Dienstagabend in München: Vor der rot illuminierten Allianz-Arena ist eine opulente Bühne aufgebaut. Davor sitzen Hunderte Gäste. Ein Feuerwerk wird gezündet, und ein zappeliger Illusionist kündigt "Das Wunder von München" an. Ein paar Fanfarenklänge und künstliche Nebelwolken später kommt zum Vorschein: ein neuer Omnibus. Es ist das Luxusgefährt, in dem die Elitekicker des FC Bayern in der neuen Saison durch die Lande kutschiert werden. Viel Tamtam um ein profanes Fortbewegungsmittel.
Es ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie sehr der Kommerz den Profifußball im Griff hat. Die Sponsoren nutzen jede Gelegenheit, um vom Fußball-Boom zu profitieren, ihre Geschäfte anzuheizen und ihr Image zu pflegen. Sie nutzen ihn für Firmenevents, schalten Werbespots, lassen T-Shirts bedrucken, organisieren Gewinnspiele, füttern in den sozialen Netzwerken die potenzielle Kundschaft an. Sie hoffen, dass ihr Firmenlogo im Fernsehen gut und oft sichtbar ist. Für all dies geben sie immer mehr Geld aus.
Dabei sind Sponsoren eigentlich nur die Trittbrettfahrer im Profifußball, Mitläufer im großen Spiel. Ihr PR-Getue mag manche Puristen vergrätzen, doch ganz ehrlich: Die Diskussion um zu viel Geld im Fußball ist hierzulande so alt wie die Bundesliga selbst: 51 Jahre. Und sie ist verlogen. Die schärfsten Kritiker des Kommerzes sind die ersten, die ihre Spieler beschimpfen und deren Bus blockieren, wenn das Team gegen finanziell und damit auch sportlich stärkere Mannschaften reihenweise verliert. Erfolg im Profisport hat aber nun einmal viel mit Geld zu tun.
Zu Beginn der neuen Saison läuft diese Geldmaschine auf Hochtouren wie nie zuvor. Wer sich über zu hohe Spielergehälter erregt, sollte sich in der Relation einmal die gewaltigen Summen vor Augen führen, die bei Fernsehrechten, Sponsoring, Merchandising und Tickethandel bewegt werden. Es ist kein Wunder, dass sich die Salärs für die eigentlichen Hauptprotagonisten in astronomischen Höhen bewegen. Man mag das moralisch für verwerflich halten, aber der Markt gibt es her: Die Müllers, Messis oder Robbens sind jene globalen Spitzenkräfte, welche die Fußballfreunde faszinieren. Ihretwegen strömen die Fans in die Stadien und versammeln sich vor den Fernsehern, ihre Trikots werden hunderttausendfach gekauft.
Die Kommerzialisierung - mag sie auch manchmal abseitige Blüten treiben - hat dem Fußball gutgetan. Sie befeuert die Begeisterung und hat das Spiel der 22 mit einem Ball noch tiefer in der Gesellschaft verwurzelt, als es ohnehin schon war. Sie hat der weltweit gefragtesten Sportart neue Zielgruppen erschlossen, junge Frauen etwa. Allen Negativ-Prophezeiungen zum Trotz hat die Kommerzialisierung den Fußball bis jetzt nicht entkernt, sie hat ihn nicht seiner Seele beraubt, sondern mitgeholfen, ihn weiterzuentwickeln.
Wenn auch zulasten anderer Sportarten, denen er bei der Publikumsgunst (und damit bei der Akquise von Geldgebern) weit enteilt ist. Die Leichtathletik-EM diese Woche verfolgten im deutschen Fernsehen nur etwa halb so viele Menschen wie das in seinem sportlichen Wert unwesentliche und künstlich aufgeblasene Supercup-Finale zwischen Borussia Dortmund und Bayern München. Allein während des Endspieles der Weltmeisterschaft in Rio de Janeiro wurden weltweit 700 Millionen Tweets abgesetzt, hundertmal mehr als beim Tennisfinale in Wimbledon.
