lädierte Oberschenkel oder die aktuelle Form des Gegners. Sie verführt einen, verrückte und unsinnige Wetten abzuschließen, mit Freunden, im Wettbüro oder einem Online-Kasino. Diese Stimme, sie gaukelt einem vor, etwas in den Augen von Kerber oder den Bauchmuskeln von Klitschko entdeckt zu haben, das allen anderen verborgen geblieben ist.

"Es hilft, wenn das Bauchgefühl mit meiner Analyse übereinstimmt", sagt Ken Murphy: "Ich würde jedoch nie eine Wette abschließen, ohne dass die Entscheidung von Daten unterstützt wird." Zu behaupten, dass Murphy ein professioneller Zocker ist, wäre in etwa so untertrieben wie die Aussage, dass Kerber eine talentierte Tennisspielerin ist. Murphy wettet auf den Ausgang von Sportereignissen, er verlässt sich dabei nicht auf Glück oder Gefühl, sondern auf einen Algorithmus, den er selbst entwickelt hat. Klar, so etwas behaupten alle Zocker. Das wirkliche Alleinstellungsmerkmal von Murphy ist: Er riskiert nicht nur sein eigenes Geld, sondern auch die Mittel, die Investoren seiner Firma Nevada Sports Investment Group (NSIG) zur Verfügung stellen. NSIG ist ein Investmentfonds auf Sportwetten, und das Wettbüro des Hotels The Venetian in Las Vegas ist so etwas wie die Wall Street des Sports.

Zehn Anbieter sind jetzt aktiv. Bis Herbst könnten es schon hundert sein

Es sieht dort ein bisschen aus wie auf der Pressetribüne eines Stadion: An 118 Plätzen mit jeweils eigenem Bildschirm können die Gäste ihre Wetten platzieren, auf den Fernsehern an der Wand können bis zu 42 Sportereignisse gleichzeitig gezeigt werden, in der Mitte sind auf Anzeigetafeln die Quoten vermerkt. Es ist Mitte Juni, gerade läuft eine Partie der Basketballliga NBA, ein paar Jungs in Cleveland-Cavaliers-Trikots ärgern sich über den Verlauf, hin und wieder flucht einer. Drei Frauen in Argentinien-Hemdchen freuen sich über das Ergebnis beim Fußballturnier Copa América, ein einsamer junger Mann mit New-York-Yankees-Mütze zählt gelangweilt ein paar Dollarscheine. Nüchtern ist hier kaum jemand, leicht bekleidete Bedienungen bringen regelmäßig Gratisalkohol, schließlich klingt die verführerische Stimme im Gehirn nach jedem Cocktail ein bisschen vernünftiger.

Wetten auf einzelne Sportereignisse sind in den USA praktisch nur in Nevada gestattet - es gibt Bundesstaaten, in denen es nicht verboten ist, aber nicht derart frei von Restriktionen angeboten wird wie in Nevada. Die American Gaming Association schätzt, dass der Umsatz mit legalen Sportwetten in diesem Jahr etwa fünf Milliarden Dollar betragen wird, 2014 waren es 4,2 Milliarden. Illegal werden die Amerikaner diesen Schätzungen zufolge heuer etwa 150 Milliarden Dollar wetten.

Was hingegen überall in den USA erlaubt ist: Geld in eine Firma zu investieren, die verspricht, es gewinnbringend anzulegen. Vor einem Jahr wurde in Nevada Senate Bill 443 verabschiedet, demzufolge es Unternehmen auch gestattet ist, Wetten auf Sportereignisse zu platzieren. Diese Firmen müssen im Bundesstaat angesiedelt sein und dürfen ihre Geschäfte ausschließlich über die Bank von Nevada abwickeln. Die Investoren dagegen dürfen von überall herkommen, sie dürfen nur keinen Einfluss nehmen auf die Entscheidungen des Fondsmanagers und erfahren auch erst nach Spielbeginn, dass er Geld darauf gesetzt hat. Wie bei einem Fonds müssen die Anleger dem Manager vertrauen.

