Süddeutsche Zeitung

Spielzeug:Geburtstag ohne Geschenke

Am Donnerstag startet die Nürnberger Spielwarenmesse - zum 70. Mal. Doch vielen Ausstellern ist nicht nach Feiern zumute, zu tief greifend ist der Umbruch, den die Branche gerade erlebt.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Fanfarenstöße, Konfettiregen, eine überdimensionale Geburtstagstorte, an diesem Donnerstag eine große Party und am Samstag ein Jubiläumsfeuerwerk. Die Spielwarenmesse in Nürnberg feiert ihr 70-jähriges Bestehen, und in einigen Bars der Stadt wird sogar ein eigens kreierter "Toy-Cocktail" serviert. Dementsprechend in Feierlaune flaniert Spielwarenmesse-Chef Ernst Kick durch die Reihen der Aussteller. Kein Wunder, seine Zahlen stimmen. Das Nürnberger Messezentrum ist bis auf den letzten Quadratmeter ausgebucht und der Andrang mit voraussichtlich 70 000 Fachbesuchern bis einschließlich Sonntag groß. Die Jubelstimmung allerdings überspielt kaum die Verunsicherung an vielen Messeständen.

"Die Branche steckt definitiv in einem großen Umbruch", sagt Florian Sieber, Juniorchef der familiengeführten Simba-Dickie-Gruppe (Märklin, Bobby-Car), dem knapp hinter Playmobil zweitgrößten deutschen Spielwarenhersteller. "Vor allem im Handel spielen sich große Veränderungen ab", so Sieber. Voriges Jahr brachen mit Toys R Us in den USA, Ludendo in Frankreich, der holländischen Blokker-Gruppe, Top-Toy in Dänemark und hierzulande BR-Spielwaren und Intertoys gleich mehrere wichtige Fachhandelsketten ganz oder teilweise weg. Auch auf Produktionsseite gibt es Probleme. China, wo noch vor wenigen Jahren drei Viertel aller Spielwaren produziert wurden, verliert langsam, aber stetig an Bedeutung, weil die Löhne dort den im harten Wettbewerb stehenden Spielwarenfirmen schon zu hoch erscheinen. Viele Marken suchen nach alternativen Produktionsstandorten - oder haben sie bereits gefunden.

Vor allem aber ist da ein hausgemachtes Problem, das die gemessen an früheren Jahren deutlich kleinere "Neuheitenschau" am Tag vor dem offiziellen Messebeginn offenbarte: Es fehlt der Branche an wirklichen Innovationen, die neuen Schub geben. An Spielzeug, das neue Produktkategorien gründet, wie es einst das Bobby-Car tat, der Prototyp aller Rutschfahrzeuge, die heute in keinem Kinderzimmer mehr fehlen. Auf der diesjährigen Spielwarenmesse ist jedoch mehr schnelllebige Masse als nachhaltige Klasse zu sehen.

Viele Neuheiten werden schon nach wenigen Wochen verramscht

Insgesamt eine Million Produkte werden in Nürnberg nach Schätzungen der Veranstalter gezeigt; davon seien 120 000 Neuheiten. Das ist jedes Jahr so. Tatsächlich ist diese Neuheitenflut aber schon lange kein Ausdruck mehr von besonderem Erfindungsreichtum, sondern ein Problem. Viele Händler beklagen, dass die meisten dieser neuen Spielzeuge mangels Nachfrage nach wenigen Monaten schon wieder verramscht werden oder gleich ganz vom Markt verschwinden. Durchgreifende, weil für die nächsten Jahre gültige und noch dazu geschäftsträchtige Trends sind in Nürnberg kaum zu finden.

Immerhin haben die Messemacher inzwischen erkannt, dass ohne Elektronik in Kinderzimmern so gut wie nichts mehr geht. Diese Erkenntnis ist in der Branche und bei Eltern uralt, doch die bisher auf klassisches Spielzeug ausgerichtete Messe öffnet sich erstmals erkennbar dem Thema Elektronik. Eine ganze Halle ist dieses Mal mit Robotern, Drohnen, ferngesteuerten Fahrzeugen oder Spielen für virtuelles Lernen bestückt.

In Halle 12.2 geschieht am Nachmittag vor dem Messeauftakt Kurioses. Lego, die Nummer eins in Deutschland, meldet dort stolz ein Umsatzplus von 4,8 Prozent im vergangenen Jahr und behauptet obendrein, auch seine Dominanz hierzulande auf 17,2 Prozent Marktanteil ausgebaut zu haben. Die Zahlen allerdings basieren nicht auf eigenen Verkaufszahlen, sondern allein auf Erhebungen von Marktforschern. Letztere sagen auch, dass die Deutschen 2018 gut 2,5 Prozent mehr für Spielwaren ausgegeben haben. Insgesamt hat der Markt ein Volumen von knapp 3,1 Milliarden Euro.