Nun hat Deutschland diese Weltmeisterschaft bekanntlich gewonnen, und zum Start der neuen Spielzeit an diesem Wochenende erlebt die Bundesliga einen Hype wie noch nie. Die Indikatoren dafür sind untrüglich: Als die beiden nationalen Branchenführer Bayern München und Borussia Dortmund ihre Spieler präsentierten, kamen zu dem PR-Geplänkel mehr als 150 000 Menschen. Selbst belanglose Vorbereitungsspiele wurden im Fernsehen übertragen und erreichten - gemessen am sportlichen Wert - unglaubliche Einschaltquoten. Sogar zu den Spielen der zweiten Liga, die am 1. August begann, strömen die Zuschauer. Wir erleben eine Fußball-Inflation, und trotz des Kommerzes ebbt das Interesse nicht ab. Ganz im Gegenteil.
Gar von der deutschen "Weltmeisterliga" ist in diesen Tagen euphorisch die Rede. Ein Anspruch, den die Bundesliga in Wirklichkeit weder sportlich noch ökonomisch erfüllt. Hierzulande gefeierte Teams tun sich schwer, gegen ausländische No-Names zu bestehen. Das Ausscheiden von Mainz 05 gegen Asteras Tripolis oder der knappe Sieg von Borussia Mönchengladbach am Donnerstagabend gegen FK Sarajevo schon bei der Qualifikation zur Europa-League zeigen dies. Nein, sportlich bewegt sich hierzulande nur der FC Bayern konstant auf Weltniveau, und an guten Tagen noch der Dortmunder BVB von Jürgen Klopp.
Ökonomisch ist der Rückstand noch offenkundiger. Die Deutschen sind zwar Weltmeister, doch ihre Bundesliga ist im globalen Maßstab zweitklassig. Branchenführer ist die Premier League, obwohl die englische Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien schon in der Vorrunde sang- und klanglos ausschied. Krasser kann der Unterschied zwischen sportlicher und wirtschaftlicher Realität kaum sein.
Allein durch den Verkauf der Fernsehrechte ins Ausland nimmt die Premier League 800 Millionen Euro pro Jahr ein; die Bundesliga bringt es bislang auf nicht einmal ein Zehntel davon. Sie wäre erklärtermaßen schon über 200 Millionen Euro froh. In Deutschland selbst erzielen die 36 Erst- und Zweitligisten knapp 710 Millionen Euro pro Saison an Fernsehgeldern. Die Summe wird unter ihnen nach einem Solidarmodell verteilt, von dem kleine Klubs profitieren, weil sich beispielsweise der FC Bayern mit einem Bruchteil dessen zufriedengibt, was er bei einem Einzelverkauf seiner Übertragungsrechte erlösen könnte. So kassiert Bayern etwa 50 Millionen Euro pro Jahr. Etwa 50 Prozent weniger als Cardiff City kassierte, der Aufsteiger und am Ende Tabellenletzte der vorigen Saison in der Premier League.
Schon vor Jahren machten sich Vereine wie Manchester United, FC Liverpool, Real Madrid oder FC Barcelona, wann immer es ging, auf zu PR-Tourneen nach Asien, um sich in diesem immer fußballverrückteren und wirtschaftlich prosperierenden Kontinent zu positionieren. Um dort die eigene internationale Strahlkraft und damit den Marktwert zu steigern, Fans und Sponsoren zu gewinnen. Neues Ziel sind die Vereinigten Staaten, wo Fußball nicht erst seit dem famosen Auftreten der US-Boys bei der WM an Popularität gewinnt. In Asien und Nordamerika wartet ein Milliardenmarkt für die besten europäischen Klubs.
Die Bundesliga jedoch war sich zu lange selbst genug. Gewiss, sie tut sich allein der Sprache wegen im Ausland schwerer als die Premier League, Englisch ist nun mal die Weltsprache. Erst seit einigen Jahren entdecken einzelne Spitzenvereine die Auslandsvermarktung, allen voran, natürlich, der FC Bayern, die einzige deutsche Fußball-Marke von Weltruf. Gerade hat der Verein in den USA zwei Spiele absolviert und in New York ein Büro eröffnet.
