Süddeutsche Zeitung

Spitzengastronomie:Hamburger und Cola sind lukrativer

Das Sterne-Restaurant "La Vie" in Osnabrück musste schließen. Nun wird hitzig debattiert, ob und wie sich Spitzengastronomie rentabel betreiben lässt.

Von Marten Rolff

Mit einem solchen Knall hat lange kein berühmtes Restaurant mehr seine Türen für immer geschlossen. Als die Mannschaft des "La Vie" in der Altstadt von Osnabrück am vergangenen Samstag zur Arbeit erschien, ahnte noch keiner, dass die Küche von nun an kalt bleiben würde. Den Gästen, die für den Abend reserviert hatten, war bereits diskret abgesagt worden, als Geschäftsführer und Küchenchef Thomas Bühner sein Team versammelte und verkündete, das Restaurant sei ab sofort geschlossen; der Eigentümer und Geldgeber habe entschieden, sich aus der Spitzengastronomie zurückziehen. Die 28 Mitarbeiter, so erzählt es einer, der dabei war, seien völlig schockiert gewesen, manche hätten geweint.

Ähnliche Bestürzung gibt es in der Branche: Warum macht jemand derart brutal ein Restaurant dicht, das im Gastroführer Guide Michelin seit 2011 jedes Jahr mit drei Sternen und im Gault Millau mit 19 von 20 möglichen Punkten geführt wird? Das in internationalen Ranglisten wiederholt unter den besten hundert Restaurants der Welt landete und dessen feine Aromen-Küche Gäste aus Tokio oder Los Angeles nach Niedersachsen lockte? Auch die Reservierungen, so heißt es aus dem "La Vie", hätten sich zuletzt gut entwickelt, die Auslastung der etwa 40 Plätze habe im Schnitt bei respektablen 80 Prozent gelegen.

Die Antworten der Beteiligten auf das Warum bleiben vage. "La-Vie"-Chef Bühner sagt, auch er sei geschockt, aber "an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt worden". Der Drei-Sterne-Koch hatte erst Mitte Juni von der Schließung seines Lokals erfahren und "bei schlaflosen Nächten" vier Wochen lang Stillschweigen bewahren müssen. Eigentümerin des "La Vie" ist die Georgsmarienhütte Holding GmbH (GMH), ein zuletzt mit Problemen kämpfender Stahlkonzern. Dessen Sprecherin nennt als Grund für das Aus eine "organisatorische Neuausrichtung", die Gruppe wolle sich wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren: Stahl kochen.

Offizielle Zahlen zum "La Vie" gibt es nicht. Das Restaurant galt allerdings als teures Liebhaberprojekt von GMH-Gesellschafter Jürgen Großmann; das Manager Magazin berichtete bereits im Jahr 2012 unter Berufung auf Großmann-Vertraute, das "La Vie" verbrenne jährlich einen Millionenbetrag.

Aber egal, ob es sich um ein Finanzdesaster, ein PR-Debakel oder um beides handelt, in jedem Fall zeigt das plötzliche Ende, wie schwer sich Geldgeber noch immer mit der hochkomplexen Spitzenküche tun. Wie stark dieses anspruchsvolle Geschäft vor allem in Deutschland unterschätzt wird. Eine Luxusnische, die Außenstehenden bis heute als Inbegriff des Reichtums gilt, als eine Art Gelddruckmaschine, obwohl die Margen wegen des Wareneinsatzes, der Personalkosten und der Mieten oft extrem gering sind.

Selbst in einem streng kalkulierenden Unternehmen wie Althoff, einer Luxushotel-Gruppe, die Sternegastronomie zum Markenkern erhoben hat, gilt bei Haute Cuisine eine Durchschnittsmarge von zehn Prozent als sehr gut - Getränke eingerechnet und eine Auslastung von hundert Prozent vorausgesetzt. Von einem edlen Filet vom Wagyū-Rind zu 70 Euro bleiben nach Steuern demnach 3,50 Euro übrig, wenn der Gast Wein dazu trinkt. Hamburger und Cola sind da lukrativer.

