Süddeutsche Zeitung

Sportartikelindustrie:Adidas verliert Milliardenumsatz

Das Unternehmen beendet die lukrative Partnerschaft mit dem Rapper Kanye West wegen seiner antisemitischen Hass-Tiraden. Die Aktie bricht ein.

Von Uwe Ritzer

Was waren sie stolz bei Adidas am 29. Juli 2016. Als aus dem Flirt eine feste Beziehung wurde. In Los Angeles verkündete das Unternehmen nicht weniger als "die bedeutendste Partnerschaft aller Zeiten zwischen einer Sportmarke und einem Nicht-Athleten" an. Geschichte würden sie nun miteinander schreiben, Adidas und der US-Rapper Kanye West, den die Deutschen von ihrem größten Rivalen Nike weggelockt hatten. "Diese Partnerschaft wird die Zukunft neu definieren und dabei die technische und innovative Expertise und Kompetenz von Adidas mit der visionären Vorstellungskraft von West vereinen", jubelte das Unternehmen. Und gefühlt die halbe Welt beglückwünschte Adidas zu diesem Coup. Kanye West als Testimonial und Designer. Der globale Trendsetter bei jungen Leuten schlechthin. Denn die Zeit, in der die Sportartikelmarken ausschließlich mit Fußballern oder Leichtathleten für ihre Schuhe und Shirts warben, sind vorbei.

Nun aber ist die Party vorbei. Was die Geschichtsbücher füllen sollte, geht mit Schrecken zu Ende. Am Dienstag kappte die Drei-Streifen-Marke aus Herzogenaurach bei Nürnberg ihre Geschäftsbeziehungen zu dem US-Rapper. "Adidas duldet keinen Antisemitismus und keine andere Art von Hassrede", kommentierte das Unternehmen verbale Ausfälle des US-Rappers, der sich neuerdings Ye nennt. "Die jüngsten Äußerungen und Handlungen von Ye sind inakzeptabel, hasserfüllt und gefährlich. Sie verstoßen gegen die Werte des Unternehmens wie Vielfalt und Inklusion, gegenseitigen Respekt und Fairness." Also habe Adidas "nach eingehender Prüfung" entschieden, die Partnerschaft "mit sofortiger Wirkung zu beenden, die Produktion von Produkten der Marke Yeezy einzustellen und alle Zahlungen an Ye und seine Unternehmen zu stoppen."

Ein Entschluss, der Adidas viel Geld kostet. Bis zum Jahresende rechnet der im deutschen Börsenindex Dax notierte Konzern allein deshalb mit bis zu 200 Millionen Euro weniger Nettogewinn. Eine gewaltige Summe, die einen Eindruck vermittelt, wie wichtig das Geschäft mit Yeezys für Adidas bis zuletzt war. Es gibt Schätzungen, wonach der Konzern damit bis zu acht Prozent seines Umsatzes von zuletzt 21,2 Milliarden Euro erwirtschaftete. Prompt fiel der Kurs der Adidas-Aktie am Dienstag um knapp vier Prozent.

Dennoch war die Entscheidung, das zuletzt immer toxischere Bündnis mit dem US-Rapper zu beenden, unausweichlich und überfällig. Es hätte Adidas besser zu Gesicht gestanden, wenn sie früher gefallen wäre und nicht erst, nachdem empörte jüdische Organisationen aus der ganzen Welt darauf drängten. Anlass dafür waren antisemitische Pöbeleien von Kanye West. Wiederholt hatte der Musiker in sozialen Netzwerken und bei anderen Gelegenheiten gegen Juden gehetzt und sich auch noch gebrüstet: "Ich kann antisemitische Dinge sagen, und Adidas kann mich nicht fallen lassen. Na und?" Woraufhin Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, Adidas via Bild-Zeitung belehrte: "Kein noch so toller Sneaker ist es wert, mit den Abgründen verbunden zu sein, in die dieser Künstler eingetaucht ist." Adidas müsse die Zusammenarbeit mit Kanye West "umgehend einstellen".

