Sportartikel:Sie können nicht anders

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Joggingschuhe in einer Decathlon-Filiale. Das Unternehmen expandiert kräftig – auch im hart umkämpften deutschen Sportartikelmarkt. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Eigentlich wollte Adidas den Discounter Decathlon nicht mehr beliefern. Doch die französische Kette wächst so rasant, dass die Herzogenauracher nicht mehr an ihr vorbeikommen - zum Ärger des Fachhandels.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Adidas war schon so gut wie weg. 2018 fuhr der zweitgrößte Sportartikelhersteller seine Lieferungen an Decathlon deutlich zurück. Bis Ende 2019 werde man die Geschäftsbeziehung mit der französischen Handelskette komplett kappen, kündigte Finanzvorstand Harm Ohlmeyer an. Doch so weit kommt es nicht, im Gegenteil. Adidas liefert nicht nur nach wie vor Ware an Decathlon, sondern vermutlich in Zukunft mehr denn je. Denn das französische Unternehmen ist zum größten Sportartikelhändler aufgestiegen - und wächst rasant. Davon will auch Adidas profitieren, schließlich hegt man dort den Anspruch, "überall dort präsent zu sein, wo Kunden unsere Produkte kaufen wollen", wie eine Sprecherin sagt.

Das Tempo, mit dem Decathlon nicht nur in Deutschland expandiert und Marktanteile gewinnt, ist beeindruckend. Der Fachhandel ist beunruhigt. 1976 gegründet, legt der Sport-Discounter mit Sitz in der Kleinstadt Villeneuve-d'Ascq unweit von Lille nicht nur seit Jahren sprunghaft an Umsatz zu, sondern ist auch noch profitabel. Bei 11,3 Milliarden Euro Umsatz blieb 2018 ein Nettogewinn von fast 500 Millionen Euro. In Deutschland hat Decathlon selbst große Sporthändler wie Sport-Scheck oder Karstadt-Sport inzwischen locker überholt und ist ebenso Marktführer wie in Frankreich, Spanien und Italien. In Österreich liefert sich das Unternehmen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Konkurrenten XXL, und in der Schweiz stiegen die Franzosen gerade durch die Übernahme aller 24 Filialen der Kette Athleticum zur Nummer drei auf.

Während in Deutschland der klassische Sportfachhandel schwächelt, der Markt mehr oder weniger stagniert und selbst große Handelsverbünde wie Intersport oder "Sport 2000" Umsatz verlieren oder ihn bestenfalls minimal steigern, eröffnet Decathlon eine Filiale nach der anderen. Zuletzt am vergangenen Donnerstag in Dortmund; es ist die dritte in der Stadt. In den kommenden Monaten geht es Schlag auf Schlag weiter: München, Erfurt, Berlin, Neuss, Weiterstadt, Mühlheim-Kärlich, Hamburg. 2017 wurde der 50. Decathlon-Markt hierzulande eröffnet; voriges Jahr kamen 16 neue hinzu. 2017, neuere Zahlen liegen noch nicht vor, wuchs das von Plochingen in Baden-Württemberg aus gesteuerte Deutschland-Geschäft um 30,6 Prozent auf 435,1 Millionen Euro. "Decathlon ist momentan nicht zu stoppen", sagt Klaus Jost, als langjähriger, ehemaliger Intersport-Vorstand ein erfahrener Experte im Sportartikelgeschäft. "Es gibt auch keinen Trend mehr, der an ihnen vorbeigeht wie noch vor ein paar Jahren." Jost räumt mit dem Vorurteil auf, nur Menschen, die jeden Cent umdrehen müssen, würden bei Decathlon einkaufen. "Wer leidenschaftlich, oft und gut Tennis spielt, kauft sich sicher keinen Billigschläger bei Decathlon. Aber vielleicht eine Badehose und Wanderschuhe, weil er nur ab und zu mal Schwimmen oder Wandern geht." Auch bei Familien mit kleinen Kindern sei der französische Sport-Aldi beliebt, sagt Jost. Zu schnell wachsen die Kleinen aus Schuhen und Shirts, als dass es jedes Mal unbedingt teure Markenprodukte für sie braucht.