300 Restaurants

in Deutschland sind im diesjährigen Gastronomieführer von Michelin mit einem, zwei oder drei Sternen ausgezeichnet. Letzteres ist die Höchstwertung, die dazugehörige Empfehlung lautet: "eine einzigartige Küche - eine Reise wert!" Elf Drei-Sterne-Restaurants gibt es nun in Deutschland, 39 haben zwei Sterne und 250 einen. Das erste deutsche Restaurant, das je mit drei Sternen bewertet wurde, war 1980 das "Aubergine" in München, das in den Neunzigerjahren schließen musste. Neben den Sternen von Michelin vergibt der Restaurantführer Gault Millau bis zu vier "Kochmützen" und bewertet die Lokale mit 0 bis 20 Punkten.

Ein ähnlich widersprüchliches Bild bietet auch die deutsche Gourmetgastronomie an sich. Auf der einen Seite steht das "deutsche Küchenwunder", wie der Boom der Hochküche in den vergangenen 25 Jahren auch genannt wird. 300 Sternerestaurants gibt es heute in Deutschland, nur Frankreich hat mehr. Nie hat man hierzulande besser gegessen.

Doch trotz elf Häusern, die mit drei Sternen bewertet sind, trotz einiger Erfolge in Rankings, es gibt kein deutsches Restaurant, das international dauerhaft Beachtung findet. Deutsche Köche mögen weltweit als technisch brillant gelten, an ihre Namen erinnert sich kaum einer. Spektakuläre Eröffnungen finden anderswo statt, in Skandinavien, Spanien oder Brasilien zum Beispiel. Ein Koch wie Sergio Herman, der sich sein Restaurant "The Jane" in Antwerpen in eine ausrangierte Kirche bauen ließ? Investoren wie in Dänemark, die gerade eine alte Munitionsfabrik auf einem 7000 Quadratmeter großen Areal mitten in Kopenhagen sanierten, um dem weltbekannten Restaurant "Noma" eine neue Bleibe zu sichern, inklusive urbaner Farm? Natürlich sind das Einzelfälle. Aber von einer Art, wie sie hierzulande undenkbar erscheinen.

Wer in Deutschland etwas über Spitzenküchen-Finanzierung lernen will, der sollte mit Familie Eichbauer in München sprechen. Der Bauunternehmer Fritz Eichbauer, 90, ist ein Pionier der deutschen Hochküche, seit er vor mehr als 45 Jahren das Restaurant "Tantris" eröffnen ließ und dafür eigens das österreichische Großtalent Eckart Witzigmann bei den Kennedys in Washington abwarb. Eichbauers einzige Motivation: sein Faible für gutes Essen. In den Anfängen wurde der Betonbau als Autobahnkapelle eines Größenwahnsinnigen verhöhnt, heute steht das "Tantris" unter Denkmalschutz und ist eine Ikone der Restaurantkultur. Doch bis dahin brauchte es langen Atem, sagt Eichbauers Sohn Felix, der das "Tantris" heute führt. 18 Jahre habe es gedauert, bis das Restaurant keine Verluste mehr machte. Seit Jahren wirft es nun kleine Gewinne ab, aber "wer ein reines Investment will, kriegt sein Geld in der deutschen Sterneküche kaum verzinst", sagt der Unternehmer.

Der Erhalt des "Tantris" wäre nicht möglich gewesen ohne den guten Standort und das essensbegeisterte Münchner Publikum, "das auch große Preiserhöhungen tapfer mitgemacht hat", sagt Felix Eichbauer. Insgesamt aber glaubt er, dass die Deutschen noch nicht bereit seien, für Fine Dining ähnlich viel auszugeben wie in anderen Ländern üblich. Kaum ein Gastronom würde sich trauen, Menüpreise von 300 Euro und mehr aufzurufen wie etwa in Paris. Auch Andreas Schmitt, Geschäftsführer bei Althoff, sagt: "Im Gourmetrestaurant zu essen hat in Deutschland auch heute noch nicht die Selbstverständlichkeit wie in Frankreich oder Italien." Ein Drei-Sterne-Restaurant als Solitär, ohne Hotel oder anderen Partner an der Seite, hält Schmitt für kaum finanzierbar.

