Süddeutsche Zeitung

Sportwetten:Sieg oder Niederlage

Sportwetten in Deutschland boomen, obwohl sie nicht legal sind. Nun sollen die Firmen reguliert werden. Kann das die Spielsucht dämpfen?

Von Benjamin Emonts

Der Schwarzmarkt soll weiß werden, und Graubereiche soll es bald nicht mehr geben. Sportwetten und Online-Casinospiele sollen von Juli 2021 an weitgehend legal werden in Deutschland. Darauf haben sich die Bundesländer nach jahrelangen Verhandlungen verständigt. Die Sportwettanbieter jubeln. "Die Einigung ist eine gute Nachricht", verkündete Tipico-Chef Joachim Baca. Und es ist keineswegs so, als hätte die Branche sonst nichts zu feiern. Schon seit Langem laufen ihre Geschäfte vorzüglich.

Die Sportwettbranche erlebt einen nie dagewesenen Boom. Die Wettanbieter, die größtenteils in Steueroasen wie Malta, Isle of Man oder Gibraltar sitzen, erwirtschaften jedes Jahr neue Rekordsummen. Nach Angaben der Bundesländer haben sich die Spieleinsätze bei den Sportwettanbietern in Deutschland zwischen 2013 und 2018 von 4,1 Milliarden auf 8,1 Milliarden Euro beinahe verdoppelt. Im Jahr 2019 kletterten die Wetteinsätze der Deutschen nach Auskunft von Goldmedia erstmals auf fast 9,3 Milliarden Euro. Dieses Hoch kam wohlgemerkt in einem Jahr zustande, in dem keine Olympischen Spiele und keine Welt- oder Europameisterschaft im Fußball stattfanden. Beides kommt in diesem Sommer. Die Wettumsätze sollen folglich weiter steigen.

Der rasante Aufstieg der Sportwettbranche ist schon jetzt unübersehbar. Ihre Werbung ist in Stadien und bei Fernsehübertragungen omnipräsent. Stationäre Wettbuden finden sich an jeder zweiten Ecke in deutschen Städten. Etwa 5000 soll es bereits geben. Vielen Kommunen ist das inzwischen zu viel. Sie sorgen sich um ihr Erscheinungsbild und wollen verhindern, dass sich immer mehr Wettbüros ansiedeln. Die Münchner Gemeinde Unterhaching streitet sich deswegen vor Gericht. In diesem Klima expandieren Anbieter wie der deutsche Marktführer Tipico immer weiter. Die Unternehmensgruppe mit Sitz in Malta und Tochtergesellschaften in Karlsruhe hat allein in Deutschland 1200 lokale Franchise-Wettstuben. Umsatz- und Gewinnzahlen teilt das Unternehmen auf Nachfrage nicht mit. Dem Handelsregister von Malta zufolge hat Tipico seinen Umsatz zwischen 2010 und 2017 aber mehr als vervierfacht. Sein Gewinn vor Steuern belief sich im Jahr 2017 auf 133 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 713 Millionen. Anfang 2016 ist der luxemburgische Finanzinvestor CVC mit 60 Prozent in das Unternehmen eingestiegen.

Die Sportwettanbieter verweisen auf in Malta, Gibraltar oder der Isle of Man erworbene Lizenzen

Möglich werden solche Erträge, weil es sich mit den Wetten ähnlich verhält wie mit dem Leistungssport: Es geht immer schneller, höher, weiter. Auf den ungezählten Online-Plattformen werden täglich Zehntausende Wetten in Dutzenden Sportarten angeboten, man kann auf Fußballspiele der dritten Liga in Polen, Basketballspiele in Australien oder E-Sport-Videospiele in Südkorea setzen. Das Tippen auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage, wie man es noch von Toto-Scheinen kennt, ist längst nicht mehr alles. In sogenannten Live-Wetten kann man heute während des Spiels tippen, welche Fußballmannschaft den nächsten Einwurf bekommt oder welcher Tennisspieler den nächsten Satz gewinnt. Zutreffende Wettergebnisse lassen sich noch vor Ablauf des Sportereignisses gegen geringere Quoten verkaufen. So kann man sich Gewinne innerhalb von Sekunden sichern. Das alles bietet mehr Action, aber auch deutlich mehr Risiko und Suchtpotenzial.