Mit fetzigen Inszenierungen wie viele Fachhandelshäuser ködert Decathlon seine Kunden jedenfalls nicht. Die finden sich stattdessen, von wenigen Innenstadt-Filialen abgesehen, in schmucklosem Lagerhallen-Ambiente wieder, mit Rohren und Lichtleisten an den Decken, kahlen Wänden, blauen Wühlkisten und vielen vollen Regalmetern auf nicht selten mehreren Tausend Quadratmetern Verkaufsfläche. Alles ist auf ein Minimum reduziert, vor allem die Preise. Da finden sich schon mal Tennisschläger oder ein Paar Turnschuhe für weniger als zehn Euro. Decathlon hat das Discounter-Prinzip, wie man es aus der Lebensmittel- oder Möbelbranche kennt, als erster im großen Maßstab erfolgreich auf den Sporthandel übertragen. Und damit einen Gegenpol in der ansonsten Marketing- und lifestylegetriebenen Branche gesetzt. Gespart wird nicht nur an Beratung, Einrichtung und Präsentation, sondern auch an Marketing und Werbung.

Das Sortiment von Decathlon besteht je nach Land bis zu 90 Prozent aus billigen Eigenmarken

Der klassische Fachhandel hat dagegen bislang kein Gegenmittel gefunden. Seine Protagonisten wie Intersport-Chef Alexander von Preen tun bisweilen so, als müssten sie Decathlon nicht einmal ignorieren.

Je nach Land besteht das Decathlon-Sortiment bis zu 90 Prozent aus Eigenmarken-Produkten, die deutlich billiger sind als jene etwa von Intersport, auch wenn sie kaum jemand kennt: Aus "Kipsta"-Fußballschuhen, "Tribord"-Segeljacken oder "Quechua"-Bergschuhen. Was Decathlon nicht nur zu einem Handelsriesen macht, sondern auch zu einem großen Hersteller. 2018 glaubten die Franzosen, auf die Strahlkraft globaler Marken wie Nike, Adidas oder Puma ganz verzichten zu können. Die Ankündigung von Adidas-Finanzchef Ohlmeyer, Decathlon nicht mehr zu beliefern, korrespondierte mit der Ansage aus Villeneuve-d'Ascq, Markenware auszusortieren und künftig nur noch Selbstproduziertes zu verkaufen. Doch das ging gehörig schief. "Decathlon hat sich so stark gefühlt wie Napoleon", kommentierte die Fachhandelszeitschrift SAZsport süffisant. Denn von der zeitweisen Markenabstinenz hätten vor allem die Fachhändler-Konkurrenten um die Ecke profitiert. "Sie haben fleißig die Frequenz abgeschöpft. Kunden, die nach Adidas, Puma und Co. suchten, fanden sie nicht im Decathlon, sondern beim Sportfachhändler."

Im Unternehmen selbst löste die Eigenmarken-Strategie große Verwerfungen aus. Matthieu Leclercq, Sohn von Firmengründer Michel Leclercq, gab aus Protest den Aufsichtsratsvorsitz bei Decathlon auf. Decathlon gehört mehrheitlich der Unternehmerfamilie Mulliez, entfernten Verwandten der Leclercqs. Inzwischen nahmen Eigentümer und Management ihre Pläne wieder zurück. Auf Druck der Kundschaft, so wird kolportiert, die eben doch auch den ein oder anderen Schuh mit den drei Adidas-Streifen oder dem Nike-Swoosh kaufen will. Wobei die Markenhersteller Decathlon hauptsächlich, aber nicht ausschließlich mit besonders günstigen Produkten beliefern. Bei Puma etwa sind dies einer Sprecherin zufolge "Schuhe, Textilien und Accessoires in unseren Kernkategorien wie Fußball oder Fitness/Training, sowie Basics wie T-Shirts, Sweatshirts, Shorts und Trainingsanzüge." Dies seien Kollektionen, "die allen Einzelhändlern angeboten werden, sowie auch exklusive Produkte".

Die Fachhändler sind darüber nicht glücklich; sie sähen es lieber, wenn die großen Markenhersteller Decathlon nur ihre Billigware überlassen würden. Auch dass in einer deutschen Kommune nach der anderen Obergrenzen für Verkaufsflächen fallen, gefällt ihnen nicht. Und je mehr sich Decathlon ausbreitet, je stärker es im Stadtbild auffällt, desto größer werden bei der Kundschaft Wahrnehmung und Reiz. Ausgerechnet in Frankreich allerdings erlebte Decathlon gerade einen Image-Gau. Grund war ein Hijab, ein hauptsächlich für muslimische Frauen gedachtes Kopftuch beim Joggen, das in Frankreich heiße politisch-gesellschaftliche Debatten auslöste. Nachdem selbst Regierungsmitglieder Decathlon öffentlich vorwarfen, das Kopftuch als ungutes, frauenpolitisches Symbol zu fördern, nahm Decathlon es wieder vom Markt.

© SZ vom 26.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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