Eines ist aber auch klar: Von der Auslandsvermarktung werden vor allem die ohnehin schon sportlich wie ökonomisch starken Bundesligaklubs profitieren. Wie schon bei Einführung der Champions League vor 22 Jahren. Sie war der entscheidende Schub in Sachen Kommerzialisierung. Allein wer sich für die Gruppenphase qualifiziert, kassiert garantierte 20 Millionen Euro. Obendrauf kommen weitere Millionen aus Ticketverkauf und Merchandising, nicht zu vergessen die erfolgsabhängigen Prämien, die Ausrüster und Sponsoren bezahlen. Wer den Titel gewinnt, kann 70 Millionen Euro aufwärts verdienen.
Allein diese Einnahmen reißen die Kluft innerhalb der Bundesliga naturgemäß immer weiter auf. Es ist der ewige Kreislauf im Profifußball: Wer mehr Geld hat, kann sich bessere Spieler leisten, ist sportlich (in der Regel) erfolgreicher, was wiederum die Medienpräsenz erhöht und damit wiederum die Einnahmen. Das raubt dem Fußball auch ein Stück jener Unberechenbarkeit, von der er auch lebt. Spannung erzeugen derweil die Spiele unterhalb der Meisterschaft: der Kampf um die Plätze in Champions- und Euro-League oder gegen den Abstieg.
Die Kluft wird wachsen, aber die Zuschauer werden trotzdem kommen
Man mag all das gut finden oder nicht - es ist und bleibt die Realität. Die Kluft in der Bundesliga wird weiterwachsen. Doch siehe da: Dem Hype, der Begeisterung der Fans, tut dies keinen Abbruch.
Solange das so ist, wird die Kommerzialisierung des Fußballs weiter voranschreiten. Sie braucht allerdings Grenzen. Lange Zeit gelang es den Verantwortlichen von DFB und DFL, die Balance zu halten. Die deutsche "50 plus eins"-Regel verhindert einigermaßen, dass die Profiklubs zu Spielbällen von Investoren werden. Gewiss, Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg sind von den Konzernen Bayer und Volkswagen abhängig. Aber sie haben eine lange Tradition als deren Werksmannschaften. Ein Grenzfall ist die TSG Hoffenheim, die ohne SAP-Milliardär Dietmar Hopp sicher nicht in der Bundesliga wäre.
Nun allerdings wurde endgültig ein Tabu gebrochen. Die DFL hat RB Leipzig eine Lizenz für die zweite Liga erteilt. Einem Verein ohne Geschichte, Identität oder Mitglieder im klassischen Sinne. RB ist eine reine Marketingabteilung des Brause- und Vergnügungskonzerns Red Bull, ein durchgestyltes Produkt, ein seelenloses Kunstgebilde ohne Fankultur. Mitglieder-Mitbestimmung würde da nur stören. Für Red-Bull-Eigentümer Dietrich Mateschitz ist RB Leipzig ein weisungsgebundener Teil seiner Firma und ausschließlich deren strategischen Interessen unterworfen. Ein Klub ohne eigene Identität. Das ist der Unterschied zu Hopp und Hoffenheim.
Rege sich bitte kein Verantwortlicher im deutschen Fußball mehr auf über böse Scheichs, russische Oligarchen und Finanzinvestoren, die den Fußball in anderen Ländern gekapert haben. Die Lizenz für RB Leipzig hat solchen Figuren auch hierzulande die Tore weit aufgestoßen.
Die Folgen sind unabsehbar. Es ist eine Bedrohung für die Architektur der Bundesliga, wo Vereine bislang mithilfe von Sponsoren mitmischen und nicht umgekehrt. Der Fußball braucht aber zum Kommerz auch eine Fußballkultur. Sonst verliert er seine Seele. Und dann funktioniert irgendwann auch das Geschäft nicht mehr.