In Deutschland finden die Wettfirmen offenbar immer mehr Kunden, wie die jährlich steigenden Einsätze belegen. Geld und Sportbegeisterung hierzulande sind reichlich vorhanden - aber auch die anderen Rahmenbedingungen scheinen zu stimmen. Deutschland hat den größten Glücksspielmarkt Europas. Experten gehen von einer halben Million Menschen mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten aus. Als besonders riskant gelten virtuelle Automatenspiele und Online-Casinospiele wie Roulette. Sportwetten aber haben laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ebenfalls einen relativ hohen Anteil an problematischem Spielverhalten. Ein Suchtpotenzial, aus dem Wettanbieter letztlich Kapital schlagen.

Legal ist das keineswegs. Formell sind Sportwetten in Deutschland, abgesehen vom staatlichen Angebot Oddset, immer noch nicht erlaubt - vom Staat aber werden sie weitgehend geduldet. Alle Versuche der Länder, den Schwarzmarkt über Lizenzierungsverfahren zu regeln, sind gescheitert, nicht zuletzt an einem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs. Die Sportwettanbieter verweisen indes auf ihre in Malta, Gibraltar oder Isle of Man erworbenen Lizenzen, die es ihnen erlaubten, Wetten innerhalb der Europäischen Union anzubieten. Sie sehen sich hierzulande in der Rolle des Vermittlers: Wer in Deutschland zu Tipico geht und eine Wette abgibt, der platziert sie offiziell auf Malta.

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wächst auch der Einfluss der Sportwettbranche auf den Profisport. 16 von 18 Bundesligisten haben Sportwetten-Anbieter als Sponsoren. Tipico beispielsweise ist seit 2018 offizieller Partner der deutschen Bundesliga und 2. Bundesliga. Schon seit Jahren ist das Unternehmen Namensgeber der österreichischen Fußball-Bundesliga und "Platinpartner" des FC Bayern. Ein anderer großer Player ist bwin mit Sitz in Gibraltar, jahrelang Trikotsponsor von Real Madrid. Anfang 2019 hat das Unternehmen eine groß angelegte Partnerschaft mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) abgeschlossen. Dass fast alle Wettanbieter auf ihren Seiten bislang illegale Casinospiele anbieten, scheint Vereine und Funktionäre nicht weiter zu stören. Mit den Millionen der Wettanbieter bezahlen sie horrende Transfersummen und hoch dotierte Spielerverträge. Oder das Geld wandert in den eigenen Geldbeutel. Der ehemalige Welttorhüter Oliver Kahn, der inzwischen im Vorstand des FC Bayern sitzt, wirbt für Tipico mit dem Slogan: "Ihre Wette in sicheren Händen."

Mit dem sogenannten "Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag", der am 1. Juli 2021 in Kraft treten soll, unternehmen die Bundesländer nun einen weiteren Versuch, die kaum zu überblickende Branche zu reglementieren. Die Steuereinnahmen der Länder durch die private Wettbranche - im Jahr 2018 betrugen sie 382 Millionen Euro - sollen durch die Legalisierung steigen. Und man verspricht sich mehr Schutz vor Spielsucht. Wie das gehen soll? Eine zentrale Behörde der Länder soll den Markt überwachen. Sie soll sicherstellen, dass jeder Nutzer maximal 1000 Euro im Monat über alle Anbieter hinweg einzahlen kann. Buchmacher sollen verpflichtet werden, alle Daten und Wetten ihrer Kunden der Behörde zu melden. In Rundfunk und Internet soll zwischen 6 und 23 Uhr die Werbung für Live-Wetten verboten werden, die obendrein eingeschränkt und für manipulationsanfällige Sportarten wie Tennis abgeschafft werden könnten.

Die Reaktionen auf den Gesetzesentwurf sind unterschiedlich. Diplompsychologe Tobias Hayer, der an der Uni Bremen über Spielsucht forscht, sagt: "Mit der Öffnung des Online-Marktes werden neue Spielanreize und damit letztlich auch neue Suchtgefahren geschaffen." Dem Deutschen Sportwettenverband geht die Öffnung nicht weit genug. Man befürchtet, durch das Verbot mancher Live-Wetten Kunden an den Schwarzmarkt zu verlieren. Doch insgesamt ist die Branche zufrieden. "Das neue Regelwerk schafft Klarheit und gleiche Regeln für alle", freut sich Tipico-Chef Baca. Was die Spielsucht angeht, verweist das Unternehmen auf "umfangreiche Informations- und Präventionsangebote für Kunden" sowie "Hilfsangebote" auf seiner Website. Die allerdings muss man ein bisschen suchen.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2020
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