Tatsächlich gelten Preis-Leistungs-Denken und Neidkultur in Deutschland als Hemmschuh für die Spitzenküche. 200 Euro für eine Opernkarte oder ein Champions-League-Spiel? Kein Problem! Aber für ein Essen? Das schöne Geld!

Die deutsche Gastronomie, so findet auch Felix Eichbauer, gehe das Thema Genuss noch zu ernst an. Und selbst Serviceleiter ausländischer Toprestaurants erzählen, es gehöre zu den Herkulesaufgaben, "dem deutschen Gast ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern".

Entsprechend schwierig ist das Investitionsklima. Länder wie Peru, Singapur, Spanien oder Dänemark haben die Spitzengastronomie schon vor Langem als Wirtschaftszweig entdeckt und Millionenprogramme aufgelegt, um ihre Köche bekannt zu machen. Die frühere Smørrebrød-Metropole Kopenhagen soll heute deshalb ein Drittel ihrer Touristen dem guten Essen verdanken. Deutsche Sterneköche hingegen klagen, wie wenig die Politik sie unterstütze, während andere Wirtschaftsbosse auf Politikerreisen mitgenommen würden. Drei-Sterne-Koch Joachim Wissler, der im Althoff-Hotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach unter Vertrag ist, bemerkte zu dem Thema einmal trocken, sein Restaurant zähle zu den 20 besten der Welt, "aber der Gemeinde sind wir nicht mal ein Hinweisschild wert". Das nun geschlossene "La Vie" in Osnabrück war vor einigen Jahren sogar Ziel anonymer Drohbriefe aus der eigenen Stadt. Tenor: Der teure Snobladen sei unerwünscht und solle verschwinden. Das "La Vie" machte die Briefe damals öffentlich - und setzte die Menüpreise herunter.

Wer Regeln setzt, die zu befolgen die Gäste als Bedürfnis empfinden, der ist ein Gott

Standort, Service, Design, Flair, die Kreativität der Küche oder die Persönlichkeit des Kochs - es ist auch das fein austarierte Zusammenspiel von vielen weichen Faktoren, das darüber entscheidet, ob ein Spitzenrestaurant einschlägt oder nicht. Das gewisse Etwas eines Lokals lässt sich kaum planen. Das mache die Spitzenküchen auch so schwer vergleichbar, sagt Zwei-Sterne-Koch Johannes King, der im Sylter "Söl'ring Hof" seit 20 Jahren unabhängig erfolgreich wirtschaftet.

Nicht sein eigener Herr zu sein wäre für ihn als Spitzenkoch unvorstellbar. King findet auch, dass es noch nie so leicht gewesen sei wie heute, ein Gourmetrestaurant profitabel aufzuziehen. Der Trend zum Casual Fine Dining, also die Abkehr von Luxusprodukten, Tischwäsche, gespreiztem Service und langen Weinkarten, bringe viele neue Freiheiten. "Leider fehlt es in Deutschland oft an guten Konzepten", sagt King. "Einfach einen Koch einkaufen und drei Seatings pro Abend diktieren? Da fühlt sich der Gast zu Recht verarscht."

Ein erfolgreiches Spitzenrestaurant braucht ein Profil, eine gute Geschichte, ein Narrativ. Vor allem, wenn es Trends setzen, einträgliche Filialen eröffnen oder gar in der internationalen Spitze mitspielen will. Dort gilt eher das Credo: Ein Koch, der den Bedürfnissen der Gäste hinterherkocht, ist ein Waschlappen. Wer hingegen Regeln setzt, die zu befolgen die Gäste als Bedürfnis empfinden, der ist ein Gott.

"Mit dem Restaurant selbst verdient man natürlich kein Geld", sagte der katalanische Superstar Ferran Adrià kürzlich im Interview mit der SZ. Mit den Projekten, die der eigene Name nun ermöglicht - Bücher, Produktlinien, Vorträge - dafür umso mehr.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2018
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