Murphy, Gründer und Geschäftsführer von NSIG, ist 65 Jahre alt, er stammt aus Texas und hat sein Geld mehr als vier Jahrzehnte lang im Vertrieb verdient, unter anderem bei Unternehmen, die auf bargeldloses Bezahlen spezialisiert sind. Im vergangenen Herbst ist er nach Las Vegas gezogen, er sucht seitdem Menschen, die mindestens 25 000 Dollar in seine Firma investieren und ihm 30 Prozent der Gewinne überlassen - wie viele Investoren er gefunden hat, will er nicht verraten. Es gibt auch Wettfonds für Kleinanleger wie etwa Bettor Investments, dort reichen schon 500 Dollar zum Dabeisein.

"Es ist sehr ähnlich zu dem, was an der Wall Street passiert", sagt Murphy. Er sucht für seine Investoren nicht nach unterbewerteten Firmen an der Börse, sondern nach - vereinfacht ausgedrückt - von Buchmachern unterbewerteten Sportlern oder Vereinen. Bei welchen Partien ist die Quote (also der mögliche Gewinn) hoch genug, dass es sich lohnt, darauf zu setzen? Pro Tag wählt Murphy bis zu fünf aus, er setzt jeweils zwischen einem und drei Prozent des kompletten Fondsvolumens. Er behauptet, in etwa 55 Prozent der Fälle richtig zu liegen.

"Es wird eine große Sache werden", sagt er: "Wenn die Menschen in ein, zwei Jahren erkennen, dass die Rendite bei einem Wettfonds deutlich höher liegt als bei traditionellen Investmentfonds, dann wird ein Hype darum entstehen." Derzeit gibt es weniger als zehn Fonds, bis zum Beginn der Footballsaison im Herbst sollen es bereits 100 sein. Murphy glaubt, dass es bald Unternehmen geben wird, die sich auf bestimmte Sportarten oder gar auf einzelne Vereine spezialisieren, und dass Ratingagenturen die einzelnen Wettfonds bewerten werden. Wie an der Wall Street eben.

Eine Regel wird gern verdrängt: Damit einer gewinnt, muss einer verlieren

Bleibt die Frage, warum der Wettanbieter CG Technology (CG), verantwortlich für das Büro im Venetian, daran interessiert ist, dass eben nicht nur Privatpersonen mit einem Bauchgefühl auf Sportereignisse wetten, sondern auch Unternehmen, die ihren Investoren fette Gewinne aufgrund präziser Analyse versprechen - schließlich war es CG, das dieses neue Gesetz überhaupt angeregt hat. Für CG ist es von Vorteil, dass Wettanbieter ihre Quoten nicht anhand eines Bauchgefühls festlegen, sondern nach einem Algorithmus, der zunächst das Wettverhalten der Zocker prognostiziert und vom Freischalten bis zum Spielbeginn aufgrund der platzierten Wetten korrigiert.

Ein Beispiel: Erwartet ein Anbieter, dass vor den US Open viele Menschen auf Serena Williams als Siegerin setzen werden, dann wird die Quote und damit der zu erwartende Gewinn bei einem Sieg von Williams gering sein. Beschließt ein Wettfondsmanager deshalb, dass es sich aufgrund der Gewinnerwartung lohnt, auf Angelique Kerber zu setzen, dann wird die Quote für Kerber danach sinken, die für Williams steigen. Das könnte wiederum bei anderen Zockern dafür sorgen, dass die Stimme im Gehirn lauter wird und sie zu einer Wette auf Williams verleitet. Das Gesamtvolumen an Wetten steigt - das ist das Ziel der Anbieter, schließlich können nicht Williams und Kerber gewinnen. "Die Fonds stecken noch in den Kinderschuhen", sagt Parikshat Khanna, Geschäftsführer bei CG: "Aber ich glaube, dass sie zu einem signifikanten Anstieg legaler Wetten führen können."

In Las Vegas glauben derzeit alle, dass Wettfonds das nächste große Ding in der sündigen Stadt werden - und dass alle davon profitieren werden. Die wichtigste Regel beim Wetten jedoch ist eine aus dem Sport: Damit einer gewinnen kann, muss ein anderer verlieren. Bei den sportlichen Fonds in Nevada glauben derzeit alle, dass sie sehr viel Geld verdienen werden - Investoren, Zocker, Anbieter. Nun, an der Wall Street glauben sie das ja auch immer noch alle. Obwohl ihnen das nur eine Stimme im Gehirn einflüstert.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2016
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