Zuletzt verbreitete West antisemitische Verschwörungsmythen

Andere waren da schneller. Die Modelabels Gap und Balenciaga zogen schon früher die Notbremse, angesichts immer irrlichternder Hasstiraden des Rappers gegen gefühlt alles und jeden. Auch die US-Bank J.P. Morgan, die US-Produktionsfirma MRC Entertainment und die Künstleragentur CAA wollen nichts mehr mit Kanye West zu tun haben. Bei der Pariser Modewoche hatte dieser Models mit dem Slogan "White Lives Matter" auf den Laufsteg geschickt, einem bei Rechtsextremisten beliebten Slogan, mit dem diese sich über die Anti-Rassismus-Kampagne Schwarzer in den USA ("Black Lives Matter") lustig machen. Zuletzt hatte West in diversen Kanälen allerhand Verschwörerisches über die vermeintliche Macht der Juden verbreitet, so dass selbst seine Ex-Partnerin Kim Kardashian sich distanzierte. "Hate Speech ist niemals in Ordnung oder entschuldbar", schrieb sie auf Twitter. "Ich stehe an der Seite der jüdischen Gemeinschaft und fordere, dass die schreckliche Gewalt und die hasserfüllte Rhetorik gegen sie sofort aufhört."

Das Verhältnis zu Adidas ist schon länger angespannt. Vor nicht einmal drei Wochen hatte die Sportartikelmarke angekündigt, die Zusammenarbeit mit West auf den Prüfstand zu stellen, was dieser umgehend mit einem Post der Niveau-Kategorie "Scheiß Adidas" quittierte. Seit Monaten fällt er bei jeder Gelegenheit über das Unternehmen her; er wirft ihm vor, seine Design-Ideen geklaut zu haben und in eigenen Produkten zu realisieren. Adidas weist sämtliche Vorwürfe scharf zurück. In seiner Wut verkündete der Rapper sogar schon öffentlich den Tod von Vorstandschef Kasper Rorsted. Am Dienstag stellte Adidas klar: "Adidas ist der alleinige Inhaber aller Designrechte an bestehenden Produkten sowie an früheren und neuen Farbgebungen im Rahmen der Partnerschaft." Trotzdem verkauft Adidas ab sofort keine Yeezys mehr.

Tatsächlich war die Zusammenarbeit zwischen Adidas und Kanye West stets sehr gewinnträchtig - und strategisch sinnvoll. Sie half der Drei-Streifen-Marke unter anderem dabei, auf dem wichtigsten Sportartikelmarkt USA sichtbarer und stärker zu werden. Also hat Adidas in den vergangenen Monaten intensiv versucht, die Beziehung zu kitten und Kanye West ein wenig einzubremsen. Schließlich war es lange gut gelaufen. Auch für Kanye West, der Provisionen in dreistelliger Millionenhöhe von Adidas kassierte, wohlgemerkt jährlich. Er lieferte Ideen, Designs und dazu passende Storys - alles ließ sich glänzend vermarkten.

Am Anfang ging West, der als Rapper zweifellos musikalische Maßstäbe setzte, bei Adidas wohlwollend als Exzentriker durch. Ein bisschen durchgeknallt, aber so sind sie eben, die kreativen Köpfe, noch dazu die aus dem US-Showbusiness. Dann aber fiel West, der an einer bipolaren Störung leiden soll, immer häufiger merkwürdig, schrill und schließlich imageschädigend auf. Mit Liebeserklärungen an Donald Trump etwa, der Ankündigung, selbst US-Präsident oder Adidas-Chef werden zu wollen, einer Wutrede auf Hillary Clinton oder Eklats auf Preisverleihungen, wenn er einfach auf die Bühne stürmte und das Mikro an sich riss. Nun ist die Frage, wie groß die Bühne des Kanye West in Zukunft noch sein wird.

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