Was die wirtschaftliche Lage der deutschen Hersteller angeht, ist das Bild uneinheitlich. Die Simba-Dickie-Gruppe meldete zur Messe ein Umsatzminus von viereinhalb Prozent auf 616 Millionen Euro. Gemessen an ihren Plänen blieb sie sogar um fast acht Prozent hinter den eigenen Erwartungen zurück. Als Gründe nennt das Fürther Familienunternehmen vor allem die Pleiten der erwähnten großen Filialisten.

Playmobil, mit 686 Millionen Euro umsatzstärkster Hersteller hierzulande, wuchs nur leicht um ein Prozent. "Die Spielwarenbranche steht unter Druck", sagt Vorstandschef Steffen Höpfner. Vor diesem Hintergrund sei man zufrieden. Der Spieleverlag Ravensburger kommt damit noch besser zurecht; seine Geschäfte legten 2018 um 4,3 Prozent zu.

Etwa 40 Prozent der Spielwaren werden hierzulande bereits online gekauft, Tendenz weiter steigend. "Wir setzen dennoch auf den Fachhandel als unseren wichtigsten Vertriebskanal", sagt Simba-Dickie-Juniorchef Sieber. Was damit zu tun hat, dass seine Marken viele günstige Kleinartikel verkaufen, sogenannte "Impulsprodukte", die der Kunde im Geschäft mal eben mitnimmt. Zudem bedient Simba-Dickie mit der Modelleisenbahnmarke Märklin eine anspruchsvolle Klientel, die beraten werden will und die vergleichsweise teuren Loks oder Zugwaggons nicht nur auf Bildchen, sondern in natura sehen will.

Nicht alle aber sehen das so. Vor allem viele Markenhersteller haben zuletzt ihre Online-Shops ausgebaut. Fachhandel sei gut und schön, heißt es, aber immer mehr Kunden würden nun mal im Internet einkaufen, was die Preise drücke. Nehme man den Verkauf selbst in die Hand, bestünde die Aussicht auf höhere Gewinnmargen.

Früher lief Werbung im TV-Kinderkanal. Heute gibt es Youtube

Die beiden deutschen Branchenführer Simba-Dickie und Playmobil suchen angesichts der schwachen Märkte in Westeuropa ihr Heil verstärkt in Übersee. Simba-Dickie gab zum Messestart den Kauf von Jada Toys bekannt, einem Spielfahrzeug-Hersteller mit Sitz in Los Angeles. Damit steigen die Franken in den US-Markt ein, wovon sie sich auch Vorteile im Lizenzgeschäft mit Hollywood-Filmproduktionen erhoffen. "Wenn wir uns bislang an entsprechenden Ausschreibungen beteiligt haben, war es ein Nachteil, dass wir nicht in den USA tätig waren", sagt Sieber.

Playmobil verkaufte bislang seine Produkte in den USA hauptsächlich über die Handelskette Toys R Us. Nach deren Pleite kooperiert man mit den Handelsketten Walmart und Target. Zudem will das Unternehmen in den USA eine eigene Produktion aufbauen. "Damit vollziehen wir den Wandel vom Nischenhersteller auf den Massenmarkt", sagte ein Firmensprecher.

Experten prophezeien für die nächsten Jahre eine scharfe Konsolidierung der Spielwarenbranche. Die globale Nummer eins Mattel steckt schon länger in Schwierigkeiten, aber andere, vor allem kleinere, schwächelnde Marken laufen Gefahr, geschluckt zu werden oder vom Markt zu verschwinden.

Ein Beispiel dafür, wie sich die Zeiten gerade ändern, ist die Werbung, die in der enorm marketinggetriebenen Branche wichtig ist. Bislang setzten die meisten Markenhersteller auf das Fernsehen und speziell auf Kinderkanäle, um ihre Spielwaren bekannt zu machen. Inzwischen aber laufen soziale Netzwerke und Streamingdienste wie Youtube den TV-Sendern den Rang ab. "Es geht gar nicht mehr anders, als mehrgleisig zu fahren", sagt Florian Sieber. Mehrgleisig heißt aber vor allem: Marketing und Werbung werden aufwendiger, komplizierter - und damit teurer.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2019
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